# taz.de -- „Todos os mortos“ bei der Berlinale: Die Geister der Vergangenh… | |
> Der Film „Todos os mortos“ von Caetano Gotardo und Marco Dutra | |
> verhandelt das Erbe der brasilianischen Sklaverei mit viel Symbolik | |
> (Wettbewerb). | |
Bild: Das Foto zeigt: Mawusi Tulani (links) und Agyei Augusto (rechts) | |
Als mit Josefina die letzte Hausdienerin der Familie Soares stirbt, | |
realisieren Isabel und ihre erwachsenen Töchter María und Ana, dass ihr | |
privilegiertes Leben auf der Kaffeeplantage endgültig der Vergangenheit | |
angehört. Längst wohnen die drei Frauen nach dem Bankrott des ländlichen | |
Familienbesitzes in der nun prosperierenden Stadt São Paulo. | |
„Todos os mortos“ (dt.: All die Toten), der erste gemeinsame Spielfilm von | |
Caetano Gotardo und [1][Marco Dutra], erzählt vom gesellschaftlichen | |
Wandel Brasiliens zum Ausklang des 19. Jahrhunderts – zehn Jahre nach der | |
endgültigen Abschaffung der Sklaverei. Er verbindet die dekadente | |
Entwicklung der Frauen Soares mit dem Schicksal der ehemaligen Sklavin Ida | |
und ihres frei geborenen Sohnes João im urbanen Umfeld São Paulos. | |
Doch Gotardo und Dutra entscheiden sich im Drehbuch dafür, die Konflikte | |
dieses historischen Umbruchs in eher spirituelle Bereiche zu verlagern und | |
symbolisch mit Bedeutung aufzuladen. Um „all die Toten“ (Sklaven) der | |
Vergangenheit zu vertreiben, die der psychisch instabilen Ana regelmäßig im | |
Haus erscheinen, sieht sich ihre Schwester María – eine Nonne und Lehrerin | |
– gezwungen, Ida (Mawusi Tulani) zu Hilfe in die Stadt zu holen. | |
Die religiösen Rituale ihrer afrikanischen Vorfahren, in denen die | |
Verbindung zu den Geistern gesucht wird, sollen die auch sonst labile | |
Schwester beruhigen. Ana, die ihre Tage am Piano verbringt, das Haus nie | |
verlässt und für eine Heirat nicht mehr vorgesehen ist, gibt in ihrer | |
vermeintlichen Entrücktheit dem tief empfundenen Rassismus ihrer Klasse | |
eine Stimme. | |
## Kammerspielartiges Setting | |
Trotzdem bleibt ihre Figur, dargestellt von Carolina Bianchi, recht | |
oberflächlich gezeichnet. Und auch die übrigen Protagonisten in„Todos os | |
mortos“ treten kaum als wirkliche Individuen, sondern vor allem als | |
Vertreter der ihnen zugewiesenen Rollen in Erscheinung. Das wirkt in dem | |
kammerspielartig angelegten Setting trotz inhaltlich interessanter Details | |
eher hölzern und vorhersehbar. So steht Idas Rückbesinnung auf die Religion | |
ihrer Vorfahren vor allem für die Selbstbehauptung einer eigenen | |
afrobrasilianischen Identität in einer sich neu formierenden städtischen | |
Gesellschaft. | |
Auch den Kunstgriff der beiden Regisseure, die historische Erzählung mit | |
der Szenerie des zeitgenössischen São Paulo zu kombinieren und dadurch auf | |
die Kontinuität der Geschichte zu verweisen, konnte man überzeugender | |
zuletzt in „Transit“ erleben, Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag auf der | |
68. Berlinale. | |
Zusammen mit Juliana Rojas erhielt der Regisseur Marco Dutra 2017 für das | |
Horrordrama „As boas maneiras“ den Silbernen Löwen in Locarno. Vermutlich | |
hat ihn dies mit seinem neuen Spielfilm für die Teilnahme am Berliner | |
Wettbewerb empfohlen. Schließlich nimmt auch in „Todos os mortos“ die | |
Handlung gegen Ende zunehmend dunkle Züge an. Nicht ohne unfreiwillige | |
Komik verwandelt sich die schon blutarm wirkende Ana in der Schlusssequenz | |
in eine Art Gothic-Wesen aus der Unterwelt. | |
24 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neuer-Horrorfilm-aus-Brasilien/!5519819 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Brasilien | |
Film | |
US-Sklaverei-Geschichte | |
Unterdrückung | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Film über folgenreichen Lynchmord: Wille zur Würdigung | |
US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung: Chinonye Chukwu erzählt die | |
Ermordung Emmett Tills in „Till – Kampf um die Wahrheit“ nach. | |
Afroamerikanische Feministin: Maryland Underground | |
In den USA ist Harriet Tubman eine Legende. Die „Underground Railroad“-Tour | |
führt zu den Schauplätzen ihres Lebens. | |
US-Film im Berlinale-Wettbewerb: Zu jung, um Mutter zu sein | |
Überzeugend und brisant: Eliza Hittmans „Never Rarely Sometimes Always“ | |
erzählt von einem ungewollt schwangeren Teenager. | |
Film über Landleben in Brasilien: Ein Herz für Rinder | |
Ländliches Leben, Viehdiebe, Freundschaft und Rodeo: Davon erzählt der | |
Spielfilm „Querência“ von Helvécio Marins Jr. | |
Spielfilm „Una mujer fantástica“: Nicht Salsa, nicht Merengue | |
In Sebastián Lelios „Una mujer fantástica“ stellt sich eine | |
Transgender-Frau gegen die Ignoranz der chilenischen Gesellschaft. |