# taz.de -- Sipri-Jahresbericht zu Rüstungsausgaben: Explosive Grundstimmung | |
> Steigende Rüstungsausgaben, fehlende Verhandlungen: Das | |
> Friedensforschungsinstitut Sipri sieht die internationale Sicherheit in | |
> Gefahr. | |
Bild: Konflikt zwischen zwei Nuklearmächten: Schusswechsel in Kaschmir | |
STOCKHOLM taz | Hohe Rüstungsausgaben, ein stetig wachsender Waffenhandel | |
und kaum Verhandlungslösungen für bestehende Konflikte – das Jahrbuch des | |
Stockholmer Internationalen Friedensinstituts Sipri warnt vor unsicheren | |
Zeiten. Dan Smith, Sipri-Direktor und Professor für Friedens- und | |
Konfliktforschung an der Universität Manchester, schreibt im Vorwort zu | |
„Sipri 2020“: „Was die Voraussetzungen für internationale Stabilität | |
angeht, gibt es Anzeichen einer anhaltenden Verschlechterung.“ | |
Dieser Trend spiegle sich sowohl [1][bei den globalen Rüstungsausgaben] | |
wider, die auf das höchste Niveau seit einem Jahrzehnt geklettert seien, | |
ebenso wie im stetig weiter wachsenden Waffenhandel, der nun das höchste | |
Volumen seit Ende des Kalten Kriegs erreicht hätte. Die Zahl der | |
bewaffneten Konflikte sei weltweit gleichbleibend hoch, Zeichen für | |
Verhandlungslösungen seien kaum zu finden. 2019 habe es gefährliche | |
Zusammenstöße zwischen den Großmächten im Nahen Osten und in Südasien | |
gegeben, der Konflikt um Kaschmir zwischen den beiden Nuklearmächten Indien | |
und Pakistan sei eskaliert und die Diskussionen zwischen Washington und | |
Pjöngjang über eine Denuklearisierung Nordkoreas hätten an Zugkraft | |
verloren. | |
Besonders beunruhigend sei die Krise im Bereich der Rüstungskontrolle. So | |
hätten sich die USA aus dem [2][„Open Skies“-Abkommen zurückgezogen], das | |
der militärischen Transparenz und Vertrauensbildung dienen sollte – genauso | |
wie aus dem INF-Vertrag zum Verbot landgestützter nuklearer | |
Mittelstreckenraketen. Auch eine Nachfolgeregelung für das „New | |
Start“-Abkommen zur atomaren Rüstungskontrolle stehe auf der Kippe. | |
Zwar gebe es dazu aktuell „eine gute Nachricht“, twitterte Smith in der | |
vergangenen Woche: Die Ankündigung des russischen Vize-Außenministers | |
Sergei Rjabkow und des Sonderbeauftragten der US-Regierung für | |
Abrüstungsfragen Marshall Billingslea, sich am 22. Juni in Wien zu einem | |
ersten Verhandlungstermin treffen zu wollen. Falls die USA aber weiterhin | |
die von Peking abgelehnte Teilnahme Chinas zu einer Bedingung machen | |
sollten und sich Washington und Moskau nicht auf eine Folgeregelung | |
einigen, würde der aus dem Jahre 2010 stammende Vertrag am 5. Februar 2021 | |
auslaufen. | |
## Ein neues atomares Wettrüsten droht | |
Das würde „ein Ende der Ära bilateraler Nuklearwaffenkontrollabkommen | |
zwischen den USA und Russland bedeuten“, fürchtet Shannon Kile, die | |
Direktorin des Sipri-Waffenkontrollprogramms. Wobei gerade „New Start“ in | |
der Nuklearwaffenstatistik deutliche Spuren hinterlassen habe. Seit 2010 | |
hat sich die Zahl der Atomwaffen Russlands und der USA beinahe halbiert. | |
Mit Stand vom Januar umfasste das Arsenal der USA 5.800, das Russlands | |
6.385 atomare Sprengköpfe. Vor den seit 1991 getroffenen drei | |
Abrüstungsabkommen hatte die Zahl dieser Sprengköpfe noch bei rund 70.000 | |
gelegen. | |
Ausgemustert werde zwar im Wesentlichen nur das, was sowieso veraltet und | |
nicht mehr einsatzfähig sei, sagt Kile, weshalb relevanter der aktuelle | |
Bestand der „deployed warheads“, also der mit „hoher operationeller | |
Bereitschaft“ unmittelbar einsatzbereiten Atomwaffen sei. Die schätzt Sipri | |
für die USA auf 1.750 und für Russland auf 1.570. Das seien Zahlen, die in | |
den letzten Jahren relativ stabil geblieben seien. Doch nun werde auf | |
beiden Seiten kräftig modernisiert, betont Kile: „Sowohl die USA wie | |
Russland befinden sich auf dem Weg einer strategischen nuklearen Erneuerung | |
und arbeiten an der Entwicklung der nächsten Generation nuklearer | |
Waffensysteme.“ Der sich abzeichnende Verlust etablierter | |
Kommunikationskanäle zwischen den USA und Russland über ihre jeweiligen | |
nuklearen Kapazitäten „hat das Potenzial, zu einem neuen nuklearen | |
Wettrüsten zu führen“. | |
Es gibt aber auch positive Zeichen in dem Bericht. Sipri-Direktor Smith | |
verweist auf die Klimakrise: „2019 gab es einige willkommene Anzeichen | |
dafür, dass sich die öffentliche Meinung hin zu einer Unterstützung | |
ernsthafter Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise bewegt“. Weil | |
allerdings eine beträchtliche Zeit zwischen solchen Maßnahmen und den damit | |
erzielten Ergebnissen verstreichen werde, „wird es auch notwendig sein, | |
sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen und Resilienz zu | |
stärken“. | |
Unerlässlich sei dafür aber eine verstärkte internationale Zusammenarbeit | |
und nicht eine geschwächte. Deren Notwendigkeit sei auch durch die | |
Covid-19-Pandemie bekräftigt worden. „Der Grad, in dem internationale | |
Politik derzeit von Spannungen und Meinungsverschiedenheiten vor allem | |
zwischen den drei großen Mächten China, Russland und USA gekennzeichnet | |
ist, ist deshalb ein ernsthafter Grund zur Sorge.“ | |
15 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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