# taz.de -- Streit um Wiederaufbau von Karstadt: Der alte Glanz vom Hermannplat… | |
> In Berlin soll zwischen Kreuzberg und Neukölln das alte Karstadt-Gebäude | |
> rekonstruiert werden. Anwohner protestieren: Sie fürchten soziale Folgen. | |
Bild: Historisches Werbeplakat für Karstadt am Hermannplatz | |
Möchten Sie gegen den Abriss von Karstadt unterschreiben?“ Auf dem Gehweg | |
zwischen der Schaufensterfassade des Kaufhauses am Hermannplatz und einer | |
Kartoffelpufferbude haben Niloufar Tajeri und ihre Mitstreiter*innen von | |
der Initiative Hermannplatz ihren Infostand aufgebaut. Jeden | |
Donnerstagnachmittag stehen sie hier und sammeln Unterschriften gegen die | |
Pläne des österreichischen Immobilienkonzern Signa. | |
Einige Passant*innen winken ab, doch ein älterer Mann mit Pferdeschwanz hat | |
Interesse. Die Aktivist*innen brauchen keine Überzeugungsarbeit zu leisten, | |
der Mann greift direkt nach dem Stift. „So ein Schwachsinn“, kommentiert er | |
mit kratziger Stimme die Pläne des Investors, während er die Liste | |
unterschreibt. | |
Ginge es nach dem österreichischen Milliardär René Benko und der von ihm | |
gegründeten Signa-Group, würde das alte Karstadt-Gebäude hier an der Grenze | |
zwischen Kreuzberg und Neukölln komplett abgerissen. Das funktionale | |
Gebäude mit der Front aus Glas und grauem Beton soll einer Replik des | |
historischen Art-déco-Monumentalbaus aus den 20er Jahren weichen. Berichten | |
zufolge will Signa 450 Millionen Euro für den Neubau investieren. | |
Die Karstadt-Filiale soll erhalten, aber nicht vergrößert werden. Für die | |
erweiterte Fläche, die mit dem Neubau gewonnen würde, plant Signa eine | |
bisher nicht festgelegte Mischnutzung. Noch gibt es weder Bebauungsplan | |
noch Bauantrag. Doch Signa ist beharrlich – und will zunächst vor allem | |
politische Widerstände aus dem Weg räumen. | |
Die Ankündigung der Pläne Anfang 2019 hatten zunächst für Entzücken bei | |
Politik und Medien gesorgt. Von „architektonischem Glanz“ war die Rede, der | |
am Hermannplatz wieder erstehen solle. Die Konzeptzeichnungen des von Signa | |
beauftragten Star-Architekturbüros David Chipperfield Architects zeigen die | |
hochstrebende Fassade mitsamt Türmen, auf der Dachterrasse tanzen Pärchen | |
im Abendlicht. | |
Glanzvoll ist am Hermannplatz derzeit nur wenig. Mehrere große | |
Verkehrsadern laufen hier zusammen, die rechteckige Fläche dazwischen | |
wirkt, von mehrspurigen Straßen umringt, eher wie eine verbreiterte | |
Mittelinsel mit U-Bahn-Ausgang. Und tanzende Pärchen gibt es nur in Form | |
von Joachim Schmettaus Bronzeskulptur, die etwas verloren in der Mitte des | |
Platzes steht. Drumherum sorgen Marktbuden für geschäftiges Treiben, auch | |
Trinker*innen und Drogensüchtige finden hier Zuflucht. Die Polizei stuft | |
den Platz als kriminalitätsbelasteten Ort ein, an dem sie auch ohne | |
Begründung Kontrollen durchführen darf. | |
## Neuköllns Bürgermeister sieht Chance für den Bezirk | |
Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht deshalb in Signas | |
Engagement eine Chance für den Bezirk: „Grundsätzlich begrüßen wir die | |
Pläne“, sagt er der taz, „Karstadt kann langfristig erhalten werden und der | |
Hermannplatz wird belebt.“ Der spektakuläre Neubau hätte eine Magnetwirkung | |
für viele Berliner*innen außerhalb des Bezirks, gleichzeitig könne in | |
Abstimmung mit Signa in dem Gebäude „etwas für die umliegenden Quartiere | |
erreicht werden“. Außerdem sei das eine willkommene Gelegenheit, den | |
Hermannplatz umzugestalten. „Wenn nicht gerade Markt ist, bietet der Platz | |
