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# taz.de -- Spekulativer Leerstand in Berlin: Leer ist lukrativer
> Eine Kampagne prangert spekulativen Leerstand in Berlin an. Laut
> Mieterverein handele es sich um ein wachsendes Problem infolge des
> Mietendeckels.
Bild: An dieser Stelle könnten Namen stehen, wenn es keinen spekulativen Leers…
Berlin taz | Die Wohnungssuche hat sich nach Beobachtungen vieler durch den
[1][Mietendeckel] noch einmal erschwert: Immobilienportale sprechen von
[2][25 Prozent weniger Angeboten] und von im Schnitt 137 [3][Anfragen pro
Inserat], auch wenn gleichzeitig die Mieten erstmals seit Jahren gefallen
seien.
Wie aber lässt sich das erklären? Gibt es weniger Umzüge, obwohl es
erstmals seit Langem zumindest leistbar wäre umzuziehen, weil Vermieter
wegen des Mietendeckels keine horrenden Mieten bei Wiedervermietungen
nehmen können?
Einige glauben, dass Vermieter:innen derzeit ihre Wohnungen nach einem
Auszug absichtlich leer stehen lassen, weil eine Wiedervermietung zu
Mietendeckel-Konditionen nicht genug Rendite abwirft. Der spekulative
Leerstand könnte in Berlin also als Nebeneffekt des Mietenstopps gestiegen
sein.
Als Vermieter darf man in Berlin eine Wohnung nicht länger als drei Monate
leer stehen lassen. Das [4][Zweckentfremdungsverbotsgesetz] soll gegen
Ferienwohnisierung und Leerstand helfen, wird aber wegen seiner Ausnahmen
kritisiert und weil es häufig nicht greift.
## Leerstand nimmt offenbar zu
Um spekulativen Leerstand zu problematisieren, hat sich in Mitte nun die
Kampagne [5][„Leerstand in Berlin-Mitte“] der Mieter:inneninitiative
„Mietenwahnsinn Nord“ gegründet. Sie will das zuständige Bezirksamt
zwingen, gemäß Zweckentfremdungsverbot tätig zu werden.
Deswegen macht die Kampagne nun auf Leerstand an drei Adressen in
Gesundbrunnen aufmerksam: Ein seit geraumer Zeit leer stehendes Vorderhaus
in der Osloer Straße, das offenbar teilweise Baustelle ist und in ein Hotel
umgewandelt werden sollte. Ebenso ein dazugehöriges Haus in der Stettiner
Straße, das seit zehn Jahren leer stehen soll.
Ein weiteres leeres Haus befinde sich ebenfalls in der Osloer Straße mit
offenbar sanierten und bezugsfertigen Wohnungen, die leer stehen, weil sie
als Eigentumswohnungen für größtenteils über 5.000 Euro pro Quadratmeter
verkauft werden sollen. Laut der Kampagne berichten Anwohner:innen, dass
die Wohnungen teilweise seit vier Jahren leer stehen.
Mit dem Bekanntmachen dieser Immobilien wollen die Mieter:innen Druck
auf das Bezirksamt ausüben, gegen Leerstand tätig zu werden. „Die
Bezirkspolitik unternimmt kaum etwas, um Mieter:innen vor dem
Profitstreben privater Immobilienkonzerne zu schützen“, so Max Prause vom
Bündnis. Leider kämen Bußgelder von bis zu 500.000 Euro nur selten zum
Einsatz – „für uns ist das ein klares Zeichen des fehlenden politischen
Willens“, sagt er.
Die Kampagne Leerstand in Mitte werde systematisch Leerstand und ihre
Profiteure in ihren Kiezen öffentlich machen. „In einer Zeit, wo immer mehr
Menschen sich ihre Miete nicht mehr leisten können und obdachlose Menschen
in der Kälte hausen müssen, halten wir Leerstand für skandalös“, sagt
Prause.
Das Bündnis spricht in seiner Pressemeldung sogar von 150.000 leer
stehenden Wohnungen, bezieht sich damit allerdings auf Schätzungen auf
Basis des Mikrozensus von 2018, laut dem [6][6,8 Prozent der Berliner
Wohnungen unbewohnt] gewesen sein sollen. Dass diese Zahl deutlich zu hoch
liegen dürfte, aber das Problem dennoch existiert, zeigen aktuelle Zahlen
aus Mitte: Laut einer [7][schriftlichen Anfrage] gab es im September 2020
rund 3.850 Amtsermittlungsverfahren wegen Zweckentfremdung. Das entspricht
bei rund 203.000 Wohnungen in Mitte 1,9 Prozent – ohne mutmaßliches
Dunkelfeld.
Auch Reiner Wild vom Berliner Mieterverein sagt auf taz-Anfrage, dass
Leerstand ein wachsendes Problem ist. „Nach unserer Beobachtung nimmt der
spekulative Leerstand seit gut einem Jahr massiv zu“, bestätigt er. Die
über den Mikrozensus geschätzten Leerstandszahlen von 2018 hält er für die
aktuelle Debatte aber für nicht aussagekräftig.
