# taz.de -- Streit um Migationspolitik: Bund soll mehr für Flüchtlinge zahlen | |
> Pro-Kopf-Pauschalen, schnelle Asylverfahren, eine bundesweite | |
> Bezahlkarte: Die Länderchef*innen haben sich auf Forderungen an die | |
> Ampel geeinigt. | |
Bild: Beim Geld ist man sich einig: Politiker Stephan Weil (SPD) und Boris Rhei… | |
BERLIN taz | Als Boris Rhein und Stephan Weil am Freitag nach dem Ende der | |
Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) in Frankfurt vor die Presse traten, | |
hatten die beiden neben der Verkündung ihrer Beschlüsse ganz offensichtlich | |
ein Ziel: die Geschlossenheit der Länderchef*innen über die | |
Parteigrenzen hinweg zu vermitteln. Und damit das Gefühl, dass die Politik | |
nicht nur streiten, sondern auch Probleme lösen kann – ganz besonders beim | |
Thema Migration. | |
Hessens CDU-Ministerpräsident Rhein, der neue Vorsitzende der MPK, lobte | |
jedenfalls erst einmal seinen Vorgänger Weil, der für die SPD Niedersachsen | |
regiert. Weil wiederum betonte die außergewöhnlich „ernsthafte und | |
problemorientierte“ Diskussion unter den Länderchef*innen aus fünf | |
Parteien und sagte mit Blick auf ihre politische Heterogenität: „Es ist | |
nicht selbstverständlich, dass wir am Ende dieser Konferenz sagen können: | |
Wir haben uns auf ein substanzielles Papier zu Fragen der Migration | |
geeinigt.“ | |
Konkret fordern die Ministerpräsident*innen in ihrem 15seitigen | |
Papier unter anderem deutlich mehr Geld für die Versorgung von | |
Geflüchteten, schnellere Asylverfahren und [1][die Einführung einer | |
bundesweiten Bezahlkarte.] | |
Bei der Finanzierung müsse sich der der Bund „signifikant bewegen, das ist | |
klar“, sagte Rhein. Die Länder fordern eine jährliche Pauschale pro Person | |
von mindestens 10.500 Euro, das ist doppelt so viel wie bislang vorgesehen. | |
Für das kommende Jahr hat die Bundesregierung den Ländern bislang nämlich | |
nur 1,25 Milliarden Euro fest zugesagt, in diesem Jahr waren es noch 3,75 | |
Milliarden. | |
## Bezahlkarte und Beschäftigung | |
Wobei sich die tatsächlichen Ausgaben von Ländern und Kommunen für 2023 | |
nach Angaben der Ministerpräsident*innen voraussichtlich auf über 23 | |
Milliarden Euro belaufen. Wichtig ist den Ländern ein „atmendes System“, in | |
dem die Unterstützung des Bundes mit der Anzahl der Asylsuchenden steigt. | |
Die Ländern fordern den Bund zudem auf, „eine bundesweit einheitliche | |
Bezahlkarte zu schaffen und dabei die Umsetzung in den Kommunen | |
sicherzustellen“. Eine solche Karte würde die umstrittene Umstellung von | |
Leistungen von Geld- auf Sachleistungen für Asylsuchende erleichtern. | |
Auch sollen nach dem Willen der Länder die bestehenden Hürden zur | |
Arbeitsaufnahme von Geflüchteten mit gesicherter Bleibeperspektive von der | |
Bundesregierung beseitigt werden; hier hat die Ampel gerade erste Schritte | |
angekündigt. „Die bereits bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, | |
Asylbewerbende zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen, sollen in breitem | |
Maße genutzt werden“, heißt es weiter. [2][Von einer Verschärfung dieser | |
Regelungen, die im Vorfeld gefordert wurden], ist jedoch im Papier nicht | |
die Rede. | |
## Maximal sechs Monate bis zur Abschiebung | |
Auch sollen nach Willen der Länderchef*innen die Asylverfahren von | |
Menschen mit geringer Bleibeperspektive künftig prioritär behandelt und so | |
beschleunigt werden. „Bund und Länder haben das gemeinsame Ziel, | |
Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote | |
weniger als fünf Prozent beträgt, zügiger als bisher rechtskräftig | |
abzuschließen“, heißt es. Das Asylverfahren und das darauf häufig folgende | |
Klageverfahren soll in jeweils drei Monaten abgeschlossen werden. | |
Sofern nötig, müssten dafür die personellen und organisatorischen | |
Voraussetzungen geschaffen werden. Bei den Asylverfahren ist der Bund in | |
der Pflicht, genauer gesagt das dem Bundesinnenministerium unterstellte | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die | |
Verwaltungsgerichtsverfahren betreffen die Justizbehörden der Länder. Weil | |
betonte, damit könne man sich die kontroversen Diskusssionen über die | |
Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsländer sparen. | |
Für den 6. November ist eine Runde der Länderchef*innen mit | |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geplant. Dann wird eine | |
Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel für die | |
Flüchtlingskosten erwartet. Rhein und Weil aber können schon am Abend dazu | |
mit Scholz direkt ins Gespräch kommen. Der Kanzler hat beide sowie CDU-Chef | |
