# taz.de -- Streik bei Amazon: Verdis aussichtsloser Arbeitskampf | |
> Die Gewerkschaft will bei Amazon einen Tarifvertrag durchsetzen. Doch der | |
> Konzern lehnt Verhandlungen ab. Was bleibt, sind Durchhalteparolen. | |
Bild: Das Geschäft brummt, nur die Löhne stimmen nicht | |
Es ist der traurigste Arbeitskampf Deutschlands. Aufgerufen von der | |
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sind mal wieder Beschäftigte des | |
Internetversandhändlers Amazon in den Streik getreten. Ein paar hundert | |
Mitarbeiter sind es diesmal, die noch bis einschließlich Samstag in den | |
beiden Logistikzentren im osthessischen Bad Hersfeld ihre Arbeit | |
niedergelegt haben. Doch auch dieser Ausstand wird sie nicht ihrer | |
Forderung nach einem Tarifvertrag näher bringen. Es ist ein Kampf David | |
gegen Goliath, nur ohne Happy End. | |
„Amazon feiert weltweit erfolgreichstes Weihnachtsgeschäft“, verkündete d… | |
Branchenprimus am Mittwoch stolz. Bundesweit beschäftigt Amazon rund 12.000 | |
fest angestellte Mitarbeiter, davon 4.000 in Bad Hersfeld. Hinzu kommen | |
derzeit noch 13.000 Saisonarbeitskräfte. Der Laden brummt. Daran wird auch | |
der neuerliche Ausstand nichts ändern. „Wir gehen davon aus, dass unsere | |
Aktionen Auswirkungen haben und wir Amazon Schwierigkeiten bereiten“, gibt | |
sich die örtliche Verdi-Sekretärin zwar gewohnt kämpferisch. Mit der | |
Realität hat das jedoch leider wenig zu tun. | |
Seit rund viereinhalb Jahren versucht Verdi mit einer [1][Strategie der | |
Nadelstiche], tarifvertraglich geschützte Einkommens- und | |
Arbeitsbedingungen bei Amazon durchzusetzen. Immer wieder ruft die | |
Gewerkschaft die Beschäftigten an einzelnen oder mehreren Amazon-Standorten | |
zu temporären Streiks auf. Doch bisher hat die Gewerkschaft nicht einmal | |
die Aufnahme von Gesprächen durchsetzen können. Der Konzern sitzt die | |
Auseinandersetzung einfach aus. | |
Das verwundert nicht. Es mangelt schlichtweg an einem ausreichenden | |
ökonomischen Druck. Die wiederkehrenden Streiks sorgen zwar für ein | |
konstantes negatives Grundrauschen, führen jedoch nicht zu schmerzhaften | |
Umsatzeinbrüchen – und die Kunden bekommen von den Arbeitsniederlegungen | |
praktisch nichts mit. Auch wenn Verdi trotzig darauf beharrt, dass der | |
Arbeitskampf wirke: Bislang fehlen Belege, wonach es zu spürbaren | |
Lieferverzögerungen oder gar Lieferausfällen gekommen ist. | |
## Lohnberechnung nach Gutsherrenart | |
Keine Frage, der Arbeitskampf der in Verdi organisierten | |
Amazon-Beschäftigten hat seine guten Gründe. Zu Recht prangert die | |
Gewerkschaft an, dass der US-Konzern, der seine europäische | |
Unternehmenszentrale in Luxemburg hat, gänzlich nach eigenem Gusto über das | |
Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen entscheidet. Der | |
manchesterkapitalistische Dogmatismus, mit dem Amazon seiner Belegschaft in | |
Deutschland einen Tarifvertrag verweigert, verträgt sich nicht mit der so | |
gern apostrophierten sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik. | |
Sozialpartnerschaftsfeindliche Arbeitgeber, die Arbeitsbedingungen wie | |
Gutsherren festlegen, passen weder in die heutige Zeit noch in die hiesigen | |
Verhältnisse. Und auch wenn sich Amazon gerne selbst als „guten | |
Arbeitgeber“ lobt, sieht die Realität für die Beschäftigten anders aus. | |
Kontrolle, Druck und Arbeitshetze bestimmen den Arbeitsalltag. Deswegen | |
wäre es äußerst wünschenswert, wenn der lange Arbeitskampf von Verdi | |
erfolgreich verlaufen würde. Auch wenn es auf den ersten Blick wie ein | |
Widerspruch erscheinen mag: Trotzdem war es falsch, ihn überhaupt | |
angefangen zu haben. Und so schmerzhaft es ist: Es wäre besser, diesen | |
Arbeitskampf in seiner gegenwärtigen Form schnellstmöglich zu beenden. Denn | |
es reicht eben noch nicht, berechtigte Ansprüche zu haben, um sie auch | |
durchsetzen zu können. | |
Ein Streik macht nur dann Sinn, wenn er effektiv ist. Deswegen überlegen | |
sich Gewerkschaften in der Regel vorab ganz genau, wann und wo sie dazu | |
aufrufen. So käme es ihnen nie in den Sinn, die Tageszeitungsjournalisten | |
zum unbefristeten Ausstand aufzurufen: zu gering der Organisationsgrad, zu | |
groß die Angst vor dem Scheitern. Da akzeptiert Verdi lieber Abschlüsse, | |
