| # taz.de -- Spielfilm „Undine“ auf der Berlinale: Das romantische Gefühl | |
| > Christian Petzolds „Undine“ ist ein existenzialistischer Liebesfilm. Er | |
| > spielt vor der Kulisse einer restaurativen Berliner Gegenwart – aber mit | |
| > Nixe. | |
| Bild: Undine (Paula Beer) vor einem Stadtmodell von Berlin | |
| Berlin taz | Humboldt Forum, Preußen-Renaissance, AfD – man kann verstehen, | |
| dass es Regisseur Christian Petzold angesichts der Gegenwart in | |
| Unterwassenwelten zieht. Für seinen Spielfim „Undine“ (Wettbewerb) greift | |
| der preisgekrönte Filmemacher nun auf ältere Mythen und Märchenerzählungen | |
| zurück. Und er mixt diese mit der neuen Berliner Realität. Das birgt | |
| Tauchgänge an den Industriedenkmälern des alten Westens (Staudämme an der | |
| Wupper) sowie Exkursionen in der neuen Mitte Berlins zur aktuellen | |
| Stadtentwicklung der Hauptstadt. | |
| Dabei ist „Undine“ vor allem und zuerst ein Liebesdrama, mythisch | |
| aufgeladen. Denn nach altgriechischer oder germanischer Sage wird der | |
| Liebesverrat des Mannes von dem weiblichen Wassergeist mit dem Tod | |
| bestraft. Zumindest könnte er das werden. | |
| [1][Paula Beer] spielt in Petzolds parabelhaft angelegter Geschichte die | |
| „Undine“, die Mensch gewordene Wassernymphe, deren Schicksal laut | |
| Überlieferung vorherbestimmt sei. Als junge Stadthistorikerin der Gegenwart | |
| erklärt sie Besuchergruppen im Museum vor Modellen die [2][stadtplanerische | |
| Entwicklung Berlins]. In ihrer kühlen analytischen Art bleibt das nicht | |
| ohne Witz. Berlin wuchs ursprünglich vom Osten in den Westen. | |
| Als der bisherige Geliebte Johannes ihr beim Kaffee unterbreitet, dass er | |
| sie verlassen müsse, sagt diese von Paula Beer überzeugend dargestellte | |
| Undine surreal anmutende Sätze wie: Du weißt schon, dass ich dich jetzt | |
| töten muss. Das könnte verpeilt klingen, ist es aber nicht. Beer verkörpert | |
| in ihrer Rolle eine zugespitzte Form eines idealistisch vorgestellten | |
| „wahren“ Empfindens. In der Zuspitzung liegt zugleich die Möglichkeit zur | |
| Dekonstruktion. | |
| Immunisierende Liebe | |
| Undine lernt den Industrietaucher Christoph ([3][Franz Rogowski]) kennen. | |
| Ein berstendes Aquarium und eine kleine Figur, die an Héctor Oesterhelds | |
| „Eternauta“ erinnert, später, und die beiden sind ein unzertrennliches | |
| neues Liebespaar. Christoph ist wie Undine fähig, intensiv zu fühlen und zu | |
| lieben. | |
| Beide verbindet fortan eine gegen Einflüsse aus der Außenwelt | |
| immunisierende Liebe. Ein tiefes romantisches (oder impressionistisches?) | |
| Gefühl, die tiefe Empathie füreinander, ohne die es die unbedingte und | |
| rätselhafte Leidenschaft und Liebe nicht gibt. Das Problem solcher | |
| emotionaler Intensität ist jedoch, dass da besser nichts schiefgehen | |
| sollte. Die Transzendenz hat ihre Grenzen vor den Unwägbarkeiten | |
| alltäglicher Läufe. Der Mensch ist nur ein Mensch, gerade unter Wasser und | |
| im Angesicht fossil erscheinender schnurrbärtiger Welse. | |
| 2018 hatte Petzold mit [4][„Transit“] einen der meistdiskutierten Beiträge | |
| im Berlinale-Wettbewerb geliefert. Seine Adaption des gleichnamigen | |
| Flüchtlings- und Exilromans von Anna Seghers überraschte filmisch und war | |
| für viele der ästhetisch pointierte Kommentar zu Neonationalismus und | |
| „Flüchtlingskrise“ in Europa. | |
| „Undine“ scheint nun eine Umdrehung weiter – und vielleicht auch in der | |
| Introvertiertheit des Films pessimistischer – zu sein. Die | |
| „Vergangenheitszerstörung“, wie Petzold sie im Interview nennt, die | |
| restaurative Preußen-Renaissance in Berlins neuer Mitte, kontert der | |
| Regisseur mit seinen mythisch aufgeladenen Unterwasserwelten. | |
| Unterwasserwelten als Kommentar zur Gegenwart | |
| Seine indirekte Methode der Kritik – die Verweigerung herkömmlicher | |
| Bildwelten – erscheint so als ein starker Kommentar zur Gegenwart. Bessere | |
| andere Wirklichkeiten kreieren, um darin abweichende Gefühlswelten und | |
| Haltungen zu beschwören. Unter dem Wasser liegt der Strand. „Man hat das | |
| Gefühl, wahnsinnig gewordene Modelleisenbahner planten den Potsdamer | |
| Platz“, gibt der Regisseur im Presseinterview zu den Berliner Oberwelten zu | |
| Protokoll. „Und darunter im Wasser sind noch Reste vom alten Zauber zu | |
| spüren.“ | |
| Petzold zielt auf einen „Jules-Vernes-Charakter“ als Residuum. | |
| Industrietaucher Christoph gelingt es jedenfalls mit Undine, „so glücklich | |
| zu sein“, wie er „noch nie war“. Wäre da nicht dieser rätselhafte antike | |
| Fluch und dieser Einbruch der Wirklichkeiten, über den kein | |
| Bach-Cembalokonzert in d-Moll und auch keine Manet-artige | |
| Liebespaar-Einstellung vor Wasserwelten hinwegtäuschen kann – und auch | |
| nicht soll. | |
| Petzold und seine Hauptdarsteller scheinen sichtlich Spaß beim Spiel mit | |
| diesen gehabt zu haben. Eine von Liebeskummer befallene Undine hört in | |
| ihrem bescheidenen Apartment nahe dem Alexanderplatz (architektonisches | |
| Überbleibsel der DDR-Moderne) den aus der Zeit gefallenen Disco-Hit | |
| „Stayin’ Alive“. Die Bee Gees von 1977: „Ah, ha, ha, ha, stayin’ aliv… | |
| stayin' alive // Ah, ha, ha, ha, stayin' alive“. | |
| Wer ihn einmal gehört hat, wird ihn schwerlich vergessen. „Stayin’ Alive“ | |
| entspricht auch der Taktfrequenz, die für Herzdruckmassagen empfohlen wird. | |
| Der Song als Taktgeber für die Wiederbelebung. Beim Menschen funktioniert | |
| das. Aber bei einem Wassergeist? Mit der wahren Romantik gegen die neuen | |
| Preußen. | |
| 24 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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