Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Schließung von Containerdorf in Köpenick: Zukunft ungewiss
> Berlins älteste Containerunterkunft für Geflüchtete wird dichtgemacht.
> Viele Bewohner*innen befürchten, ihr vertrautes Umfeld zu verlieren.
Bild: Zehn Jahre Zwischenlösung: Die Containerunterkunft im Allende-Viertel
Berlin taz | Ali Kazem (Name geändert) sitzt auf seinem Bett und betrachtet
Fotos auf seinem Telefon. Draußen vor seinem Zimmer, auf dem Flur im
dritten Stock der Geflüchtetenunterkunft in Köpenick, spielt seine Tochter
lautstark mit anderen Kindern – schaut aber immer wieder prüfend durch den
Türspalt nach ihrem Vater. Der Iraker ist besorgt: „Wenn die Unterkunft
hier zumacht, weiß ich nicht, wie es weitergeht.“
Die Anlage an der Alfred-Randt-Straße im Salvador-Allende-Viertel, die
komplett aus Wohncontainern besteht, [1][war die erste ihrer Art in Berlin
– und von Beginn an nur als temporäre Lösung gedacht]. Eröffnet im Dezember
2014, wurden die Genehmigungen mehrfach verlängert. Am 30. Juni soll nun
endgültig Schluss sein. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
übergibt das Areal wieder an den Bezirk Treptow-Köpenick, das bunte
Containerdorf wird zurückgebaut. An seiner Stelle soll ein Erweiterungsbau
für ein Schul- und Sportgelände entstehen.
Die rund 360 Bewohner*innen der Gemeinschaftsunterkunft, darunter etwa
90 Kinder, müssen raus. Und die Verunsicherung ist groß. „Täglich versuche
ich, Informationen zu erhalten, wohin wir verlegt werden sollen, aber es
bleibt unklar“, sagt Ali Kazem, der seit vier Monaten hier mit seiner
Tochter wohnt. Den Raum hat er mit ihr zusammen liebevoll gestaltet, mit
vielen Blumen und Bildern an den Wänden und an der Decke.
Seine Frau, berichtet Ali, sei vom „Islamischen Staat“ ermordet worden, er
selbst von der Terrormiliz gefoltert und dann mit seiner damals zwei Monate
alten Tochter geflohen. Hinter ihm liege eine sechs Jahre lange Flucht, bis
er endlich Deutschland erreichte. Und nun die erneute Unsicherheit. Eine
Verlegung in die [2][Massenunterkunft auf dem ehemaligen Flughafen Tegel]
sei für ihn eine schreckliche Aussicht.
Doch das LAF stellt auf taz-Anfrage klar: Es werde sich nicht verhindern
lassen, dass ein Teil der Bewohner*innen in Tegel untergebracht werden
muss. Die Auslastung der regulären Geflüchtetenheime sei dramatisch, bei
einer Gesamtkapazität von 36.000 Plätzen seien aktuell gerade mal rund 500
frei. An Tegel komme man daher kaum vorbei.
## NGOs kritisieren unhaltbare Zustände in Tegel
Hilfsorganisationen kritisieren schon seit Langem die Verhältnisse in der
dortigen Zeltstadt, in der zwischen 5.000 und 6.000 Schutzsuchende auf
engstem Raum untergebracht sind. „Wir haben [3][Griechenland für die
überfüllten Lager und die schlimmen Zustände] dort kritisiert, aber in
Tegel hat Deutschland selbst eine dieser unhaltbaren Unterkünfte“, sagt
etwa Tareq Alaows von Pro Asyl zur taz.
Es fehlt an Privatsphäre, hygienischer Grundversorgung und qualitativer
sozialer Beratung. Die Zelte, die für die Unterkunft in Tegel genutzt
werden, waren nach LAF-Angaben eigentlich als Ukraine-Ankunftszentrum
geplant, in dem die Bewohner*innen maximal 2 bis 3 Tage untergebracht
werden sollten. Aktuell verbringen Geflüchtete dort im Schnitt ein halbes
Jahr.
Das Land Berlin zahlt für Tegel 35,5 Millionen Euro im Monat, also rund 1,2
Millionen Euro pro Tag. „Mit dem Geld, das in Tegel jeden Tag ausgegeben
wird, könnten wesentlich nachhaltigere Lösungen geschaffen werden. Es fehlt
immer noch eine langfristige Strategie des Senats für die Unterbringung von
Geflüchteten“, so Alaows.
Emely Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin sagt, die Lösung seien ohnehin
nicht „in sich isolierte Containerdörfer mit integrierten Segregations-
oder Lagerschulen“. Vielmehr müsse der Senat bezahlbaren Wohnraum zur
Verfügung stellen. Doch unabhängig davon: Geflüchtete aus bestehenden
Strukturen nach Tegel zu verfrachten, gehe gar nicht. Allein aufgrund der
„Unterbrechung bereits bestehender sozialer und lebensnotwendiger
Strukturen wie Zugang zu Ärzt*innen, Kindergärten, Schulen und sozialen
Kontakten“.