wenig Aufenthaltsqualität“, so Hikel, man sei „umringt von Blech“. | |
Gegenüber von Karstadt auf der anderen Seite des Platzes betreibt Arno | |
Finkelmann ein Geschäft für Damenmode, seit über fünfzig Jahren. Eine | |
ältere Frau mit Mundschutz guckt sich im Geschäft um, ansonsten ist es | |
ruhig. Auch Finkelmann sieht Signas Umbaupläne positiv. Er hofft, dass der | |
Neubau neue Kundschaft für seinen Laden bringt: „Karstadt war nie | |
Konkurrent“, so der Ladeninhaber, „wichtig ist, dass das, was da hinkommt, | |
funktioniert.“ | |
Doch das geplante Zwanziger-Jahre-Revival sorgt im migrantisch geprägten | |
Neuköllner Norden auch für Unbehagen. „Diese Rekonstruktion ist eine | |
konservative und nostalgische Art, in die Vergangenheit zurückzuschauen, da | |
schwingen viele Dinge mit, die mir nicht gefallen“, erinnert sich Niloufar | |
Tajeri an ihre erste Reaktion auf Signas Pläne. „Gerade in diesem Kiez hat | |
das eine besondere Tragweite.“ | |
Tajeri ist Architektin und beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit | |
Architektur und Gentrifizierung. „Neukölln ist extrem von Verdrängung und | |
Aufwertung betroffen“, sagt sie. Zwischen 2007 und 2018 stiegen die Mieten | |
im Norden des Bezirks laut einer Erhebung des Portals Immobilienscout24 um | |
146 Prozent: der höchste Anstieg in ganz Berlin, und das, obwohl die | |
Bewohner*innen hier überdurchschnittlich oft arm sind. | |
„Die Angst ist, dass mit dem Neubau eine weitere Welle in Gang gesetzt | |
wird, die auch noch die letzten Verbliebenen verdrängt“, fasst Tajeri die | |
Sorgen vieler Anwohner*innen zusammen. Gefährdet sind nicht nur sie: Wenn | |
die vergrößerte Geschossfläche des Neubaus dafür genutzt wird, noch mehr | |
Einzelhandel anzusiedeln, könnte das die Konkurrenz für die umliegenden | |
Geschäfte verstärken. „Eine weitere Mall können wir dort nicht gebrauchen�… | |
sagt auch Bürgermeister Hikel, „entscheidend ist, was innen umgesetzt | |
wird.“ | |
## Ein „Landmark-Building“ | |
Doch selbst wenn Signa keinen einzigen zusätzlichen Quadratmeter | |
Gewerbefläche schaffen würde, würde der Neubau die Aufwertungsspirale | |
befeuern. Denn bei einer Rekonstruktion des alten Monumentalbaus würde am | |
Hermannplatz nicht nur ein Einkaufszentrum, sondern ein neues Wahrzeichen | |
entstehen. Solche Wahrzeichen, in Immobilienkreisen auch | |
„Landmark-Buildings“ genannt, erhöhen die Attraktivität weit über die | |
Grenzen eines Quartiers hinaus. Die Folge sind steigende Boden- und | |
Immobilienpreise, da die Nähe zur Landmarke wertsteigernd ist. | |
Ikonische Landmarken sind das Kerngeschäft der Signa Prime Selection AG, | |
die auch den Neubau am Hermannplatz plant. Die Prime Selection AG ist das | |
Aushängeschild von Benkos Firmengeflecht, in ihrem Portfolio finden sich | |
das KaDeWe in Schöneberg, der geplante Elbtower in Hamburg und sogar das | |
Chrysler Building in New York. | |
Durch den „Landmark“-Status kann Signa nicht nur höhere Mieten verlangen, | |
sondern erzielt vor allem Gewinne durch steigende Immobilienwerte. Signa | |
selbst wirbt online mit der „großen Strahlkraft“ seiner Immobilien. Auch | |
deshalb dürfte eine bloße Sanierung des alten Gebäudes wenig attraktiv für | |
den Investor sein. Interviewanfragen der taz dazu ließ Signa unbeantwortet. | |
Verheerend kann diese Strahlkraft vor allem für das mietrechtlich kaum | |
geschützte und rund um den Hermannplatz vor allem migrantische Kleingewerbe | |
sein: „Wir brauchen uns nur den Kottbusser Damm anzuschauen, da hat ein | |
