Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- US-Film im Berlinale-Wettbewerb: Zu jung, um Mutter zu sein
> Überzeugend und brisant: Eliza Hittmans „Never Rarely Sometimes Always“
> erzählt von einem ungewollt schwangeren Teenager.
Bild: Auf großer Fahrt: Sidney Flanigan als Teenager in Not
Auch im US-amerikanischen Wahlkampf 2020 wird das Recht auf Abtreibung
[1][eines der polarisierenden Themen bleiben]. Seit dem Grundsatzurteil
„Roe vs. Wade“ im Jahr 1973 ist der Schwangerschaftsabbruch in den USA
erlaubt. Ein ergänzendes Urteil von 1992 schreibt seitdem eine
obligatorische Beratung für die betroffenen Frauen vor. Doch die Gegner der
liberalen Gesetzgebung gewinnen unter der aktuellen Regierung Trump weiter
an Einfluss. Besonders in den ländlich geprägten konservativen
Bundesstaaten sieht die Realität für Frauen, die sich einen
Schwangerschaftsabbruch wünschen, längst anders aus.
Eliza Hittmans Spielfilm „Never Rarely Sometimes Always“ handelt von der
Herausforderung einer ungewollten Teenager-Schwangerschaft in der Provinz
Pennsylvanias. Autumn und ihre Familie leben im Arbeitermilieu einer
Kleinstadt. Nach der Schule jobbt die 17-Jährige mit ihrer Cousine Skylar
an der Kasse eines Supermarkts. Stoisch ertragen beide die Anzüglichkeiten
ihres Chefs genauso wie die chauvinistischen Sprüche der gleichaltrigen
Jungs oder der Väter. Doch als die verschlossene Autumn ihre
Schwangerschaft bemerkt, ist sie entschlossen, gegen alle Widerstände für
ihr zukünftiges Leben eine andere Entscheidung zu treffen. Um die geplante
Abtreibung vor ihrer Familie geheim halten zu können, begibt sie sich mit
Skylar auf die Reise nach New York.
Mit knappem Budget und einem sperrigen Rollkoffer unterwegs, beginnt für
die beiden jungen Frauen eine 48-stündige Odyssee durch die Großstadt, die
sich ihnen schmucklos in Busterminals, Subway-Stationen oder nächtlichen
Automatenhallen präsentiert. In eindrücklichen Bildern schildert Hittman
Anstrengungen ihrer Protagonistin um Selbstbestimmung. Mit wenigen Dialogen
gelingt es den jungen Laienschauspielerinnen Sidney Flanigan und Talia
Ryder überzeugend, die stille Übereinkunft und innige Verbindung zwischen
der Autumn und ihrer Cousine Skylar darzustellen.
Als sich für Autumn herausstellt, dass sie sich bereits in der 18.
Schwangerschaftswoche befindet, wird sie für in eine zweite ambulante
Klinik nach Manhattan überwiesen. Dort begegnen ihr die Frauen mit
professioneller Routine und sachlicher Hilfsbereitschaft. In der
titelgebenden Schlüsselszene wird die schwangere Jugendliche vor dem
Eingriff zu ihren Erfahrungen von Sexualität und Gewalt befragt, auf die
sie nur vage mit „niemals“, „selten“, „manchmal“ oder „immer“ a…
soll. Für einen kurzen Augenblick scheinen hinter Autumns Gefasstheit in
dieser intimen Situation die Erfahrungen sexueller Demütigung und große
Verletzlichkeit hervor.
## Übermüdet von Bowlingbahn zu Karaokebar
Viel länger als geplant und ohne Geld für die Rückfahrt müssen die beiden
Cousinen eine weitere Nacht in der anonymen Metropole rumkriegen. Mit einem
Studenten, einer Zufallsbekanntschaft Skylars, der ihnen begeistert von
Downtown Manhattan vorschwärmt, ziehen sie übermüdet von Bowlingbahn zu
Karaokebar. Dort entflieht Autumn nur für einen Song ihrer starren
Erschöpfung – „Tonight is the time for all my tears“ – und sammelt Kra…
für die letzten Etappe ihrer Unternehmung.
Bereits in dem viel beachteten Coming-of-Age-Drama „Beach Rats“ von 2017
beschrieb die New Yorker Filmemacherin Hittman ohne Optimismus das
schwierige homosexuelle Erwachen eines Halbstarken im kleinbürgerlichen
Umfeld von Brooklyn. Mit „Never Rarely Sometimes Always“ gelingt Hittman
das präzises Porträt ihrer unangepassten Protagonistin Autumn in einer
unaufgeklärten Gesellschaft mit vielen Hindernissen.
Anlässlich der Weltpremiere auf dem Sundance Film Festival im Januar sprach
Eliza Hittman in einem Interview davon, wie sie nach der Amtseinsetzung des
Abtreibungsgegners Donald Trump den Moment gekommen sah, die Idee zu ihrem
Drehbuch nach Jahren wieder aufzugreifen. Und so grüßt auch das Konterfei
des US-Präsident in einer kurzen Szene als Plastikfigur aus dem
Schaufenster. Autumn und Skylar bemerken ihn nicht.
26 Feb 2020
## LINKS
[1] /Anti-Abtreibungskundgebung-in-USA/!5659316
## AUTOREN
Eva-Christina Meier
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Spielfilm
Schwerpunkt Abtreibung
Donald Trump
Spielfilm
Feminismus
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Berlinale
## ARTIKEL ZUM THEMA
Regisseurin Eliza Hittman über Abtreibung: „Viele sind noch so ungeformt“
Die Regisseurin Eliza Hittman hat mit „Niemals Selten Manchmal Immer“ einen
Film über Abtreibung in den USA gedreht. Sie besetzte ihn mit Laien.
Frauen im Berlinale-Wettbewerb: Der Herr der Schöpfung selbst
Regisseurin Sally Potter ist Feministin, doch in ihrem Film „The Roads Not
Taken“ absorbiert ein Mann jede Aufmerksamkeit für die Frauen.
Neuverfilmung „Berlin Alexanderplatz“: Er will ein guter Mensch sein
Burhan Qurbanis in der Gegenwart angesiedelte Verfilmung von „Berlin
Alexanderplatz“ eröffnet der Hauptfigur Francis neue Möglichkeiten
(Wettbewerb).
„Todos os mortos“ bei der Berlinale: Die Geister der Vergangenheit
Der Film „Todos os mortos“ von Caetano Gotardo und Marco Dutra verhandelt
das Erbe der brasilianischen Sklaverei mit viel Symbolik (Wettbewerb).
Spielfilm „Undine“ auf der Berlinale: Das romantische Gefühl
Christian Petzolds „Undine“ ist ein existenzialistischer Liebesfilm. Er
spielt vor der Kulisse einer restaurativen Berliner Gegenwart – aber mit
Nixe.
US-Film im Wettbewerb der Berlinale: Bäckerglück im Wilden Westen
Kelly Reichardts „First Cow“ ist ein ruhig erzählter Western über zwei
Außenseiter. Er stellt genretypische Gewissheiten neu infrage.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.