# taz.de -- Grenze zwischen Indien und China: Tödliche Schlägerei in den Berg… | |
> Bei Grenzstreitigkeiten im Galwantal sterben sowohl indische als auch | |
> chinesische Soldaten. Beide Seiten waren unbewaffnet. | |
Bild: Propagandaplakat der indischen Armee in Ladahk an der Grenze in China im … | |
MUMBAI/ PEKING taz | „Ich bin traurig und stolz zugleich“, sagt Mutter | |
Manjula über ihren verstorbenen Sohn Oberst Santosh Babu im indischen | |
Sender [1][NDTV]. Nicht nur für sie, für viele InderInnen war der Dienstag | |
ein düsterer Tag. Denn die Meldung, dass 20 an der Grenze zu China im | |
Himalaya stationierte Soldaten umkamen, schockierte die indische | |
Öffentlichkeit. | |
Am Montag war es im strategisch wichtigen Galwantal entlang des | |
gleichnamigen Flusses in Ladakh zu den schwersten Grenzstreitigkeiten | |
zwischen den beiden asiatischen Großmächten seit mehr als fünf Jahrzehnten | |
gekommen. Auch auf chinesischer Seite wird eine zweistellige Zahl an | |
Todesopfern vermutet. | |
Mehr als 43 chinesische Soldaten seien schwer verletzt oder getötet worden, | |
schrieb die indische Nachrichtenagentur ANI unter Berufung auf Kreise in | |
der indischen Regierung. Peking bestätigte dies bisher nicht. | |
An einigen Stellen der 3.500 Kilometer langen Grenze besteht seit dem | |
kurzen Krieg von 1962 zwischen Indien und China ein unmarkierter und | |
ungeklärter Verlauf. Berichten zufolge stieß eine indische Patrouille in | |
steilem Terrain unerwartet auf chinesische Truppen. Beide Seiten sollen | |
vereinbarungsgemäß unbewaffnet gewesen sein, um eine Eskalation zu | |
verhindern. | |
Trotzdem wurde die Begegnung hitzig. Es soll ein Handgemenge gegeben haben, | |
bei dem ein indischer Offizier abstürzte. Daraufhin kam es zu Faustkämpfen. | |
600 Männer sollen sich dann mit Steinen und Schlagstöcken bis zu sechs | |
Stunden lang in der Dunkelheit bekämpft haben. | |
Die meisten Opfer soll es gegeben haben, weil Soldaten abstürzten oder vom | |
Berg gestoßen wurden. Nach den Berichten über die indischen Todesopfer war | |
zunächst war von dreien die Rede gewesen. In einzelnen indischen Städten | |
kam es zu ersten kleinen antichinesischen Protesten nationalistischer | |
Gruppen. | |
[2][Aufrufe zum Boykott chinesischer Waren], die es bereits nach letzten | |
bilateralen Spannungen im Mai gegeben hatte, wurden erneuert. Schon damals | |
hatten einige Politiker antichinesische Ressentiments geschürt, indem sie | |
die Volksrepublik für die Coronapandemie verantwortlich machten, unter der | |
Indien zunehmend leidet. | |
## Modi zollt den Opfern Tribut | |
Der hindunationalistische Premierminister Narendra Modi ließ sich jetzt | |
Zeit mit einer Reaktion. Erst am Mittwochnachmittag bat er in einer Rede | |
um zwei Schweigeminuten, um den „Söhnen Tribut zu zollen“: „Ich verneige | |
mich für dieses große Opfer im Dienst des Landes.“ Die Soldaten seien nicht | |
umsonst gestorben. | |
Modi betonte, Indien sei ein „friedliebendes Land“. „Wir provozieren | |
niemanden, aber wir gehen auch keine Kompromisse hinsichtlich der | |
Integrität und Souveränität unseres Landes ein.“ Auf die Forderung der | |
Opposition nach Aufklärung ging er zunächst nicht ein. | |
In China bekamen bisher dagegen nur politisch wirklich Interessierte die | |
Eskalation an der Grenze mit: So wird das Thema auf der Startseite der | |
staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua gar nicht aufgegriffen. Auch die | |
Fernsehstationen senden zunächst keinen Beitrag über den jüngsten Konflikt | |
in ihren stündlichen Kurznachrichten. | |
Chinas Militär bestätigte bislang keine Opfer auf seiner Seite. „Mein | |
Verständnis ist, dass die chinesische Seite nicht will, dass die beiden | |
Völker die Todeszahlen gegeneinander aufrechnen, um nicht die öffentliche | |
Stimmung aufzuheizen“, schrieb der Chefredakteur der Parteizeitung Global | |
Times, Hu Xijin, auf Twitter. | |
## Nationalistische Stimmungsmache | |
Dabei macht er nur wenige Stunden später selbst Stimmung: Dass 17 indische | |
