# taz.de -- EGMR-Urteil gegen Russland: Zu wenig Aufklärung | |
> 2009 wurde die tschetschenische Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa | |
> ermordet. Jetzt fiel ein Urteil – über die Ermittlungen Russlands. | |
Bild: Der Mord an Natalja Estemirowa ist nicht ausreichend untersucht worden | |
FREIBURG taz | Russland hat den [1][Mord an der tschetschenischen | |
Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa] nicht gründlich genug untersucht. Zu | |
diesem Schluss kam jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in | |
Straßburg. Estemirowas Schwester erhält eine Entschädigung von 20.000 Euro. | |
Estemirowa war eine bekannte Aktivistin, die in der tschetschenischen | |
Hauptstadt Grosny lebte und für die [2][Menschenrechtsorganisation | |
Memorial] arbeitete. Mit dem lokalen Machthaber Ramsan Kadyrow hatte sie | |
sich angelegt, als dieser einen Kopftuchzwang für Frauen einführte. Im Juli | |
2009 wurde sie morgens vor ihrem Wohnhaus entführt, Zeugen sahen, wie sie | |
in einen weißen Lada gezerrt wurde. Am Nachmittag wurde ihre Leiche im | |
Nachbarstaat Inguschetien gefunden. Die Killer hatten sie mit fünf Schüssen | |
liquidiert. | |
Zufälligerweise kam am nächsten Tag die deutsche Kanzlerin Angela Merkel | |
nach Moskau. Vielleicht deshalb zeigte sich der damalige russische | |
Präsident Dmitri Medwedew sehr betroffen über den Tod „unserer | |
Menschenrechtlerin“. Wegen des großen Aufsehens übernahm der Leiter des | |
Ermittlungsausschusses der russischen Generalstaatsanwaltschaft die | |
Untersuchung des Falles. | |
Nach einem Monat präsentierten die Ermittler einen Täter: Alkhazur | |
Baschajew soll als Mitglied der islamistischen Terrorgruppe „Shalazhi | |
Jamaat“ Estemirowa getötet haben. Als Auslöser sehen die Ermittler einen | |
Artikel, den Estemirowa drei Monate vor ihrem Tod geschrieben hatte. Darin | |
hatte sie die Terrorgruppe für Zwangsrekrutierungen verantwortlich gemacht. | |
Baschajew wurde im Februar 2010 angeklagt, doch konnte er nie gefunden | |
werden. | |
## Russland behinderte Verfahren | |
Estemirowas Schwester Swetlana zweifelte an der Version der Ermittler und | |
schaltete den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Sie | |
vermutet eher staatliche Auftraggeber hinter dem Mord. Diesen Vorwurf wies | |
eine siebenköpfige EGMR-Kammer nun einstimmig zurück. Es gebe keine | |
handfesten Belege oder Indizien für eine Verwicklung russischer Stellen. | |
Die von der Schwester vorgebrachten Hinweise seien Informationen „vom | |
Hörensagen“. | |
Das Gericht stellte auch fest, dass die russische Staatsanwaltschaft | |
durchaus ernsthaft ermittelt hatte. Sie habe mehrere hundert Zeug:innen | |
befragt und über fünfzig Sachverständigengutachten angefordert. Sie habe | |
auch nicht einseitig untersucht, sondern auch eine staatliche Verwicklung | |
geprüft und Sicherheitsbeamt:innen vernommen. | |
Mit 5 zu 2 Stimmen wurde Russland dann aber doch vorgeworfen, den Tod von | |
Estemirowa nicht gründlich genug untersucht zu haben. Es habe noch | |
Widersprüchlichkeiten gegeben. Einstimmig verurteilt wurde Russland, weil | |
es dem EGMR nur 1.500 Seiten der über 10.000 Seiten dicken Kriminalakte | |
übergab. Damit habe Russland das Verfahren in Straßburg behindert. | |
31 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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