# taz.de -- UN-Behindertenrechtskonvention: „Hochkritische“ Entwicklung | |
> Die UN-Behindertenrechtskonvention galt als Meilenstein zur | |
> Selbstbestimmung. Doch zehn Jahre später sieht es damit nicht gut aus. | |
Bild: Mittlerweile arbeiten mehr Menschen in Behindertenwerkstätten – wie hi… | |
BERLIN taz | Als vor zehn Jahren [1][die UN-Behindertenrechtskonvention | |
(UNBRK)] in Deutschland in Kraft trat, war Inklusion ein kaum bekannter | |
Fachbegriff und die Behindertenpolitik wurde traditionell dominiert vom | |
Fürsorge- statt vom Selbstbestimmungsprinzip. In dieser Hinsicht habe sich | |
Substanzielles getan, bilanzierte das Deutsche Institut für Menschenrechte | |
am Mittwoch in seinem 10-Jahres-Bericht. | |
Aber eine Dekade nach Inkrafttreten der UNBRK leben mehr Menschen in | |
Behindertenwohnheimen, [2][arbeiten mehr Menschen in | |
Behindertenwerkstätten] und ist die Quote der Kinder mit Behinderung, die | |
abseits des regulären Schulsystems unterrichtet werden, in einigen | |
Bundesländern sogar gestiegen. Als „hochkritisch“ bewertet Valentin | |
Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle UNBRK des Deutschen Instituts für | |
Menschenrechte, diese Entwicklung. | |
Kein anderer völkerrechtlicher Vertrag wurde je so schnell von so vielen | |
Staaten unterzeichnet wie die UNBRK: 177 Staaten und die EU haben sie seit | |
2008 ratifiziert, Deutschland gehörte zu den Erstunterzeichnern. Seit dem | |
26. März 2009 ist die UNBRK hierzulande rechtsverbindlich: Bund und Länder | |
haben demnach darauf hinzuwirken, dass Menschen mit Behinderung | |
gleichberechtigt zu allen Lebensbereichen Zugang haben. In Deutschland hat | |
jedeR Zehnte eine anerkannte Schwerbehinderung, im Sinne der UNBRK sind | |
sogar bis zu 25 Prozent aller Deutschen beeinträchtigt. | |
Die unabhängige Monitoring-Stelle am Deutschen Institut für Menschenrechte | |
überwacht im Auftrag der Bundesregierung die bundesweite Umsetzung der | |
UNBRK. In ihrer Bilanz hat sie nun Schlaglichter auf die wesentlichsten | |
Lebensbereiche geworfen. | |
## Fortschritte im Bereich Wohnen erzielt | |
So sind im Bereich Wohnen Fortschritte zu verzeichnen: Mehr Menschen leben | |
selbstbestimmter in eigenen Wohnungen – vor allem Menschen mit psychischer | |
Beeinträchtigung profitieren von dieser Entwicklung. Parallel dazu hat sich | |
allerdings auch die Zahl der Menschen, die stationär in Sondereinrichtungen | |
untergebracht sind, erhöht. Insgesamt leben über 60 Prozent der Menschen, | |
die Anspruch auf Hilfe zu einem selbstbestimmten Leben haben, in | |
Behindertenwohnheimen. | |
Mit der UNBRK, so der Bericht, sei das ebenso wenig vereinbar wie die | |
Tatsache, dass Behindertenwerkstätten für viele Menschen mit Behinderung | |
die einzige Option auf Beschäftigung ist. Die Anzahl der dort Beschäftigten | |
steigt seit Inkrafttreten der UNBRK kontinuierlich an und lag 2017 15 | |
Prozent über dem Wert von 2009. Zwar ist auch die Zahl der Unternehmen, die | |
Menschen mit Behinderung beschäftigen, gestiegen. | |
## Auch in Werkstätten bräuchte es Mindestlohn | |
Aber noch immer zahlen in Deutschland 37.000 Unternehmen lieber eine | |
Strafabgabe, als auch nur einen einzigen Menschen mit Behinderung | |
einzustellen. Um bestehende Sonderstrukturen abzubauen, wie es die UNBRK | |
verlangt, ist es laut Bericht unumgänglich, auch in Werkstätten | |
schrittweise den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Bislang verdienen | |
die dort Beschäftigten im Schnitt weniger als 200 Euro monatlich. | |
Auch in dem Bereich, der in Sachen Inklusion am meisten Schlagzeilen | |
machte, fällt die Bilanz durchwachsen aus: Die Quote der [3][SchülerInnen, | |
die nicht im regulären Schulsystem], sondern an Förderschulen unterrichtet | |
werden, ist seit 2009 nur minimal gesunken und in drei Bundesländern sogar | |
gestiegen. | |
Hoffnungslos ist man in der Monitoringstelle nicht: Gerade die zahlreichen | |
Aktionspläne zur Umsetzung der UNBRK auf Bundes- und Landesebene, die | |
Weiterentwicklung der Behindertengleichstellungsgesetze und [4][der | |
wahlrechtlichen Regelungen], die zunehmende Datensammlung zur | |
Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und vor allem ihre Beteiligung | |
an den sie betreffenden politischen Entscheidungen seien als große Erfolge | |
zu werten. Mit Folgen für die gesamte Gesellschaft. | |
„Deutschland hat sich durch die UN-Behindertenrechtskonvention positiv | |
verändert“, resümiert Valentin Aichele. Aber Barrieren blieben in allen | |
Lebensbereichen, und nur ein Teil von Politik und Gesellschaft nehme den | |
Auftrag der UNBRK wirklich ernst. Im Jahr 2020 soll der nächste | |
Kontrollbericht der Monitoring-Stelle erscheinen. | |
20 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/UN_Konventio… | |
[2] /Top-Ten-der-vernachlaessigten-Themen/!5482859 | |
[3] /Kommentar-Inklusion-an-Gymnasien/!5513747 | |
[4] /Beschluss-des-Bundesverfassungsgerichts/!5575209 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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