Soldaten gestorben seien, lege die Mängel der dortigen Armee offen, eine | |
Notfallbehandlung bereitzustellen. „Das ist keine Armee mit moderner | |
Kampffähigkeit“, schrieb der Chefredakteur. | |
Chinas Regierung wirft Indien vor, die Souveränität der Volksrepublik durch | |
das zweimalige Übertreten der Landesgrenze durch indische Soldaten verletzt | |
zu haben. In einem Leitartikel besagter Global Times, die meist recht | |
präzise die Position der Kommunistischen Partei reflektiert, heißt es: „Die | |
Arroganz und Rücksichtslosigkeit der indischen Seite ist der Hauptgrund für | |
die konstanten Spannungen entlang der Grenze.“ | |
Auch wird Delhi vorgeworfen, dass es mit strategischer Unterstützung der | |
USA glaube, durch Grenzprovokationen keine Gegenreaktion erwarten zu | |
müssen. Doch würde Indiens Regierung der Fehleinschätzung unterliegen, ihre | |
eigene Armee für stärker als Chinas Volksbefreiungsarmee zu halten. | |
Offiziell ist die chinesische Regierung dagegen sehr um einen | |
diplomatischen Ton bemüht, um die Situation zu deeskalieren. China wolle | |
keine weiteren Zusammenstöße, sagte ein Außenamtssprecher am Mittwoch. | |
## Einigung auf sofortige „Abkühlung“ | |
Am Mittwoch verständigten sich die Außenminister beider Länder denn auch | |
auf eine sofortige „Abkühlung“ des Konflikts. Sie hätten bei einer | |
Telefonkonferenz zugestimmt, mit den Ereignissen „fair umzugehen“, die | |
„Abkühlung“ so schnell wie möglich zu erreichen und den Frieden in den | |
Grenzregionen zu erhalten, sagte ein chinesischer Außenamtssprecher am | |
Mittwoch. | |
Zuvor hatte in Indien der Fraktionsführer der oppositionellen | |
Congress-Partei im Unterhaus, Adhir Ranjan Chowdhury, vermutet, dass China | |
die schwierige Lage Indiens für einen Angriff genutzt habe. [3][Die | |
indische Wirtschaft ist in der Coronapandemie stark angeschlagen.] | |
Andere vermuten, Chinas Provokation könnte eine Antwort auf Indiens | |
[4][Entzug der Teilautonomie in Jammu und Kaschmir] vom vergangenen August | |
sein. Damit hatte sich die Zentralregierung in Delhi mehr Einfluss an der | |
Grenze zu China gesichert und seitdem versucht, dort die Infrastruktur | |
auszubauen. | |
An der Grenze zwischen Indien und China hatten die Spannungen zuletzt stark | |
zugenommen. Peking beansprucht etwa 90.000 Quadratkilometer eines Gebiets | |
für sich, das sich unter Indiens Kontrolle befindet. Im Jahr 1962 führten | |
die beiden Atommächte einen kurzen Grenzkrieg, der mit einer Niederlage | |
Indiens endete. | |
17 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ndtv.com/india-news/india-china-border-face-off-mother-of-colon… | |
[2] https://theprint.in/india/traders-body-calls-for-boycott-of-3000-chinese-pr… | |
[3] /Immer-mehr-Coronainfektionen-in-Indien/!5692152 | |
[4] /Kaschmir-verliert-Autonomie/!5610949 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
Fabian Kretschmer | |
## TAGS | |
Indien | |
China | |
Himalaya | |
Grenzkonflikt | |
Narendra Modi | |
Naturkatastrophe | |
China | |
Waffenhandel | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mindestens neun Tote durch Flutwelle: Gletscherabbruch in Indien | |
Eine Naturkatastrophe ereignete sich am Sonntag im Himalaya: Brücken und | |
Dörfer kamen zu Schaden. Mehrere Menschen starben, 140 werden noch | |
vermisst. | |
Pekinger Markt als Infektionsherd: Stadtregierung „im Kriegsmodus“ | |
Chinas Hauptstadt geht jetzt radikal gegen einen erneuten Ausbruch des | |
Coronavirus vor. Die Behörden sehen die Schuld im Ausland. | |
Sipri-Jahresbericht zu Rüstungsausgaben: Explosive Grundstimmung | |
Steigende Rüstungsausgaben, fehlende Verhandlungen: Das | |
Friedensforschungsinstitut Sipri sieht die internationale Sicherheit in | |
Gefahr. | |
Corona in Indien: Lockerungen geplant | |
In vielen Teilen Indiens gelten seit Ende März Ausgangsbeschränkungen. Das | |
soll sich ab Juni trotz steigender Infektionszahlen ändern. |