# taz.de -- Reform des Staatsangehörigkeitsrechts: Kein Pass für benachteilig… | |
> Die Ampel will Einbürgerungen erleichtern. Zugleich droht eine | |
> Verschärfung, die vor allem Frauen und Menschen mit Behinderung treffen | |
> könnte. | |
Bild: Einbürgerungsfest in Erfurt: Die Ampel will schneller einbürgern, aber … | |
BERLIN taz | Ich hoffe, dass wir bleiben dürfen“, sagt Hafsa Shamalieh. | |
„Ohne die Angst, immer wieder vor neuen befristeten Aufenthalten oder einer | |
Abschiebung zu stehen.“ Vor zehn Jahren kam die Syrerin mit ihrer | |
schwerbehinderten Tochter nach Deutschland. Shamalieh lebt heute getrennt | |
von ihrem Mann und ist alleinerziehend. Ihr Ex-Mann ist mittlerweile | |
Deutscher. Vor zwei Jahren hat auch Shamalieh die Einbürgerung beantragt. | |
Sie wartet immer noch auf eine Entscheidung. Doch wenn es nach der | |
Bundesregierung geht, wird es in Kürze weder für sie noch für ihre Tochter | |
möglich sein, Deutsche zu werden. | |
[1][Das Staatsangehörigkeitsrecht soll reformiert werden]. Die Reform soll | |
schnellere Einbürgerung ermöglichen und somit den Zugang zu | |
gesellschaftlicher und demokratischer Teilhabe für Menschen erleichtern, | |
die bereits lange in Deutschland leben. Nach dem Entwurf soll eine | |
Einbürgerung künftig in der Regel schon nach fünf Jahren möglich sein, | |
statt wie bisher nach acht Jahren. Bei besonderen Integrationsleistungen | |
und fortgeschrittenen Sprachkenntnissen könnte sie sogar nach drei Jahren | |
erfolgen. | |
Auch die doppelte Staatsangehörigkeit soll möglich werden. Für die | |
sogenannte Gastarbeitergeneration soll zudem auf den Deutsch- und | |
Einbürgerungstest verzichtet werden. Jedoch gibt es eine geplante Änderung, | |
die diese fortschrittlichen Reformvorschläge [2][aus der Sicht von | |
Kritikern regelrecht in den Schatten stellt]: Die Regelungen zum | |
Lebensunterhalt sollen deutlich verschärft werden. | |
Eine der Voraussetzungen, um eingebürgert zu werden, ist schon jetzt die | |
wirtschaftliche Integration, also das selbstständige Finanzieren des Lebens | |
ohne staatliche Hilfe. Wer diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann in der | |
Regel nicht eingebürgert werden. | |
## Die Ausnahme fällt weg | |
Bisher gilt dabei aber eine wichtige Ausnahme: Die Einbürgerungswillige | |
darf Sozialleistungen beziehen, wenn sie für deren Bezug nicht selbst | |
verantwortlich ist. Das betrifft zum Beispiel viele Alleinerziehende, | |
Rentner*innen, Menschen mit Behinderungen und ihre pflegenden Angehörigen. | |
Also Menschen wie Hafsa Shamalieh, die sich als pflegende Angehörige rund | |
um die Uhr um ihre Tochter kümmert, die eine Förderschule besucht und den | |
höchsten Pflegegrad fünf hat. | |
Doch gerade diese Ausnahmeregelung soll in Zukunft nur noch für drei | |
konkrete Personengruppen gelten: die sogenannte „Gastarbeitergeneration“; | |
dann alle, die in Vollzeit arbeiten und es in den letzten zwei Jahren | |
mindestens 20 Monate getan haben und trotzdem auf Sozialleistungen | |
angewiesen sind; sowie Familien im Sozialleistungsbezug, bei denen ein | |
Elternteil in Vollzeit arbeitet und der andere ein minderjähriges Kind | |
betreut. | |
Das dürfte den Einbürgerungswunsch von Hafsa Shamalieh und ihrer | |
behinderten Tochter zunichtemachen. Neben der Pflege und Organisation ihrer | |
schwerbehinderten Tochter ist eine zusätzliche Vollzeittätigkeit für sie | |
nicht möglich. „Am Mittwoch hatte sie ihre Routineuntersuchung im | |
Krankenhaus. Am Freitag musste ich mit ihr zum Orthopäden, weil sie eine | |
Wirbelsäulenkrümmung entwickelt hat“, berichtet Shamalieh aus ihrem Alltag. | |
Dazu kommen regelmäßige Behördengänge, das Beschaffen von Attesten und | |
Rezepten für die Förderschule sowie Medikamente. „Es ist immer | |
irgendetwas.“ | |
Shamaliehs Tochter benötigt Rundumbetreuung. Sie wird über eine Magensonde | |
ernährt, muss regelmäßig länger ins Krankenhaus. Als alleinerziehende | |
pflegende Angehörige ist Shamalieh auf Sozialleistungen angewiesen. Wenn es | |
nach der Bundesregierung geht, ist eine Einbürgerung für sie wie auch für | |
ihre Tochter künftig ausgeschlossen. | |
## Ausnahmen nur für manche | |
Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung, für Fälle wie dem von Shamalieh | |
