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# taz.de -- Unabhängige Medien in Russland: Nächster Schlag des Regimes
> Seit Jahren trotzt der russische Online-TV-Sender Doschd dem Druck des
> Kremls. Nun haben die Behörden ihn zum „ausländischen Agenten“ erklärt.
Bild: Ihm wird die Arbeit schwer gemacht: Journalist im Newsroom von Doschd
Moskau taz | Tichon Dsjadko klingt, als müsste er sich selbst Mut
zusprechen. „Wir sind ein Fernsehsender, wir werden unsere Arbeit
weitermachen wie bisher“, sagt der Chefredakteur des russischen
[1][Internetsenders Doschd] (Regen). Wie bisher ist in diesen Tagen
allerdings kaum etwas mehr in den Redaktionsräumen in einer ehemaligen
Kristallfabrik im Norden Moskaus. Ein „ausländischer Agent“ ist Doschd
neuerdings, offiziell und ohne Erklärung als solcher gebrandmarkt vom
Staat. Auch ohne Ermittlungsverfahren, ohne Klage, ohne Prozess.
„Journalismus ist kein Verbrechen“, schreiben einige Journalist*innen
auf ihre Plakate und stellen sich am Tag nach der Entscheidung des
Ministeriums vor die Geheimdienstzentrale mitten in Moskau. Polizisten
führen die Protestierenden ab. Die Behörde trägt seit Monaten Medien,
Aktivist*innen und Journalist*innen in die Liste der „ausländischen
Agenten“ ein, mehr als 40 stehen mittlerweile darauf.
Für Russlands unabhängige Presse, aber auch für deren Konsument*innen
werden die Freiräume immer enger. „Es gibt in Russland zwei Realitäten, die
parallel existieren: das wahre Leben und die Agenda des Kremls“, sagt der
Doschd-Moderator Michail Fischman. „Diese Realitäten klaffen weit
auseinander, das merken immer mehr Menschen hier. Und so will der Kreml das
wahre Leben ausschalten, damit nur noch die eigene Agenda bleibt.“
Doschd zeigte immer wieder das „Leben“: Proteste gegen die Regierung,
Prozesse gegen Kreml-Kritiker, die willkürliche Jagd des Regimes auf
Andersdenkende. Keine Schönfärberei wie im Staatsfernsehen. Doschd ist ein
Störsender.
Zum „ausländischen Agenten“ erklärt Russland laut Gesetz all jene, die
politisch aktiv sind und aus dem Ausland finanziert werden. Was Doschd in
den Augen der Behörden zu einem politischen Aktivisten macht und warum der
in Russland registrierte und von Russ*innen getragene Sender als
„ausländisch finanziert“ gesehen wird, wissen die Doschd-Macher*innen
nicht. Sie sind nun gezwungen, jede ihrer Meldungen mit einem ellenlangen
Hinweis auf ihre „Agententätigkeit“ zu versehen und den Behörden eine
genaue Aufstellung ihrer Ausgaben zukommen zu lassen.
Einzelne Journalist*innen, die sich ebenfalls „Agenten“ nennen müssen,
trifft es noch härter, selbst wenn sie keiner journalistischen Arbeit mehr
nachgehen. Sie müssen selbst Teebeutel aufschreiben, die sie kaufen. Auf
der Seite des Justizministeriums kann jeder solche Rechenschaftsberichte
einsehen. Bei Fehlern drohen erst Geld-, später auch Haftstrafen.
## Werbeeinnahmen brechen ein
Dass die Listung mehr als nur Papierkram bedeutet, zeigt die Erfahrung, die
das [2][Internetmedium Meduza] machen musste, das im Mai zum „ausländischen
Agenten“ erklärt wurde. Die Werbekund*innen sprangen gänzlich ab, denn
auch sie hätten den „Agenten“-Hinweis bringen müssen. Meduza hat Gehälter
gekürzt, Mitarbeiter*innen verloren, sah sich in der Existenz bedroht.
Seitdem überlebt man mithilfe der Spenden von Leser*innen – wie lange,
das wissen die Macher*innen nicht.
Auch Doschd trotzte lange dem Druck des Kremls. Einst wurden die
„Regentropfen“, wie sich die Journalist*innen selbst bezeichnen, vom
Kabelnetz genommen, verloren Redaktionsräume wie Kolleg*innen. Sie gingen
schließlich in der Wohnung ihrer Gründerin auf Sendung. Heute finanziert
sich der Sender durch Bezahl-Abos, Spenden, Werbung und Projektgelder der
EU. Vielleicht sind es gerade diese Gelder, durch die der Sender auf die
„Agentenliste“ geriet. Niemand weiß es – [3][wie auch niemand weiß, wen…
Staat zum nächsten „Agenten“ macht].
22 Aug 2021
## LINKS
[1] https://tvrain.ru/
[2] https://meduza.io/
[3] /Repression-in-Russland/!5741775
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Russland
Schwerpunkt Pressefreiheit
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Duma
Russland
Wladimir Putin
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