Laden nach dem anderen zugemacht, weil damit spekuliert wird, dass die | |
nächsten Mieter das Dreifache zahlen“, sagt Tajeri. „Ein so großes Projekt | |
kann diese Entwicklung auf einen Schlag auch für die Karl-Marx-Straße und | |
die Sonnenallee in Gang setzen.“ Noch sind dort Afro- und Asia-Shops, | |
Modegeschäfte, die Hidschabs und Brautmode anbieten, Shishabars und | |
arabische Supermärkte ein allgegenwärtiger Anblick. | |
Seit über zehn Jahren wohnt die Aktivistin selbst in Neukölln. „Ich bin | |
hier bewusst hergezogen, hier gibt es eine migrantische Community, in der | |
ich mich wohl fühle“, sagt sie. Doch mit dem Verlust des Kleingewerbes | |
drohe diese wichtige Bezugspunkte zu verlieren. Die Bewohner*innen | |
entfremden sich von ihrem eigenen Viertel. „Verdrängung hat viele | |
Dimensionen“, erklärt Tajeri. | |
Einen weiteren Reizpunkt für die Aktivist*innen stellt die | |
skandalumwitterte Person René Benkos selbst dar. Der Signa-Gründer und | |
Selfmade-Milliardär soll nach eigener Erzählung seine ersten Millionen Ende | |
der Neunziger mit dem Ausbau von Dachböden zu Luxuswohnungen in Wien | |
gemacht haben. Seitdem vergrößerte er sein Imperium fortwährend und kaufte | |
unter anderem angeschlagene Einzelhandelsunternehmen auf, darunter | |
schrittweise auch Karstadt. | |
Trotz seiner Medienscheu machte Benko immer wieder negative Schlagzeilen. | |
2014 wurde er vom Obersten Gerichtshof in Wien wegen Korruption verurteilt | |
– und versuchte daraufhin, Medienberichte darüber juristisch zu | |
unterbinden. Die österreichische Rechercheplattform Addendum berichtet von | |
einem undurchsichtigen Geflecht von Firmen und Stiftungen, hinter den Benko | |
seine Geschäfte verbirgt. Der 43-Jährige sei auch bestens in der Politik | |
vernetzt. | |
Der wohl schwerwiegendste Skandal ereignete sich vor knapp einem Jahr, als | |
die Veröffentlichung des sogenannten Ibiza-Videos die Regierungskoalition | |
in Österreich in eine schwere Krise stürzte. Zu sehen war darin | |
Heinz-Christian Strache, der ehemalige Vizekanzler und Vorsitzende der | |
rechtspopulistischen FPÖ, wie er in einer Villa auf Ibiza offen über | |
Korruptionsversuche plauderte. Beiläufig erwähnte Strache, dass Benko der | |
FPÖ illegale Parteispenden zukommen ließe. | |
Zwar bestreiten sowohl Benko als auch Strache vehement, dass die Aussage im | |
Video der Wahrheit entspräche, doch allein die Möglichkeit, dass ein | |
rechts-sympathisierender Investor so maßgeblich in einem migrantisch | |
geprägten Stadteil wie Neukölln tätig wird, ist für die Aktivist*innen der | |
Initiative Hermannplatz eine Provokation. „Der Name Benko hat das Fass zum | |
Überlaufen gebracht.“ Viele aus der Initiative, so Tajeri, habe das | |
Ibiza-Video motiviert, sich gegen Signas Pläne zu engagieren: „So einen | |
wollen wir hier nicht.“ | |
Ein paar Meter von der Kartoffelpufferbude entfernt, vor der die | |
Aktivist*innen Unterschriften sammeln, ist auf dem Hermannplatz ein kleiner | |
Markt aufgebaut. Trotz Corona ist er gut besucht, die Händler*innen | |
profitieren vor allem vom Fußverkehr vor der U-Bahn-Station. Auch hier sind | |
die Meinungen zu Signas Plänen gespalten: „Das passt nicht zu uns. Die | |
Menschen, die hier wohnen, sind arm“, sagt Aburakba Fawzi. | |
Der ältere Herr betreibt seit 30 Jahren einen Kaffeestand auf dem | |
Hermannplatz, „einen Ku’damm gibt es in Berlin schon“, scherzt er. Ein | |
anderer Händler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, | |
befürwortet zumindest die optische Neugestaltung des Gebäudes: „Ich gucke | |
