# taz.de -- Sondervermögen der Bundeswehr und die EU: Gefürchtete Alleingänge | |
> Deutschlands Verbündete begrüßen das Bundeswehr-Sondervermögen. Doch es | |
> bleibt auch Skepsis und Kritik, weil Berlin zu Sonderwegen neigt. | |
Bild: Ein Hubschrauber der Bundeswehr mit Hydraulikproblemen auf dem Acker | |
„Zeitenwende“ ist blitzartig zum sicherheitspolitischen Konzept des Jahres | |
geworden. Die Ankündigung eines Umbruchs in der deutschen | |
Verteidigungsstrategie ist auch im EU-Ausland zu einem urdeutschen | |
politischen Lehnwort geworden, wie einmal „Spitzenkandidat“ oder | |
„Ostpolitik“. | |
Die [1][klare Haltung der Bundesregierung] wurde überwiegend begrüßt, und | |
zwar aus nachvollziehbaren Gründen: Ohne Deutschland ist eine halbwegs | |
funktionierende europäische Verteidigung nicht denkbar, und der desaströse | |
Zustand der Bundeswehr wurde im Ausland meist als Folge des deutschen | |
Sparkurses gesehen. | |
Zugleich fragen sich viele, wie sich ein Wiederaufbau der Bundeswehr auf | |
das politische Gleichgewicht der EU auswirken wird. Schließlich hat Berlin | |
jahrelang die internationalen Effekte der eigenen Wirtschaftspolitik | |
kleingeredet. Was, wenn Deutschland auch diesmal ohne Rücksicht auf andere | |
europäische Partner handelt? Die Vorstellung ist banal und doch | |
ernüchternd, und zwar genau weil sie anders als die Wiedergeburt des | |
preußischen Militarismus auch teilweise realistisch wirkt. | |
In Hintergrundgesprächen wird der Frust von Verbündeten offen geäußert, so | |
meinte etwa ein britischer Diplomat in Bezug auf die Causa [2][Iron Dome] | |
unverblümt: Die Beschaffung des israelischen Systems zum Schutz gegen | |
Kurzstreckenraketen wäre in erster Linie scheinheiliger Aktionismus gewesen | |
und hätte die Einheit der integrierten Nato-Luftverteidigung gefährdet. | |
## Französisches Misstrauen | |
Der Kauf stellte sich schließlich als Bild-Dunst heraus (die Bundesrepublik | |
wird das US-israelische Arrow-3-System kaufen), doch das ändere nichts am | |
Gefühl, Berlin handle eher demonstrativ als strategisch, und nur mit | |
innenpolitischem Blick. Dabei ist zu bedenken, dass ein wirksames Upgrade | |
des Raketenschutzes nur in Partnerschaft mit den Anrainerstaaten Russlands | |
vorstellbar ist. | |
Bei der Ausgabe des 100-Miliarden-Fonds wird es höchstwahrscheinlich zu | |
vielen solcher „Quick Fixes“ kommen – es ist schließlich auch Sinn und | |
Zweck des Sondervermögens, die kaputtgesparte Bundeswehr schnell zu | |
sanieren. Und doch: Im Umgang mit den europäischen Alliierten sind | |
Wahrnehmungen genauso wichtig wie Taten. Unklarheit über die mittelfristige | |
Ausstattung des regulären Verteidigungsetats und andere offene Fragen zur | |
Ausgabenplanung helfen auch nicht, Verdächtigungen einer | |
national-protektionistischen Politik zu widerlegen. | |
Französische Sicherheitsexperten und Entscheidungsträger sprechen ein | |
solches Risiko auch offen an. Dabei passen die französischen Erwartungen | |
auch zu einer Auffassung der Verteidigungsausgaben als industriepolitisches | |
Instrument. Aus Pariser Sicht ist es überhaupt nicht auszuschließen, dass | |
Deutschland die [3][„Zeitenwende“ als Booster für die ineffiziente deutsche | |
Rüstungsindustrie] benutzen will. | |
Außerdem könnte sich Deutschland von der strategischen Wahl zwischen Paris | |
