| # taz.de -- Nachruf auf russischen Menschenrechtler: Sergei Kowaljow ist gestor… | |
| > Der ehemalige sowjetische Dissident, Politiker und Menschenrechtler starb | |
| > im Alter von 91 Jahren. Kowaljow engagierte sich seit den 50er Jahren. | |
| Bild: Sergej Kowaljow kam 1975 wegen „antisowjetischer Aktivitäten“ für s… | |
| Berlin taz | Wenn Sergei Kowaljow eins hasste, dann Lügen. Nach der | |
| gefälschten Parlamentswahl 2007 hatte er einen offenen Brief an Russlands | |
| Präsidenten [1][Wladimir Putin] geschrieben. „Aus Betrügerei entsteht nur | |
| neue Betrügerei“, war darin zu lesen und die Feststellung: „Ihr müsst | |
| lügen, sonst fällt euer System zusammen.“ | |
| Diesen Zusammenbruch sollte der 91-Jährige nicht mehr erleben. Am | |
| Montagmorgen ist der ehemalige sowjetische Dissident, Politiker und | |
| Menschenrechtler in Moskau gestorben – im Schlaf, wie sein Sohn Iwan auf | |
| Facebook mitteilte. | |
| Kowaljow wurde am 2. März 1930 in der Ukraine geboren. 1954 schloss er ein | |
| Biologiestudium an der Staatlichen Universität Moskau ab, 1964 folgte eine | |
| Promotion. Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen | |
| interessierte sich Kowaljow schon früh für Menschenrechtsfragen. | |
| 1956 protestierte er mit einigen Freunden auf dem Moskauer Puschkin-Platz | |
| gegen die sowjetische Intervention in Ungarn. 1969 schloss er sich der | |
| „Initiativgruppe für Menschenrechte in der UdSSR“ an, der landesweit ersten | |
| unabhängigen Menschenrechtsorganisation überhaupt. Zwei Jahre später wurde | |
| er Mitherausgeber der „Chronik der laufenden Ereignisse“ – eine im | |
| Untergrund (Samisdat) erscheinende Publikation sowjetischer | |
| Menschenrechtler*innen. | |
| Ende 1974 wurde Kowaljow unter dem Vorwand „antisowjetischer Agitation und | |
| Propaganda“ festgenommen. Das Urteil: sieben Jahren Arbeitslager und drei | |
| Jahre Verbannung. | |
| ## Auch lange Haft konnte Kowaljow nicht brechen | |
| Doch die lange Zeit in Haft vermochte es nicht, den Vater dreier Kinder zu | |
| brechen. 1989 fand die erste halbdemokratische Wahl zum Kongress der | |
| Volksdeputierten statt. Kowaljow zog auf dem Ticket der | |
| Menschenrechtsorganisation [2][Memorial], die sich der Aufarbeitung der | |
| Verbrechen der Stalin-Zeit verschrieben hat, in das Parlament ein. | |
| Abgeordneter sollte er bis 2003 bleiben. An der Ausarbeitung der russischen | |
| Verfassung von 1993 war Kowaljow maßgeblich beteiligt – vor allem am | |
| Kapitel zwei: „Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers“. | |
| 1993 ernannte ihn der damalige Präsident Boris Jelzin zum ersten Ombudsmann | |
| für Menschenrechte in der russischen Föderation. 1996 war dieses Intermezzo | |
| beendet – Kowaljow trat aus Protest gegen die Politik in der | |
| Nordkaukasusrepublik Tschetschenien zurück. Für die Eskalation des | |
| kriegerischen Konflikts machte er die russische Regierung verantwortlich. | |
| Im März 2020 veröffentlichte der Moskauer Kommersant ein langes Interview | |
| mit Kowaljow. Sein Fazit fiel pessimistisch aus. Seine Vorhersagen seien | |
| traurig, die Welt sei ins Schwanken geraten. Und: „Es gab eine Zeit, da | |
| konntest du sagen, was wahrhaftig und wichtig für die Gesellschaft ist. | |
| Aber wenn du eine Zivilgesellschaft nur mit Lügen fütterst, dann ist das | |
| keine Zivilgesellschaft mehr“, sagte Kowaljow und gab den Leser*innen | |
| noch eine Botschaft mit. „Man muss so leben, als lebte man in einem | |
| zivilisierten Land. Dann wird dieses Land vielleicht auch ein zivilisiertes | |
| werden.“ Auch das wird von ihm bleiben. | |
| 9 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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