seit zehn Jahren auf dieses Haus und kann nichts Schönes daran erkennen.“ | |
„Ein Neubau würde einen kompletten Existenzverlust für mich bedeuten“, sa… | |
auch George Wojatzis, der Inhaber des Puffer-Imbisses. Seit 35 Jahren | |
betreibt er die kleine Bude auf dem breiten Gehweg der Hasenheide an der | |
Seite von Karstadt. Sie müsste wohl als erstes der Baustelle weichen. Etwas | |
Neues finden? „Bei den Mieten in der Umgebung, schwierig“, sagt Wojatzis. | |
Signa veranschlagte die Bauzeit in den ersten Ankündigen mit drei bis vier | |
Jahren, die Auswirkungen an so einem zentralen Platz wären gewaltig. | |
Während der Hermannplatz zu Neukölln gehört, ist das Grundstück, auf dem | |
das Karstadt-Gebäude steht, Teil des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. | |
Dessen Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) teilt die Befürchtungen der | |
Kritiker*innen und erteilte dem Projekt vergangenen August eine krachende | |
Absage: „Es handelt sich um eine ‚Mixed-Use-Immobilie‘, zum Teil mit dem | |
Charakter eines Shoppingcenters“, heißt es in der damaligen Presseerklärung | |
des Bezirks. „Die geplante Fassadenrekonstruktion ist nur noch eine Hülle | |
für ansonsten austauschbare Nutzungen.“ Schmidt sieht keinen Bedarf für den | |
Bezirk, den für ein solches Projekt notwendigen Bebauungsplan aufzustellen. | |
## Benko ist bekannt für seinen langen Atem | |
Doch Benko ist bekannt für seinen langen Atem. „Wir können unsere Projekte | |
mit sehr viel Geduld und guten Argumenten angehen. Bisher sind wir so immer | |
ans Ziel gekommen“, erklärte er im vergangenen November bei einem Vortrag | |
in der Industrie- und Handelskammer Berlin. | |
Wie Signa bei den Anwohner*innen um Unterstützung für das Neubauvorhaben | |
wirbt, zeigt ein Besuch im Hof des Karstadt-Gebäudes. Wo ehemals Parkplätze | |
waren, führt nun eine rote Fahrradstraße über den Innenhof und verbindet | |
die Urbanstraße mit der Hasenheide. Auf einer Betonauffahrt thront ein zu | |
einem Café ausgebauter Container – die „HRMNNBOX“. Der Ort wirkt, als h�… | |
man ein hippes Kreuzberger Café in den Innenhof von Karstadt verpflanzt, | |
mitsamt Holzpaletten-Möbeln und Dachterrasse. An diesem | |
Donnerstagnachmittag legt ein DJ Old-School-HipHop auf. Ein Sprayer | |
verschönert die Betonauffahrt, während ein Kamerateam von Signa ihn für ein | |
Promovideo filmt. | |
Die HRMNNBOX soll laut Signa „ein Ort des Austausches über die Zukunft des | |
Hermannplatzes sein“. Man kann dort nicht nur Kaffee trinken, sondern auch | |
Wünsche für das zukünftige Karstadtgebäude auf eine Steckwand schreiben. | |
„Sauna“, „Bienenstöcke“ und „Meditationsecke“ haben Besucher berei… | |
die Wand gepinnt. | |
Die Botschaft, die Signa damit senden will, lautet: Unsere Projekte sind | |
keine Gefahr für den Kiez, sondern bieten einen Mehrwert. Wenn schon auf | |
einem Parkplatz ein hippes Café, Urban Gardening und eine Fahrradwerkstatt | |
entstehen kann, welche Möglichkeiten bietet dann ein ganzer Neubau? | |
Die HRMNNBOX ist Teil des „Dialogs Hermannplatz“, einer Kampagne, mit der | |
Signa die Argumente der Kritiker*innen entkräften will. Beraten wird Signa | |
dabei von der PR-Firma des ehemaligen grünen Außenministers Joschka | |
Fischer. | |
Signa betont in Presseberichten und Gesprächen mit Politiker*innen, man | |
wolle das Gebäude zusammen mit den Anwohnenden entwickeln. Entsprechend | |
flexibel reagiert der Immobilienkonzern auf Kritik: Karstadt solle auf | |
jeden Fall erhalten und nicht verkleinert werden, statt weiterer | |