und ihrer Tochter könne künftig die Härtefallregelung aus Paragraf 8 Absatz | |
2 des Staatsangehörigkeitsrechts greifen. Die Entscheidung darüber obliege | |
aber den Behörden, einen Anspruch gebe es nicht. Diese Härtefallregelung | |
werde bisher schon sehr restriktiv ausgelegt, [3][erklärt die | |
Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman]. Sie sei | |
nicht ausreichend, um das Diskriminierungsrisiko zu beseitigen. Ataman | |
fordert eine klarstellende Regelung im Gesetzestext selbst, um | |
Rechtssicherheit zu gewährleisten. | |
Dass einige Personengruppen gegenüber anderen bevorzugt behandelt werden | |
sollen, könnte vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes gegen das | |
verfassungsrechtliche Willkürverbot verstoßen. Die geplante Verschärfung | |
knüpft zwar nicht unmittelbar an die Diskriminierungsmerkmale der | |
Behinderung, des Geschlechts oder des Alters an. Die Annahme einer | |
mittelbaren Diskriminierung drängt sich allerdings auf, besonders wenn es | |
um Frauen geht, die die Einbürgerung anstreben und sich in prekären | |
Lebenssituationen befinden. | |
Denn noch immer sind überwiegend Frauen alleinerziehend oder pflegen | |
Angehörige und können daher regelmäßig nicht in Vollzeit arbeiten, sodass | |
sie auf Leistungen angewiesen sind. Nur 10 Prozent der Frauen in | |
Deutschland verdienen mehr als 2.000 Euro netto. Weil Frauen aufgrund ihres | |
niedrigen Einkommens zu Erwerbszeiten weniger Rentenpunkte sammeln, müssen | |
viele im Alter ihre Rente aufstocken, also Sozialleistungen beziehen. | |
Die vorgesehene Verschärfung missachtet zudem die Belange von Menschen mit | |
Behinderung, die ebenfalls häufig auf Sozialleistungen angewiesen sind. | |
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass niemand wegen | |
seiner Behinderung benachteiligt werden darf. „Der Gesetzentwurf würde im | |
Fall seiner Verwirklichung gegen die UN-Behindertenrechtskonvention | |
verstoßen und wäre unserer Einschätzung nach auch verfassungswidrig“, | |
kritisiert Karsten Dietze von Handicap International. | |
## Die FDP ist zufrieden | |
Auch innerhalb der Ampelkoalition gibt es Kritik am Gesetzentwurf aus dem | |
Hause der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). In der [4][ersten | |
Lesung im Bundestag] drangen Abgeordnete von SPD und Grünen vergangene | |
Woche auf eine Überarbeitung des Entwurfs. Filiz Polat (Grüne) unterstrich, | |
dass die Reform nicht gegen gleichheitsrechtliche Prinzipien verstoßen | |
dürfe. Hakan Demir (SPD) erklärte, auch er könne „nicht ganz | |
nachvollziehen, warum wir einer Mutter, die ihr Kind pflegt, oder Menschen | |
mit Behinderung das Recht auf Einbürgerung absprechen sollten. Darüber | |
müssen wir noch miteinander sprechen.“ | |
Die FPD hingegen beharrt auf der Regelung und möchte nicht nachbessern. | |
Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte vielmehr: „Es ist richtig, | |
dass hart arbeitende Menschen schneller Staatsbürger werden können, jedoch | |
werden die Kriterien für die Einbürgerung insgesamt verschärft. Wer als | |
Ausländer von Sozialleistungen lebt, wird künftig kein Staatsbürger mehr | |
werden können.“ | |
Schon in der kommenden Sitzungswoche, der letzten des Jahres, will die | |
Ampel das Gesetz beschließen. Viele, die lange auf eine solche Reform | |
gewartet haben, hoffen nun, dass der Bundestag in dieser Zeit nicht nur | |
formale Korrekturen vornimmt, sondern die Gelegenheit nutzt, die | |
Lebensrealitäten der Schwächsten in der Gesellschaft mitzuberücksichtigen. | |
Während der ersten Lesung im Bundestag protestierte das [5][Bündnis | |
„Pass(t) uns allen“] vor dem Reichstagsgebäude: Die Reform müsse „an die | |
Realitäten einer vielfältigen und demokratischen Migrationsgesellschaft“ | |
angepasst werden, fordert das Bündnis. Man dürfe diese „historische Chance | |
nicht verpassen“. | |
4 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gesetzentwurf-zur-Staatsbuergerschaft/!5935662 | |
[2] /Migrationspolitik-in-Deutschland/!5936881 | |
[3] https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/Sonstiges… | |
[4] /Migrationspolitik-im-Bundestag/!5973295 | |
[5] https://passtunsallen.de/ | |
## AUTOREN | |
Farnaz Nasiriamini | |
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