und Washington im Zweifel freikaufen, wie bei der Beschaffung des Kampfjets | |
F-35. Mitglieder des Verteidigungsausschusses der Assemblée nationale | |
fragen sich, ob eine ertüchtigte deutsche Industrie nicht das ausgehandelte | |
Gleichgewicht in gemeinsamen Projekten wie FCAS infrage stellen würde. | |
## Ambivalente Italiener | |
Das wäre im Zweifel auf Kosten der französischen Wirtschaft, die bis jetzt | |
den Löwenanteil der Aufträge übernommen hat. Für Unternehmen ist die | |
Zukunft eines konsolidierten europäischen Rüstungsmarkts ein | |
Nullsummenspiel, und der französische Staat wäre nie imstande, mehr als ein | |
paar Milliarden Euro zur Unterstützung von Dassault und anderen Firmen | |
bereitzustellen. | |
Die italienische Perspektive ist indes ambivalenter. Einerseits befürwortet | |
man ein stärkeres deutsches Engagement, und zwar gerade auch als | |
Gegengewicht zu Paris. Deutsche Investitionen könnten auch neue bilaterale | |
Kooperationsprojekte ermöglichen, vor allem zur Entwicklung neuer | |
Panzermodelle und im Marinebereich. Anderseits fürchtet man sich auch in | |
Italien vor deutschen Alleingängen und einer möglichen Abwertung von | |
EU-Verteidigungsinitiativen. | |
Das würde Rom auch die nötige politische Deckung für höhere | |
Verteidigungsausgaben wegsprengen. Aktuell steckt Italien in einer Debatte | |
zum Nato-2-Prozent-Ziel, wobei, anders als in Deutschland, die Stärkung von | |
EU-Verteidigungsprojekten ein gemeinsamer Nenner von Befürwortern und | |
Gegnern höherer Rüstungsausgaben ist. Außerdem muss man bedenken, dass in | |
Italien konservative und euroskeptische Sicherheitsexperten die öffentliche | |
Debatte erheblich prägen. Manche reden sogar von einer deutschen | |
„hegemonialen Ambition“ und einem verdeckten Konflikt mit den USA um die | |
Vorherrschaft in Europa. | |
## Die Ängste deutscher Verbündeter | |
Klar, europäische Skepsis gegenüber der deutschen Zeitenwende basiert auf | |
einem oberflächlichen Verständnis der deutschen Verteidigungspolitik. | |
Konkret gibt es kaum Zweifel, dass sich Deutschland weiter an den | |
zahlreichen bereits bestehenden EU-Verteidigungsprojekten beteiligen wird. | |
Diese Selbstverständlichkeit braucht jedoch auch ein klares, wiederholtes | |
Bekenntnis sowie eine Verpflichtung, einen großen Teil des Wehretats für | |
europäische Projekte einzusetzen. | |
Eine europäische Perspektive ist besonders nötig. Man bedenke nur, wie | |
wenig die Veröffentlichung des strategischen Kompasses der EU in den | |
deutschen Medien diskutiert wurde. Man kann die Ängste der Verbündeten in | |
dieser gefährlichen Phase nicht ignorieren. Deutsche Forscher:innen und | |
die Führungsetagen des BMVg müssten proaktiv Partner im EU-Ausland zu | |
diesem Thema ansprechen. | |
Eine lebhaftere Vernetzung ist ohnehin dringend nötig. Aus- und Aufrüsten | |
ist per se kein Sicherheitskonzept, und ein Mangel an Koordinierung wäre | |
fatal – und zwar nicht nur im Sinne einer Ressourcenverschwendung, sondern | |
auch für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Sicherheitsordnung. | |
7 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ukraine-Krieg/!5837788 | |
[2] /Nach-Konflikt-auf-dem-Tempelberg/!5849499 | |
[3] https://www.dw.com/de/100-milliarden-f%C3%BCr-die-bundeswehr-was-nun/a-6098… | |
## AUTOREN | |
Michelangelo Freyrie | |
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