Genau beziffern kann er das Problem allerdings auch nicht. Die
Wohnungsämter hätten kaum Erkenntnisse, weil Leerstand selten angezeigt
würde, sagt Wild. Zudem gebe es Schlupflöcher. „Vermieter können bei
Modernisierung den Wohnraum bis zu zwölf Monate lang leer stehen lassen“,
sagt Wild. Im Zweifel könne man also einfach behaupten, man modernisiere.
Wild glaubt, dass das [8][anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts]
zum Mietendeckel der Grund für gestiegenen Leerstand ist, ihm zufolge
warten Vermieter:innen bis dahin ab. Bei Verfassungswidrigkeit des
Mietenstopps könnten sie mit Investitionen gleich auch die Mietpreisbremse
vermeiden und bei Wiedervermietung 15 Euro pro Quadratmeter und mehr
erzielen, so der Mieterverein-Chef. Und wenn der Deckel drauf bliebe,
investierten sie halt nicht, vermutet er.
## Spontan 222 Airbnb-Wohnungen frei
Laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen von Sebastian
Scheel (Linke) wurde zuletzt beim Zensus 2011 systematisch
gesamtstädtischer Leerstand erfasst. Damals lag er mit 66.000 Wohnungen bei
3,5 Prozent. Der nächste Zensus stehe für 2021 an. Dennoch lassen laut
Sprecherin Katrin Dietl Teilmarktuntersuchungen Aussagen über das jetzige
Leerstandsniveau zu: Demnach gebe es derzeit eine Quote von 0,8 bis 2
Prozent, was zwischen 15.000 und 40.000 Wohnungen wären.
Dass Berlins Wohnungsmarkt lädiert ist, bestreitet die Senatsverwaltung
indes nicht. „Als Fluktuationsreserve für ein reibungsloses Funktionieren
des Wohnungsmarktes sollten Leerstandsquoten von 2 bis 3 Prozent gegeben
sein“, so Dietl. Messungen zeigten stagnierende und sinkende
Leerstandsquoten, demnach dürfte es in Berlin also noch schwerer geworden
sein, eine Wohnung zu finden.
Wie groß dabei das Problem spekulativer Leerstand ist, weiß die Verwaltung
allerdings auch nicht: Es gebe zwar „viele Gerüchte“ über mehr Leerstand
aufgrund des Mietendeckels, allerdings lägen dafür keine Indizien oder
Hinweise aus den Bezirken vor, sagt Dietl.
Dass derzeit sogar Ferienwohnungen komplett leer stehen, zeigt eine kurze
Recherche auf der Plattform Airbnb: Am Sonntagmittag waren in Berlin
spontan für die Nacht 222 Unterkünfte verfügbar, wenn man „nur ganze
Unterkunft“ sucht. Es stehen also 222 ungenutzte Wohnungen als
Ferienwohnungen, auffindbar bei Airbnb, leer. Trotz Wohnungsnot und
Pandemie bietet ein Superhost das frisch renovierte 2-Zimmer-Luxusloft „im
Herzen Kreuzbergs“ für 120 Euro am Tag an oder ein Pete die
1-Zimmer-Wohnung in Mitte, mit Coronaverzweiflungs-Rabatt für nur noch 36
Euro pro Nacht. Deutlich mehr als die Anzeige-Höchstgrenze von 300
Wohnungen findet man, wenn man zu einem späteren Zeitpunkt sucht.
Die Kampagne Leerstand in Mitte will weiter auf leer stehende Häuser und
Zweckentfremdung aufmerksam machen. Sie sei sich dabei bewusst, dass es
nicht ausreiche, dem Bezirk leere Häuser zu melden. Auch deswegen fordert
die Mieter-Initiative die Vergesellschaftung großer privater
Immobilienkonzerne und unterstützt das [9][Volksbegehren Deutsche Wohnen
und Co. Enteignen], das seit Freitag Unterschriften sammelt. Nur
Vergesellschaftung könne „der Spekulation endlich ein Ende setzen“.
1 Mar 2021
## LINKS
[1] /Naechste-Stufe-des-Berliner-Mietendeckels/!5725820
[2] https://www.wiwo.de/politik/deutschland/berliner-mietendeckel-25-prozent-we…
[3] https://www.spiegel.de/wirtschaft/berliner-mietendeckel-verschaerft-die-kon…
[4] /Schaerferes-Zweckentfremdungsverbot/!5747309
[5] https://miwa.noblogs.org/post/2021/01/24/leerstand_in_mitte1/
[6] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Tabellen/unbew…
[7] https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenver…
[8] /Rechtsstreit-um-Mietendeckel/!5747900
[9] /Volksbegehren-fuer-Vergesellschaftung/!5750674
## AUTOREN
Gareth Joswig
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