Einzelhandelsflächen solle Raum für Arztpraxen und Vereine geschaffen | |
werden, statt eines Hotels war zeitweilig von Sozialwohnungen die Rede, für | |
die der Neubau Platz böte. „Neben einer neuen Filiale soll eine breite | |
Angebotsvielfalt entstehen und die alltäglichen Bedarfe der Menschen | |
widerspiegeln“, erklärte Signa-Sprecher Sebastian Schmidt der taz. | |
„Signa fährt eine großangelegte Kampagne, die nicht mit Fakten, sondern mit | |
Emotionen spielt“, schätzt Tajeri die Taktik des Immobilienkonzerns ein. | |
„Dabei werden aber ganz grundlegende Dinge verschwiegen.“ So werde die | |
Frage, ob ein aufwendiger Abriss und Neubau überhaupt notwendig sei, von | |
Signa gar nicht erst diskutiert. Ein Dialogverfahren „auf Augenhöhe“ wäre | |
bei einer so ungleichen Ausgangslage nicht möglich, so Tajeri. | |
Auch Baustadtrat Schmidt zeigt sich gegenüber dem von Signa gewünschten | |
Beteiligungsprozess skeptisch: „Natürlich wäre ein Dialogverfahren mit der | |
Signa möglich“, so Schmidt gegenüber der taz, „allerdings gibt es | |
mittlerweile erhebliche Zweifel an der Möglichkeit, dies ergebnisoffen zu | |
führen.“ | |
## Keine endgültige Absage | |
Aber eine endgültige Absage an Signa erteilt selbst der vom Tagesspiegel | |
als „Investorenschreck“ betitelte Schmidt nicht. Der Baustadtrat betont, | |
dass der Bezirk nicht die notwendigen Kapazitäten habe, das sehr aufwendige | |
Dialogverfahren selbst durchzuführen. Tätig werden würde er nur, wenn ihm | |
die Bezirksverordnetenversammlung den Auftrag dazu erteilt: „Der einzige | |
Weg wäre aktuell, dass die Signa ihren Wunsch nach einem Dialogverfahren in | |
der BVV zur Diskussion stellt.“ | |
Der längste Hebel, den Signa für die Durchsetzung ihres Vorhabens besitzt, | |
dürfte aber der Fortbestand der Karstadt-Filiale selbst sein. Dass der | |
Standort am Hermannplatz erhalten werden muss, betonen alle beteiligten | |
Akteure – auch die Initiative und die Händler am Hermannplatz. Obwohl er zu | |
den umsatzstärkeren Filialen gehört und schwarze Zahlen schreibt, gehen | |
nach Angaben Signas die Gewinne seit Jahren zurück. | |
Nach der Übernahme durch Signa schaffte es Benko zwar, den Warenhauskonzern | |
wieder kurzzeitig in die Gewinnzone zu führen, doch erkauft wurde dies vor | |
allem durch Lohnverzicht der Beschäftigten. Und mit der Coronakrise geriet | |
der frisch fusionierte Konzern Galeria Kaufhof Karstadt abermals ins | |
Straucheln. Die Umsatzeinbußen durch den Lockdown gehen in die Milliarden. | |
Um den Konzern zu sanieren, leitete Signa schon Anfang April ein | |
Schutzschirmverfahren ein, eine mildere Form des Insolvenzverfahren in | |
Eigenregie. Medienberichten zufolge könnten bis zu die Hälfte der Filialen | |
von Schließung betroffen sein. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stellt | |
sich auf harte Verhandlungen ein. | |
„Für den langfristigen Fortbestand von Karstadt am Hermannplatz ist die | |
Umsetzung eines nachhaltigen Konzepts zwingend notwendig“, so | |
Signa-Sprecher Sebastian Schmidt. Die indirekte Botschaft lautet: Nur durch | |
einen Neubau kann der Standort erhalten werden. Signa wirbt damit, dass am | |
Hermannplatz eine Karstadt-Filiale der Zukunft entstehen werde, die das | |
Kaufhauskonzept wieder neu beleben soll. „Wichtig ist, dass wir wieder mehr | |
Emotion, mehr Erlebnis in die Innenstädte bringen. Das gelingt nur durch | |
Nutzungsvielfalt“, erklärt Signa-Manager Timo Herzberg in einem Interview | |
mit der Morgenpost. | |
Doch Expert*innen vermuten schon lange, dass Signa vor allem wegen der | |