Friedrich Merz zum Austausch ins Kanzleramt eingeladen. Ergebnisse werden | |
von diesem Treffen nicht erwartet. | |
## Bayern will mehr, Thüringen und Bremen weniger Härte | |
Ganz einig waren sich die Länderchef*innen auf ihrer Klausur allerdings | |
nicht. Bremen, Thüringen und Bayern haben jeweils eigene | |
Protokollerklärungen abgegeben. Das rot-grün-rot regierte Bremen betonte, | |
man sei gegen „diskriminierende Maßnahmen wie etwa weitere, über die | |
gegenwärtige Rechtslage hinausgehende, Arbeitspflichten oder Bezahlkarten, | |
die keine Bargeldabhebungen ermöglichen“. | |
Thüringen unter dem linken Ministerpräsdenten Bodo Ramelow mahnte an, | |
Arbeitsfähigen und -willigen rasch Zugang zu Beschäftigung zu gewähren. | |
Bayern wiederholte die von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bereits | |
geforderte „Integrationsgrenze“ und betonte, dafür seien „Rechtsänderun… | |
auch verfassungsrechtlicher Art“ zu prüfen und zu diskutieren. Man habe die | |
Protokollnotiz von Bayern zur Kenntnis genommen, sagte SPD-Mann Weil dazu. | |
Und: „Die alternativen Vorstellungen des Kollegen sind uns in der Konferenz | |
verborgen geblieben.“ | |
Auch die Bundesregierung war – wohl auch als Konsequenz auf die | |
Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen am Wochenende – bereits tätig | |
geworden. Innenminiserin Nancy Faeser (SPD) hatte am Mittwoch [3][einen | |
Gesetzentwurf vorgelegt, der Abschiebungen erleichtern soll] und dafür | |
zahlreiche Verschärfungen vorsieht, etwa die Abschiebehaft verlängern zu | |
wollen. Zugleich hat sich die Ampel-Koalition auf weitere Maßnahmen | |
verständigt. So sollen bestehende Arbeitsverbote für Geflüchtete gelockert | |
werden. | |
## Mehr Geld vom Bund gegen Sachleistungen | |
In dem Papier, das Scholz mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und | |
Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Dienstag besprochen hatte, wird | |
auch die Möglichkeit betont, dass Länder und Kommunen Sachleistungen statt | |
Geldleistungen gewähren können. Positiv aufgenommen werden auch die | |
Vorschläge aus den Ländern, arbeitsfähige Geflüchtete zu gemeinnütziger | |
Arbeit heranzuziehen. | |
Habeck sagte am Freitag in der ARD, dass er mit einer Zustimmung der grünen | |
Bundestagsfraktion zu diesem Paket rechne: „Ich habe das Verhandlungsmandat | |
gehabt.“ Er betonte, dass die mit Scholz und Lindner ausgehandelten | |
Beschlüsse nur als Paket kommen würden. Habeck wollte aber nicht | |
ausschließen, dass sich auf dem Weg bis zu einem Bundestags-Beschluss noch | |
„der ein oder andere Punkt“ ändern könne. Aus der grünen Bundestagsfrakt… | |
gab es bereits deutliche Kritik. | |
Lindner wiederum will den Wechsel von Sach- zu Geldleistungen zur Bedingung | |
für eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes machen. Die „Anreize des | |
Sozialsystems“ müssten reduziert werden, sagte er der Rheinischen Post. | |
„Deshalb kann die Kostenbeteiligung des Bundes nicht getrennt vom Wechsel | |
auf Sachleitungen geklärt werden.“ | |
13 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Bezahlkarten-fuer-Gefluechtete/!5950500 | |
[2] /Weitere-Verschaerfung-fuer-Gefluechtete/!5965956 | |
[3] /Gesetzentwurf-von-Innenministerin-Faeser/!5962720 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
## TAGS | |
Bundesländer | |
Migration | |
Finanzen | |
Schwerpunkt Flucht | |
Bund | |
Schwerpunkt Flucht | |
Asyl | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Finanzierung des BAMF: 87 Millionen zu wenig für Asyl-IT | |
Trotz hoher Antragszahlen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll | |
2024 drei Viertel seines Etats für IT-Dienstleistungen verlieren. | |
Asylpolitik in Deutschland: Kehrtwende an der Grenze | |
Nach dem Treffen von Kanzler Scholz und CDU-Chef Merz im Kanzleramt nähern | |
sich Regierung und Union in der Migrationspolitik an. | |
Grüne Oberbürgermeisterin zu Asylpolitik: „Akzeptanz ist weiter vorhanden“ | |
Auch Bonn stehe bei der Unterbringung Geflüchteter vor Herausforderungen, | |
sagt Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Populismus sei aber keine Lösung. | |
Verschärfung des Flüchtlingspolitik: Faeser forciert Abschiebungen | |
Die Bundesinnenministerin präsentiert einen Entwurf für beschleunigte | |
Abschiebungen. Mehrere Länder fordern eine Arbeitspflicht für Geflüchtete. | |
Bund-Länder-Treffen Flüchtlingspolitik: Zahlenschlacht vor Flüchtlingsgipfel | |
Die Länder wollen mehr Geld für die Versorgung von Geflüchteten – der Bund | |
lehnt das strikt ab. Vor dem Gipfel im Kanzleramt sind die Fronten | |
verhärtet. |