# taz.de -- Staatsleistungen an die Kirchen: Nicht in bester Verfassung | |
> Mit fragwürdiger historischer Begründung kassieren die Kirchen jährlich | |
> Millionensummen. Grüne, FDP und Linkspartei wollen das jetzt ändern. | |
Bild: Geben ist seliger als nehmen? Damit haben es die deutschen Bischöfe in d… | |
BERLIN taz | Grüne, FDP und Linkspartei im Bundestag nehmen einen erneuten | |
Anlauf, historisch begründete jährliche Zahlungen in dreistelliger | |
Millionenhöhe an die beiden christlichen Großkirchen zu beenden. Am Freitag | |
stellten die religionspolitischen Sprecher:innen der drei | |
Oppositionsfraktionen in Berlin einen gemeinsamen Entwurf zur Ablösung der | |
sogenannten Staatsleistungen vor. Damit würde ein 101 Jahre alter | |
Verfassungsauftrag erfüllt. | |
„Es ist nicht vermittelbar, warum die Kirchen bis in alle Ewigkeit Gelder | |
erhalten, die aus geschichtlichen Ereignissen herrühren, die länger als 200 | |
Jahre zurückliegen“, begründete die Linksparteilerin Christine Buchholz die | |
grün-gelb-rote Initiative. Es sei „an der Zeit, dass der Staat endlich dem | |
Anspruch der weltanschaulichen Neutralität gerecht wird.“ | |
So sah das auch FDP-Mann Stefan Ruppert: „Der Fall, dass jemand nicht | |
Mitglied einer Kirche ist, aber durch sein Steuergeld diese Kirchen | |
mitfinanziert, der ist natürlich auf Dauer nicht mehr zu vermitteln.“ | |
Der interfraktionelle Entwurf für ein sogenanntes Grundsätzegesetz | |
definiert für die Bundesländer einen Rahmen für die Ablösung der | |
antiquierten Zahlungen. Er sei „aus einem langen Abstimmungsprozess | |
hervorgegangen, in den sowohl die Koalitionsparteien als auch | |
Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen | |
einbezogen waren“, sagte der Grüne Konstatin von Notz. Dabei legte er Wert | |
auf die Feststellung: „Das ist kein Schritt gegen die Kirchen.“ | |
Ein solches Grundsätzegesetz würde es den Ländern ermöglichen, „ihrer | |
Pflicht zur Ablösung rechtssicher nachkommen zu können“, sagte von Notz. | |
Laut Entwurf hätten sie fünf Jahre Zeit, auf dieser Grundlage eigene | |
Gesetze zur Ablösung ihrer Staatsleistungen zu erlassen. Die Ablösung | |
selbst sollte binnen 20 Jahren abgeschlossen sein – bei einem Inkrafttreten | |
des Grundsätzegesetzes in diesem Jahr also bis 2040. | |
## Mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr | |
Bisher werden die die beiden christlichen Religionsgemeinschaften großzügig | |
vom Staat alimentiert. Alleine im vergangenen Jahr konnten sie knapp 549 | |
Millionen Euro einstreichen. Die evangelischen Landeskirchen durften sich | |
über 320,3 Millionen, die katholischen Bistümer über 228,2 Millionen Euro | |
freuen. Insgesamt summieren sich die Zahlungen seit Inkrafttreten des | |
Grundgesetzes 1949 auf mehr als 18 Milliarden Euro. | |
Bezahlt wurden und werden die Staatsleistungen von den Bundesländern. Die | |
Höhe wird jährlich angepasst und orientiert sich an den | |
Beamt:innengehältern. Spitzenreiter ist Baden-Württemberg mit mehr als 125 | |
Millionen Euro, gefolgt von Bayern mit rund 99 und Rheinland-Pfalz mit | |
knapp 60 Millionen Euro. Nur Hamburg und Bremen sparen sich aus | |
hanseatischer Kaufmannstradition heraus diese Transferleistungen an die | |
Kirchen. | |
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um die Zuwendungen | |
für kirchliche Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser oder karitative | |
Einrichtungen. Ebenso wenig fallen die staatliche Bezahlung von | |
Theologieprofessor:innen, Religionslehrer:innen oder | |
Militärseelsorger:innen darunter – obwohl sich darüber ebenfalls trefflich | |
streiten ließe. Auch explizit nicht dazu gehören sowohl Staatsleistungen, | |
die nach 1919 erfolgt sind, als auch die Leistungen an den Zentralrat der | |
Juden und die Jüdischen Gemeinden. | |
## Fragwürdige Rechtstitel aus vordemokratischen Zeiten | |
Abgelöst werden sollen vielmehr jene staatlichen Zahlungsverpflichtungen, | |
die sich aus höchst fragwürdigen vordemokratischen Rechtstiteln herleiten, | |
etwa aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 oder dem Bayerischen | |
Konkordat von 1817. Diesen historisch begründeten Dotationen liegt ein | |
unübersichtliches Gemisch aus Ansprüchen zugrunde. Sie resultieren | |
einerseits aus der Säkularisierung kirchlicher Güter, andererseits aber | |
auch aus schnöden Deals der damaligen Fürsten und Könige mit den | |
Kirchenoberhäuptern: Anerkennung der staatlichen Obrigkeit seitens der | |
Kirche gegen staatliche Alimentierung der kirchlichen Würdenträger. | |