Immobilien bei Karstadt eingestiegen ist. Die Coronakrise ist demnach eine | |
willkommene Gelegenheit, sich unprofitabler Filialen zu entledigen und sie | |
für eine gewinnbringendere gemischte Nutzung freizumachen. An eine erst im | |
vergangenen Dezember von Verdi erstrittene Standortgarantie für alle Häuser | |
bis 2025 ist Signa durch das Schutzschirmverfahren nicht mehr gebunden. Die | |
Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof ist ungewiss. Dennoch versichert | |
Signa: „Wir halten an unseren Plänen für das Projekt am Hermannplatz | |
unverändert fest.“ | |
Kaffeeverkäufer Aburakba hat wenig Hoffnung, was die Zukunft angeht: „Wenn | |
die reichen Leute ein Ziel haben, werden sie das erreichen.“ Tajeri und | |
ihre Mitstreiter*innen lassen sich trotz ihres mächtigen Gegners nicht | |
entmutigen: „Wenn die Zivilgesellschaft zusammenhält, können wir das | |
schaffen.“ | |
6 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
## TAGS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Karstadt | |
René Benko | |
Signa | |
Joschka Fischer | |
Neukölln | |
Kreuzberg | |
Florian Schmidt | |
Gentrifizierung | |
Signa | |
Karstadt | |
Karstadt | |
Hermannplatz | |
Karstadt | |
Karstadt | |
Karstadt | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Karstadt | |
Kaufhof | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Insolvenz bei Galeria-Karstadt-Kaufhof: Kaufhäuser dicht, Kasse gemacht | |
Im Zuge der Pleite könnten auch in Berlin Filialen schließen. Doch schon | |
längst ist die Krise des Warenhauskonzerns Teil eines dubiosen | |
Geschäftsmodells. | |
Karstadt-Gebäude in Neukölln: Kampf um den Hermannplatz | |
Der geplante Neubau des Karstadt-Warenhauses am Hermannplatz erhitzte die | |
Gemüter. Ein Masterplan soll die Details des Vorhabens festlegen. | |
Karstadt macht Shoppen schwer: Bummeln mit Kaufhausdetektiven | |
Karstadt am Hermannplatz schreibt schwarze Zahlen, hieß es noch kürzlich. | |
Doch großen Wert scheint man darauf nicht zu legen. | |
Linke-Politikerin über Karstadt-Deal: „Schamlos ausgenutzt“ | |
Im Deal zwischen Karstadt-Eigner Signa und Berlin hat sich die Stadt über | |
den Tisch ziehen lassen, sagt die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg. | |
Drei weitere Karstadt-Filialen bleiben: Es geht nicht um Arbeitsplätze | |
Der Berliner Senat präsentiert einen Deal zur Rettung von | |
Karstadt-Filialen. Gewinner ist dabei nicht die Stadt, sondern der | |
Immobilienkonzern Signa. | |
Kaufhäuser hoffen auf Mietsenkung: Der Kampf um Karstadt | |
Ob die Rettung einzelner Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen in Berlin | |
gelingt, ist weiterhin offen. Jobs werden wohl auf jeden Fall verloren | |
gehen. | |
Schließungen bei Karstadt Kaufhof: „Das ist Drama, Drama, Drama“ | |
Erika Ritter von Verdi über die angekündigte Schließung der Warenhäuser. | |
Für die Beschäftigten gibt es nur anderthalb Monatsgehälter Abfindung. | |
Sanierungsplan bei Galeria Kaufhof: Hälfte der Filialen soll schließen | |
Etwa 80 der knapp über 170 Warenhäuser sind vom Aus bedroht. Auch in den | |
übrig bleibenden Filialen soll Personal abgebaut werden. | |
Karstadt am Hermannplatz: Streit um alten Glanz | |
Investor, Senat und Neuköllner Bezirksbürgermeister sind begeistert vom | |
monumentalen Projekt. Die Zivilgesellschaft nicht. | |
Warnstreik bei Kaufhof: Schöne Bescherung | |
Mitten in der Adventszeit haben Beschäftigte der Warenhauskette die Arbeit | |
niedergelegt. Sie fordern eine Rückkehr in den Flächentarifvertag. |