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# taz.de -- Bücher über Putin und Russland: Und das alles war absehbar
> Catherine Belton zeichnet den Weg des Präsidenten von seiner Zeit in
> Dresden bis heute nach. Stefan Creuzberger beleuchtet die russischen
> Revolutionen.
Bild: Februar 2022: Russ:innen feiern Putins Anerkennung der Unabhängigkeit os…
Schon am Vorabend der Machtübernahme Wladimir Putins hätte man die ersten
Warnsignale aus Moskau vernehmen können. Ende Dezember 1999, wenige Tage
bevor er die Regierungsgeschäfte übernahm, skizzierte Putin in dem Text
„Russland an der Jahrtausendwende“ die Programmatik für sein Land.
Liberale Werte seien in Russland historisch nicht verwurzelt, „für die
Russen ist ein starker Staat keine Anomalie, die es loszuwerden gilt. Ganz
im Gegenteil – sie betrachten ihn als Quelle und Garanten der Ordnung und
als Initiator und Triebkraft jedes Wandels“, schrieb der damals wenig
bekannte Politiker, der nach einem kurzen, steilen Aufstieg Nachfolger
Boris Jelzins wurde.
Zwar gab Putin vor, er strebe ein demokratisches Gebilde an, doch die
tiefen historischen Kränkungen Russlands, die nun auch zu dem grausamen
Angriffskrieg gegen die Ukraine führten, sprechen bereits aus diesem Text.
Wichtige Punkte auf Putins damaliger Agenda: „Glaube an die Größe
Russlands. Russland war eine Großmacht und wird eine bleiben“, „Wenn wir
Patriotismus, Nationalstolz und Würde verlieren, (…) werden wir auch als
Nation, die Großes geleistet hat, untergehen“. Eine seiner frühen
Amtshandlungen war es dann 2001, die Hymne der Sowjetunion mit verändertem
Text wieder einzuführen.
In Catherine Beltons investigativem Recherchebuch „Putins Netz“ kann man
den Weg von seiner Zeit als KGBler in Dresden bis heute nachverfolgen.
Belton, lange Zeit Moskau-Korrespondentin der britischen Financial Times,
legt den Schwerpunkt in ihrem detailliert recherchierten Werk auf den
Staatskapitalismus, den Putin installierte, die Lenkung der Justiz, die
unter seiner Führung ungeahnte Ausmaße annahm, und vor allem auf das
russische Schwarzgeld, das seine alte KGB-Bande auf westliche Banken und in
Offshore-Unternehmen verschob.
Dieses Geld nutzt Putin seit den zehner Jahren unter anderem dazu, den
Westen gezielt zu destabilisieren – mit Desinformationskampagnen,
Unterstützung der Trump-Kandidatur und vielem mehr.
„Die Übernahme der Wirtschaft – und der Justiz und des politischen Systems
– durch die KGB-Kräfte führte zu einem Regime, in dem die Milliarden
Dollar, die Putins Kumpanen zur Verfügung stehen, aktiv dafür genutzt
werden, die Institutionen und Demokratien des Westens zu untergraben“,
schreibt Belton. Deutlich wird, dass Putin sich mitnichten komplett
gewandelt hat, sondern all das, was wir heute sehen, früh angelegt war.
Nachdem er an die Macht gelangte, witterte er mehr und mehr seine
historische Chance.
Catherine Belton hat viel brisantes Material zusammengetragen. Sie
schildert, welche Verbindung Putin und sein Stasi-Freund [1][Matthias
Warnig] zu seiner Dresdener Zeit mit der RAF pflegten – die Autorin
insinuiert, dass beide in den [2][Mord an Alfred Herrhausen] 1989
mindestens eingeweiht gewesen seien.
## Industriespionage und Schmuggel
Auch Putins Verwicklung in die Industriespionage und dem Schmuggel
westlicher Technologien widmet sie sich ausführlich. Seine Verbindungen zur
St. Petersburger Mafia und der sogenannten Tambow-Gruppe zu seiner Zeit als
Leiter des städtischen Komitees für Auslandsbeziehungen werden ebenfalls
aufgezeigt.
„Einmal KGB, immer KGB“, lautet eine Redensart – die Wege der kleinen
Herrscherclique nachzuzeichnen, die die russischen Unternehmen und die
Macht an sich reißt, ist Beltons Hauptaugenmerk. Als „tschekistische
Oligarchie“ hat der oppositionelle Politiker Boris Nemzow – eines der
mutmaßlichen Opfer Putins – diese Staatsform bezeichnet.
Die globalen wirtschaftlichen Verflechtungen, insbesondere die nach London,
werden in „Putins Netz“ so akribisch verfolgt, dass es mitunter schwer ist
zu folgen. Dabei aber hilft immerhin ein vorangestelltes Personenregister.