die entgegen den eigenen Forderungen weit unter denen in anderen Bereichen | |
liegen, beispielsweise im kampffähigeren öffentlichen Dienst. Eine völlig | |
übliche kühle wie pragmatische Abwägung. | |
Bei Amazon war das offenkundig anders. Entgegen den sonstigen | |
gewerkschaftlichen Gepflogenheiten spielten hier magerer Organisationsgrad | |
und mangelnde Kampfkraft keine Rolle. Im Gegenteil: Über den Streik sollte | |
beides erst hergestellt werden – ein Kamikazeunternehmen. Zwar konnte Verdi | |
im Laufe des Konflikts Mitglieder hinzugewinnen, aber bei Weitem nicht | |
genug, um den Versandriesen in die Bredouille zu bringen. Selbst zu | |
Mobilierungshochphasen beteiligte sich gerade mal knapp ein Fünftel der | |
Beschäftigten an den einzelnen Streikaktionen – wohlwollend gezählt. Bis | |
heute ist es Verdi nicht ein einziges Mal gelungen, alle elf deutschen | |
Amazon-Standorte gleichzeitig in den Arbeitskampf einzubeziehen. An einigen | |
wurde sogar noch nie gestreikt. Vom bislang letzten kollektiven Ausstand | |
anlässlich des „Black Friday“ am 24. November waren ganze sechs Standorte | |
betroffen. | |
Augenscheinlich fehlte es den Verdi-Funktionären bei ihrer Entscheidung für | |
die Streikstrategie an einer realistischen Einschätzung der | |
Kräfteverhältnisse. Fahrlässig wurde die Hartleibigkeit der Gegenseite | |
unter- und die eigene Mobilisierungsfähigkeit ebenso wie die negativen | |
Auswirkungen auf die Kunden überschätzt. Ohne sich eine Ausstiegsstrategie | |
zu überlegen, ist Verdi in einen Arbeitskampf gegangen, der unter den | |
gegebenen Bedingungen nicht zu gewinnen ist. | |
## Es fehlt an Ideen | |
Die Gewerkschaft steckt in einem Dilemma: Sie hat keine Idee mehr, wie sich | |
Amazon zum Einlenken bewegen lässt. Aber sie weiß auch nicht, wie sie ihren | |
Arbeitskampf beenden könnte, ohne als die große Verliererin dazustehen. Was | |
bleibt, sind Durchhalteparolen – und ein paar Meldungen in den Medien, die | |
von Mal zu Mal kürzer werden. Das ist bitter, denn die Beschäftigten hätten | |
Besseres verdient. | |
Was bleibt Verdi für ein Ausweg? So bitter es ist: Die Gewerkschaft wird | |
irgendwann ihre Niederlage eingestehen müssen. Und zwar am besten so | |
schnell wie möglich. Auch wenn das sicherlich für einigen Frust bei jenen | |
bewundernswerten Beschäftigten sorgen wird, die sich immer noch | |
unverdrossen wie aussichtslos an den Streikaktionen beteiligen. Je länger | |
die Gewerkschaft wartet, desto größer ist ihr Scheitern. Aber ihr wird | |
nichts anderes übrigbleiben, als sich darauf zu besinnen, dass auch für | |
Amazon gilt: Erst die Mitarbeiter organisieren, dann in den Arbeitskampf | |
ziehen. Allerdings gilt auch dann: vorher genau die Kräfteverhältnisse | |
analysieren. Denn es ist gut möglich, dass auch bei einer besseren | |
Organisierung in Deutschland die Chancen, Amazon in die Knie zu zwingen, | |
schlecht bleiben. Denn mittlerweile sind die Logistikzentren des Konzerns | |
europaweit so eng miteinander vernetzt, dass notfalls Aufträge im | |
benachbarten Ausland bearbeitet werden können. | |
Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit und die | |
Dienstleistungsgewerkschaft besinnt sich eines Besseren: auf ihren | |
Gründungsmythos. Als Verdi 2001 aus dem Zusammenschluss so verschiedenen | |
Gewerkschaften wie der HBV, der ÖTV, der IG Medien, der DAG und der | |
Deutschen Postgewerkschaft entstanden ist, war die gewaltige Macht | |
beschworen worden, die die Beschäftigten so vieler unterschiedlicher | |
Berufsgruppen und Branchen hätten – wenn sie nur zusammen an einem Strang | |
ziehen. Ein bis heute uneingelöstes Versprechen. | |
Doch genau diese Unterstützung der vielen anderen bräuchten jetzt die | |
Amazon-Kolleginnen und Kollegen. Verdi sollte sich endlich intensivere | |
Gedanken machen, wie sie zu realisieren ist. „Dieser Kampf hat die | |
Solidarität der gesamten Organisation“, behauptet der Verdi-Vorsitzende | |
Frank Bsirske unablässig. Es wäre an der Zeit, den schönen Worten auch | |
praktische Taten folgen zu lassen. Dass Amazon alles liefert, nur keinen | |
Tarif, bleibt ein Ärgernis. | |
28 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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