# taz.de -- Straßenumfrage zum Einbürgerungstest: Und wer wird diesmal ausgeb… | |
> Vor dem Erwerb der Staatsbürgerschaft wird künftig Wissen zu jüdischer | |
> Geschichte und Israel abgefragt. Hilft das, Antisemiten draußen zu | |
> halten? | |
Bild: Die Oranienbuger Straße in Berlin mit der Kuppel der Neuen Synagoge | |
Das jüdische Gebetshaus heißt Synagoge, die größten [1][jüdischen Gemeinden | |
in Deutschland] gibt es in Berlin und München, und [2][zur Vernichtung | |
Israels aufzurufen], ist hierzulande verboten. Nur, dass Sie Bescheid | |
wissen: Das sind die richtigen Antworten auf einige der Fragen, die das | |
Bundesinnenministerium für den neuen Katalog des [3][Einbürgerungstests] | |
entworfen hat. | |
Mit den zehn neuen Fragen zu jüdischer Geschichte, Israel und | |
Antisemitismus will die Politik im Lichte des Hamas-Massakers am 7. Oktober | |
und vermehrten antisemitischen Übergriffen Judenhasser ausfindig machen, | |
bevor sie eingebürgert werden. Der Spiegel, der als Erstes über den neuen | |
Katalog berichtete, schrieb [4][in seiner Dachzeile]: „Schutz vor | |
Antisemiten“. Ähnlich äußerte sich auch Innenministerin Nancy Faeser: „W… | |
unsere Werte nicht teilt, kann keinen deutschen Pass bekommen.“ Und weiter: | |
„Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenverachtung | |
schließen eine Einbürgerung aus.“ | |
Nun lässt sich sicherlich anzweifeln, ob das Abfragen von Tatsachen in | |
Bezug auf Israel und Jüdinnen wirklich davor schützen kann, dass | |
Antisemiten den deutschen Pass erhalten. Ich würde annehmen, dass Menschen | |
mit einem antisemitischen Weltbild wahrscheinlich überdurchschnittlich gut | |
Bescheid wissen, wann etwa der Staat Israel gegründet wurde. | |
Aber eins nach dem anderen. Zunächst wollte ich wissen, wie gut die | |
Menschen in Berlin die neuen Wissensfragen beantworten können. Die | |
geschäftigen Passantinnen an der Friedrichstraße zum Reden zu bekommen war | |
dabei gar nicht so einfach. Eine ältere Dame möchte nichts mit | |
Einbürgerungstests zu tun haben. „Hören Sie mal, ick wohn seit vierzig | |
Jahren in Berlin, da brauchen sie mich nicht einbürgern“, schimpft sie. | |
„Ick halte von der Scheiße nichts.“ Ob sie Einbürgerungen an sich oder die | |
dafür notwendigen Tests meinte, ließ sich auf die Schnelle nicht mehr | |
klären. | |
## Entglittene Gesichtszüge | |
Ein älterer Herr dagegen ist etwas zu gesprächsbereit. Er will lieber über | |
die großen Menschheitsfragen wie Umwelt und Religion sprechen, anstatt | |
meine langweiligen Quizfragen zu beantworten. Als er dann vom „sogenannten | |
Holocaust“ redet, ordne ich meine entglittenen Gesichtszüge neu, berichte | |
von meinem neuerlichen Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und | |
sage, ich muss jetzt wirklich mit meiner Umfrage weitermachen. | |
Bei der kam raus: Trotz vorgegebener Multiple-Choice-Antworten wusste | |
keiner der zehn von mir Befragten, vor wie vielen Jahren es erstmals eine | |
jüdische Gemeinde auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gab (richtig: | |
vor etwa 1.700 Jahren). Sechs Passanten konnten mir hingegen sagen, auf | |
welcher rechtlichen Grundlage der Staat Israel gegründet wurde: einer | |
Resolution der Vereinten Nationen. Und auf das richtige Strafmaß für | |
[5][Holocaustleugnung] hierzulande – Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren | |
oder Geldstrafe – tippte die Hälfte der zehn Teilnehmerinnen. | |
Trotz teilweiser Wissenslücken (und einem dringenden | |
Antisemitismusverdacht) habe ich von keinem der Befragten den Pass | |
eingefordert: Auch wegen der Erfahrungen der Nazizeit liegen die Hürden für | |
eine Ausbürgerung hoch. Gleichzeitig wird der Einbürgerungstest auch keine | |
Hürde für Antisemiten sein, egal was Nancy Faeser sagt. Der neue Vorstoß | |
zeigt nur einmal mehr die bürokratische Behäbigkeit und Selbstgefälligkeit | |
des deutschen Staates im Umgang mit Antisemitismus. Ein Umgang, der im | |
schlimmsten Fall dazu führt, dass er Migrantinnen unter Generalverdacht | |
stellt. | |
Ein solches Beigeschmäckle hat der neue Einbürgerungskatalog auch, | |
wenngleich er bei Weitem nicht das eklatanteste Beispiel ist. | |
Sachsen-Anhalt etwa fordert Migranten vor der Einbürgerung nun auf, sich | |
zum „Existenzrecht“ Israels zu bekennen – ohnehin ein merkwürdiges Konze… | |
das anzunehmen scheint, dass Staaten für sich selbst ein Daseinsrecht | |
hätten und nicht vielmehr Völker ein Selbstbestimmungsrecht, was einzig | |
Sinn ergibt. | |
Denken Sie auch an die reihenweise Verbote propalästinensischer | |
Kundgebungen in Deutschland, übrigens auch schon vor dem 7. Oktober. Aus | |
meinem Bekanntenkreis habe ich von Syrern mit palästinensischen Wurzeln | |
gehört, die demonstrieren wollten, aber nicht gingen, weil sie Angst | |
hatten, abgeschoben zu werden. Diese Angst ist zum Glück noch unbegründet. | |
Doch sie wird sicherlich angeheizt durch die völkischen Forderungen aus der | |
AfD, Staatsbürger:innen mit nicht-deutschem Hintergrund massenhaft zu | |
deportieren, sowie durch den härteren Migrationskurs, mit dem auch die | |
etablierten Parteien jetzt kokettieren. | |
Bei dieser Gemengelage wundert es kaum, dass sich viele arabischstämmige | |
Menschen [6][derzeit von Deutschland entfremden.] Auch diese Entwicklung | |
sollte die Gesellschaft ernst nehmen – was den Kampf gegen Antisemitismus | |
nicht in Abrede stellt, im Gegenteil. Der neue Fragenkatalog tut leider | |
nichts davon. Aber immerhin können die Verantwortlichen so tun, als ob. | |
30 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Juedische-Stimmen-nach-Demonstrationen/!5968622 | |
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/antisemitismus-und-fake-ne… | |
[3] /Neue-Fragen-im-Einbuergerungstest/!5997937 | |
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/holocaust-israel-judentum-diese-… | |
[5] /Antisemitismus-Debatte/!5873055 | |
[6] /Palaestinenserinnen-in-Deutschland/!5972938 | |
## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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