Die Autorin geht zudem noch einmal dem Verdacht nach, der russische
Inlandsgeheimdienst FSB stecke hinter den [3][Sprengstoffanschlägen auf
Wohnhäuser in Russland 1999] und habe sie initiiert, um Putin an die Macht
zu verhelfen.
## Eurasisches Großreich
Auch wer die wichtigsten Vordenker Putins sind, ist hier nachzulesen. Allen
voran sind das der Religionsphilosoph Iwan Iljin (1883–1954), der aus
orthodoxem Glauben und Patriotismus eine neue nationale Identität formen
wollte, sowie [4][Alexander Dugin, der ein eurasisches Großreich als
Gegenentwurf zum liberalen Westen propagiert].
Es war – auch das eine Lehre aus diesem Buch – absehbar, dass die Ukraine
für Putin ein Battleground werden könnte. Zu sehr demütigten ihn
Einschätzungen wie jene, die der einflussreiche US-Politikberater Zbigniew
Brzezinski 1996 äußerte: Ohne die Ukraine sei Russland keine Weltmacht
mehr, schrieb er bereits damals.
Doch als Putin dann wirklich 2014 die Krim annektierte, war „der Westen (…)
ganz benommen von den dreisten Schritten der Putin-Regierung“, so Belton.
Aus dem Stadium der Benommenheit ist der Westen acht lange Jahre bis zum
Überfall auf die gesamte Ukraine nicht herausgekommen.
So spannend wie erschütternd liest es sich, wie Putin nicht nur in der
Heimat den Propagandaapparat ausbaute, sondern im Westen Organisationen
gründete, um seinen Einfluss auszuweiten – etwa die Institutionen
[5][Stiftung Russki Mir] und [6][Rossotrudnitschestwo]. Seine Verbindungen
zu rechten und rechtspopulistischen europäischen Parteien, die Belton
aufzählt, waren weitgehend bekannt, allerdings soll Putin auch linke
EU-kritische Kräfte finanziell unterstützt haben.
Michael Carpenter, Russlandberater des damaligen US-Vizepräsidenten Joe
Biden, äußerte 2015 gegenüber der Autorin, auch Die Linke würde finanziell
aus Russland unterstützt. Würde [7][dies Gerücht] einmal belegt, hätte es
durchaus politische Sprengkraft.
## Doppelte Standards
Wer die Ursache dafür finden will, warum Linke im Fall Russlands oft
doppelte Standards anwenden, und wer über die Grundlagen der
deutsch-russischen Beziehungen etwas lernen will, der sollte Stefan
Creuzbergers Buch „Das deutsch-russische Jahrhundert“ zur Hand nehmen.
Creuzberger beleuchtet insbesondere die Zeit von den Revolutionen 1917/1918
bis zur Perestroika sehr ausführlich, um daraus Erkenntnisse für die
Gegenwart zu gewinnen. Denn es sei „wenig hilfreich, die aktuelle
Problemlage auf die Polemik ‚Russland-Versteher oder nicht‘ zu reduzieren.
Die Entwicklung zwingt vielmehr dazu, sich bewusst auf die Frage des
Verstehens einzulassen, ohne dies zwangsläufig mit Billigung
gleichzusetzen“, schreibt er.
Da, wo Creuzbergers Buch endet, beginnt von den Zeitläuften her das kurze
Interregnum Jelzins, das bekanntermaßen zwar demokratischere Strukturen,
aber keinerlei Stabilität brachte. Das Vakuum, das daraus entstand, nutzte
Putin.
Um von heute aus die westlichen Versäumnisse und Missverständnisse zu
verstehen, hilft es auch, in alten Büchern zu blättern. Der kürzlich
gestorbene [8][russische Menschenrechtler Sergei Kowaljow] kommt etwa in
Florian Hassels Buch „Der Krieg im Schatten. Rußland und Tschetschenien“
(2003) zu Wort.
Zum russischen Vorgehen im zweiten Tschetschenienkrieg erklärt er: „Wenn
man eine Liste derjenigen erstellt, die an der grausamen Behandlung
friedlicher Zivilisten schuld sind, muß man mit Wladimir Putin anfangen. Er
weiß hervorragend, was vor sich geht. Und was vorgeht, ist nicht weit von
Völkermord entfernt.“
18 Mar 2022
## LINKS
[1] https://pages.uoregon.edu/kimball/Putin.htm
[2] /Herrhausen-Patenkind-ueber-die-RAF/!5176098
[3] /Ex-Geheimdienstler-ueber-Anschlaege-von-1999/!5156001
[4] /Der-russische-Faschist-Alexander-Dugin/!5836919
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Stiftung_Russki_Mir
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Rossotrudnitschestwo
[7] https://euobserver.com/news-de/137666
[8] /Nachruf-auf-russischen-Menschenrechtler/!5788161
## AUTOREN
Jens Uthoff
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