| # taz.de -- Spielzeitbeginn Deutsches Theater Berlin: Von Osten wirkt das Unive… | |
| > Das DT Berlin zeigt „Weltall Erde Mensch“ von Alexander Eisenach. Damit | |
| > setzt die neue Intendantin, Iris Laufenberg, ganz unprätentiös auf | |
| > Bewährtes. | |
| Bild: Science-Fiction auf der Bühne: Darstellerinnen mit futuristischen Anzüg… | |
| „Ein wenig Pathos gehört zu einem Neuanfang dazu. „Leute, die ihr geboren | |
| wurdet, aber noch nicht gestorben seid. Eilt und macht euch auf in das | |
| Schauspielhaus!“, ruft der Schauspieler Felix Goeser aufgeregt dem Publikum | |
| zu und wirbt einmal mehr dafür, sich selbst zu erkennen. „Die Dramen der | |
| Vergangenheit erzählen euch, wer ihr wart. Die Dramen außerhalb der Zeit | |
| erzählen, wer ihr seid, die des Gegenwärtigen, wer ihr sein könntet!“ Es | |
| waltet mithin keine falsche Bescheidenheit. Theater, wie hier gepriesen, | |
| ist eine Zeitmaschine, konstruiert, um Auskunft zu geben über die | |
| Potenziale der Leute, die da unten im Zuschauerraum sitzen, wie die der | |
| Gattung schlechthin. | |
| „Weltall Erde Mensch“ heißt die Stückentwicklung, mit der Regisseur | |
| Alexander Eisenach die neue Intendanz von Iris Laufenberg am Deutschen | |
| Theater einläutet. Der Titel referiert auf ein Buch, das die DDR viele | |
| Jahre lang [1][zur Jugendweihe] verschenkte. Zu Beginn begrüßt das Ensemble | |
| die jungen Genossen im Saal und preist die Segnungen der letzten 1.000 | |
| Jahre Sozialismus. | |
| Denn in dieser Zukunftserzählung haben Lenins Erben gesiegt. Die | |
| Produktionsmittel sind fest in den Händen der Arbeiterschaft, die | |
| Gesellschaft kennt keine Klassen mehr und die Wirtschaft ist potent genug, | |
| um sogar ferne Planeten zu besiedeln. Es scheint, als wäre die Geschichte | |
| an ihrem seligen Ende angekommen, aber weit gefehlt. Ein Nebenwiderspruch | |
| ist weiterhin unaufgelöst, das Patriarchat hat die Revolution bestens | |
| überstanden, weswegen die Frauenfiguren weiterhin sexuell, emotional und | |
| wirtschaftlich ausgebeutet werden. | |
| In den Genuss, sich eigenen Interessen zu widmen, kommen in diesem | |
| Kommunismus nur die Männer. Zum Beispiel Felix Goeser und Florian Köhler, | |
| die sich, von einer Livekamera aufgenommen, in einer Miniaturkulisse des | |
| Cafés Moskau in eine Diskussion über den Zusammenhang von Parallelwelten | |
| und orthodoxem Marxismus hineinsteigern. | |
| ## Ein Hauch von Volksbühne | |
| Ein Hauch von Volksbühne weht da durch das Deutsche Theater. So ähnlich | |
| hätte auch eine Szene bei René Pollesch oder Frank Castorf verlaufen | |
| können. Man kennt diese Anleihen schon von Alexander Eisenach. Zwar nicht | |
| am Rosa-Luxemburg-Platz, aber am Berliner Ensemble hat er in den letzten | |
| Jahren gearbeitet. | |
| Es überrascht, dass ausgerechnet er die große Eröffnungsinszenierung der | |
| neuen Intendanz verantwortet. Während andere Leitungen, sobald sie ein Haus | |
| übernehmen, gerne alles neu und anders machen wollen, die meisten | |
| Schauspieler:Innen austauschen, Logo und Corporate Design überarbeiten, | |
| mitunter sogar den Namen des Theaters ändern, setzt Iris Laufenberg ganz | |
| unprätentiös auf Bewährtes oder zumindest Bekanntes. | |
| Durchaus ähnlich verhält es sich mit dieser Inszenierung, die zwar mit | |
| großem Ehrgeiz antritt, die Volksbühnenästhetik mit einer Stückentwicklung, | |
| Science-Fiction mit den Einschränkungen der Bühne und Ideengeschichte mit | |
| Albernheit zu versöhnen, dabei jedoch nicht wirklich etwas Neues entstehen | |
| lässt, sich vielmehr in der Wiederholung einrichtet. | |
| Lang und länglich sind die Szenen, in denen Anja Schneider als unglückliche | |
| Ehefrau ihr Leid klagt, Lorena Handschin sich als Opfer des Penisneids | |
| outet und Julischka Eichel zum Krieg gegen Männer aufruft. Das wirkt | |
| theaterästhetisch auch ein wenig angestaubt. Feministische Bühnenkunst | |
| setzt dieser Tage zumeist auf Autofiktion oder körperliche | |
| Grenzerfahrungen. Die Darstellerinnen stehen mit ihren eigenen Geschichten | |
| und Körpern für die Forderung nach gesellschaftlichen Veränderungen ein. | |
| ## Ein paar Jahrzehnte politischer Kampf | |
| Recht konventionell wirken dagegen Eisenachs Figuren, deren Agitation den | |
| realen Unrechtsverhältnissen zumal hinterherhinken, weil das Fremdmaterial | |
| in dieser Stückentwicklung schon ein paar Jahrzehnte politischen Kampf | |
| hinter sich hat. Er bedient sich unter anderem bei Joanna Russ’ Roman | |
| „Planet der Frauen“ aus dem Jahr 1975. | |
| Auf eben diesen reist nach der Pause das Ensemble. In einer plüschigen | |
| Comicwelt werden Männer hier zu fernsteuerbaren Maschinen umoperiert oder | |
| gleich gemeuchelt, um eine nun aber wirklich herrschaftsfreie Gesellschaft | |
| von Frauen zu garantieren. Problem gelöst? Jedenfalls fasert die ohnehin | |
| äußerst bruchstückhafte Handlung schnell aus. Zum Schluss fordert Sarah | |
| Franke [2][unter Rückgriff auf Ursula K. Le Guins Essay „Am Anfang war der | |
| Beutel“,] die Menschheitsgeschichte noch einmal anders zu erzählen, also | |
| nicht mit Fokus auf männliche Gewalt, auf Helden und Krieg. Eine | |
| vortreffliche Idee! Allerdings verfinge sie sicher stärker, wären die vier | |
| Stunden zuvor erzählerisch und intellektuell zwingender gewesen. Wie war’s | |
| also im Weltraum? Öde, Genossen. | |
| 19 Sep 2023 | |
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