## Die Leidtragenden sind die Betroffenen
An eine Besserung der Lage glaubt Barnickel nicht und verweist auf das
derzeitige [4][Gezerre zwischen Senat und Bezirken um die Frage, wo in den
kommenden Jahren wie viele Geflüchtetenunterkünfte entstehen sollen]. Vor
allem Lichtenberg hatte zuletzt vehement gegen die Senatspläne für neue
Containerdörfer im Bezirk protestiert. Für Barnickel steht fest: „Das
Kompetenzgerangel um die Unterbringung von geflüchteten Menschen führt zu
immer prekäreren Lebenssituationen für die betroffenen, oft schwer
traumatisierten Menschen.“
Die Leidtragenden sind Menschen wie Nadia. Die 65-jährige Ukrainerin sitzt
auf einer Bank im langen Flur hinter dem Eingangsbereich der
Gemeinschaftsunterkunft im Allende-Viertel und wartet zusammen mit einer
anderen älteren Frau auf ein Gespräch mit eine*r Sozialarbeiter*in. Sie
will ihre Bedürfnisse und Nöte besprechen. „Ich bin seit zehn Monaten hier
und warte nun auf meine Kostenübernahme durch das Sozialamt“, sagt Nadia.
Sie leide an Epilepsie und habe [5][in der Ukraine] während der Angriffe
der russischen Armee und dem Dröhnen der Sirenen immer wieder Anfälle
gehabt, berichtet sie. Nach ihrer Flucht wurde sie zuerst im
Ankunftszentrum in Tegel untergebracht, bevor sie nach Köpenick kam. Sie
sagt, sie fühle sich hier gut versorgt. Als ihr bei einer
Informationsveranstaltung des LAF mitgeteilt wurde, dass die Unterkunft
schließt und sie vielleicht nach Tegel zurückkehren muss, habe sie erneut
einen epileptischen Anfall bekommen. „Ich habe Angst, dass die neue
Unterkunft nicht behindertengerecht genug für mich ist“, sagt Nadia.
Am meisten beschäftigten die Bewohner*innen Fragen der Wohnungssuche,
medizinischen Versorgung sowie psychosoziale Themen, sagt ein Mitarbeiter
von Tamaja, dem Betreiber des Containerdorfs. Er stellt klar: „Bei der
erneuten Standortsuche werden wir in Abstimmung mit dem LAF versuchen, die
Bedürfnisse der hier lebenden Geflüchteten so gut wie möglich mit
einfließen zu lassen, aber garantieren können wir nichts.“
Für viele Bewohner*innen bedeutet das, dass sie nicht im
Allende-Viertel bleiben können, selbst wenn ihre Kinder hier zur Schule
gehen. Die Mitarbeiter*innen der Unterkunft geben ihr Bestes, sagt Ali
Kazem. Aber vor dem erneuten Umzug in eine andere Unterkunft habe er Angst.
Er wünsche sich, dass seine Tochter mit den anderen Kindern in ihrer Schule
zusammenbleibt. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Kazem sagt: „Alles
was ich will, ist, dass meine Tochter eine gute und sichere Zukunft hat.“
8 May 2024
## LINKS
[1] /Unterkuenfte-fuer-Fluechtlinge/!5030208
[2] /Fluechtlingsunterbringung-in-Berlin/!5958249
[3] /Gefluechtete-auf-Lesbos/!6003464
[4] /Plaene-fuer-neue-Fluechtlingsunterkuenfte/!5997788
[5] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
## AUTOREN
Kai Liesegang
## TAGS
Containerdorf
Flughafen Tegel
Unterbringung von Geflüchteten
Geflüchtete
Migration
Geflüchtete Frauen
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Brandenburg
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Berlin-Lichtenberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutsche Asylpolitik: Die Hölle der anderen
Deutschland erschafft sich seine eigenen Täter. Denn nicht der Migrant ist
pervers, sondern die Situation, in der er lebt.
Bundesweit größte Geflüchtetenunterkunft: So kann man hier nicht leben
Im früheren Berliner Flughafen Tegel ist Deutschlands größte
Geflüchtetenunterkunft eingerichtet. Die Zustände in der Massenbleibe sind
abschreckend.
Unterbringung von Geflüchteten: Tegel braucht mehr Platz
Das Landesflüchtlingsamt will das Ankunftszentrum Tegel verbessern. Dafür
brauche man aber Angebote von den Bezirken, wo neue Heime entstehen
könnten.
Zustände in Massen-Notunterkunft Tegel: „Ein Instrument der Abschreckung“
Bei einem Fachgespräch sind sich Betroffene und Experten einig, dass die
Zustände in der Massenunterkunft Tegel unhaltbar sind. Oder gar gewollt?
Geflüchtete in Südbrandenburg: Wenn der Bus nicht kommt
Schlecht angebunden, schlecht verpflegt – und auch noch angefeindet:
Bewohner*innen der Geflüchtetenunterkunft in Doberlug-Kirchhain wehren
sich.
Masernausbruch im Ankunftszentrum Tegel: Virus entscheidet nicht nach Asyl
Neun Bewohner des Ukraine-Ankunftszentrums haben sich mit Masern
angesteckt. Es wird jetzt erst geimpft.
Pläne für neue Flüchtlingsunterkünfte: Lichtenbergs CDU stellt sich quer
Bezirksbürgermeister Schaefer lehnt die Senatspläne zur Schaffung von über
1.000 neuen Flüchtlingsplätzen in Lichtenberg ab. Er will nachverhandeln.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.