Mit dem Ende des Kaiserreichs sollte damit eigentlich Schluss sein. Die | |
Nationalversammlung 1919 wollte nicht nur die Staatskirche abschaffen, | |
sondern Kirche und Staat auch finanziell entflechten. Sichergestellt werden | |
sollte das durch den Artikel 138 der Weimarer Verfassung: „Die auf Gesetz, | |
Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die | |
Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die | |
Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Der liberale Abgeordnete | |
Friedrich Naumann begrüßte das seinerzeit. Die Ablösung sei „unser aller | |
Wunsch“. | |
## Erster Anlauf gescheitert | |
Doch manche Wünsche, auch wenn sie Verfassungsrang haben, bleiben Träume. | |
Aus dem Reich wurde die Bundesrepublik, aus der Weimarer Verfassung das | |
Grundgesetz. Der Ablösungsauftrag blieb bestehen. Die Bestimmung des | |
Artikels 138 der Weimarer Verfassung ist „Bestandteil dieses | |
Grundgesetzes“, heißt es nun im Artikel 140. | |
Trotzdem wurde dieser Auftrag bis heute nicht erfüllt. Selbst die Deutsche | |
Demokratische Republik zahlte bis zu ihrem Ableben weiter brav | |
Staatsleistungen an die Kirchen, durchschnittlich 15,4 Millionen DDR-Mark | |
pro Jahr. | |
Ein erster Versuch, dem Auftrag des Grundgesetzes doch noch gerecht zu | |
werden, scheiterte im Sommer 2013. im Bundestag. Gerade 40 Sekunden | |
benötigte der Bundestag seinerzeit, um den lästigen Tagesordnungspunkt | |
abzuhandeln. Im Schnellverfahren ohne Aussprache votierten die Fraktionen | |
von Union, FDP, SPD und Grünen gegen einen Gesetzentwurf der Linkspartei, | |
der den Einstieg in den Ausstieg aus den historisch begründeten | |
Staatsleistungen an die Kirchen bedeutet hätte. | |
Nun unternimmt die Linkspartei zusammen mit den Grünen und der FDP einen | |
erneuten Anlauf, um die skandalöse staatliche Alimentierungspraxis zu | |
beenden. Denn es sei schlicht „nicht vermittelbar, warum der | |
Verfassungsauftrag aus der Weimarer Reichsverfassung zur Ablösung der | |
Staatsleistungen auch 100 Jahre später immer noch nicht erfüllt wurde“, | |
sagte die Linkspartei-Abgeordnete Buchholz. Auch wenn die Forderungen der | |
Linkspartei weitergehend seien, wäre der gemeinsame Gesetzentwurf „ein | |
wichtiger Schritt in die richtige Richtung“. | |
## Unterschiedliche Berechnungen | |
Die Linkspartei hatte in ihrem früheren eigenen Entwurf „eine einmalige | |
Entschädigungszahlung in Höhe des zehnfachen des zum Zeitpunkt des | |
Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten Jahresbeitrags“ vorgesehen. Das | |
wären zum damaligen Zeitpunkt rund 4,81 Milliarden Euro gewesen. Der neue | |
Gesetzentwurf sieht nun als Ablösesumme das 18,6fache der derzeit jährlich | |
zu leistenden Zahlungen vor. Das wären mehr als 10,2 Milliarden Euro. | |
Allerdings träumen die Kirchen noch von ganz anderen Summen aus, die ihnen | |
im Fall der Fälle zustehen würden. Die Vorstellungen reichen vom 25- bis | |
zum 40fachen der jährlichen Staatszahlungen. Die Begründung für solch | |
horrende Ansprüche liefern ihnen Staatskirchenrechtler wie Ansgar Hense. Es | |
handele sich nicht um Tilgungsleistungen, argumentiert der Direktor des | |
Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, „sondern um | |
Unterhaltsverpflichtungen“. | |
Dabei ist strittig, ob den Kirchen überhaupt eine Entschädigung zustände. | |
Die Humanistische Union etwa vertritt seit langem schon die Auffassung: | |
Wenn es je berechtigte Ansprüche gegeben habe, seien sie mit den seit 1919 | |
geleisteten Zahlungen mehr als erfüllt. | |
Kritik an dem Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Linkspartei kommt denn auch | |
vom Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BAStA), dem auch die | |
Humanistische Union angehört. „Ein ernstzunehmender Anlauf zur Ablösung der | |
Staatsleistungen und zur Erfüllung des Verfassungsauftrags war schon lange | |
überfällig“, sagte Bündnissprecher Johann-Albrecht Haupt. Doch der | |
vorgelegte Entwurf sei „meilenweit entfernt von einer gerechten Lösung“. | |
Grüne, FDP und Linkspartei wollen, dass ihr Gesetzentwurf bereits in der | |
nächsten Sitzungswoche des Bundestags diskutiert wird. Die | |
Erfolgsaussichten, ihn durch das Parlament zu bringen, stehen indes | |
schlecht. Die Regierungskoalition sieht weiterhin keinen Handlungsbedarf. | |
„Wir haben derzeit wichtigere Themen“, sagte der SPD-Kirchenpolitiker Lars | |
Castellucci dem Evangelischen Pressedienst (epd). So wie seit 1949 stets. | |
13 Mar 2020 | |
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Pascal Beucker | |
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