# taz.de -- Sahelzone und Islamismus: Protest gegen Profiteure | |
> Die wenig effiziente ausländische Einmischung in Afrika beim Kampf gegen | |
> die Islamisten stößt bei der lokalen Bevölkerung auf immer mehr Unmut. | |
Bild: Französische Soldaten im Einsatz gegen islamistische Terroristen | |
Demonstrationen gegen ausländische Eingreiftruppen. Plünderung einer | |
UN-Basis. „Antiimperialistischer“ Aktionstag. In Mali und Burkina Faso, den | |
beiden Staaten an der Front des Kriegs gegen bewaffnete Islamisten im | |
Sahel, verschafft sich ein Phänomen Gehör, das nicht neu ist, aber jetzt | |
massiv in den gesellschaftlichen Diskurs drängt: ein Nationalismus von | |
unten gegen die Internationalisierung des „Kriegs gegen den Terror“. | |
Die Gründe liegen auf der Hand. Nirgends auf der Welt treten sich so viele | |
auswärtige Interventionskräfte auf die Füße. Allein in Mali gibt es die | |
Mission der UN-Blauhelme Minusma, die französische Anti-Terror-Operation | |
Barkhane, die multinationale Eingreiftruppe G5 Sahel, die militärische | |
EU-Trainingsmission EUTM Mali und die zivile EU-Aufbaumission EUCAP Sahel | |
Mali. | |
In Burkina Faso gibt es G5 Sahel und französische Spezialkräfte, ebenso in | |
Niger, dort außerdem Spezialkräfte aus den USA und EUCAP Sahel Niger sowie | |
deutsche Bundeswehrausbilder. Niger ist zugleich die Brücke zum Krieg gegen | |
Boko Haram in Nigeria. Man könnte die ständigen französischen Truppen in | |
der Elfenbeinküste sowie im Tschad dazurechnen, und von Senegal bis Benin | |
erstreckt sich das logistische Netzwerk, ohne das all diese Streitkräfte | |
nicht einsatzfähig wären. | |
Rechnet man noch die unzähligen privaten Vertragspartner hinzu und die | |
Heere von Militärberatern, Militärausbildern, Experten und Lobbyisten, ist | |
die gesamte westafrikanische Sahelzone heute ein gigantischer Tummelplatz | |
der Besserwisser. Sie alle halten zumindest die Luxushotellerie am Leben | |
und verbraten beachtliche Summen, deren Abfluss als Beweis der steigenden | |
Aufmerksamkeit Europas für seinen instabilen Nachbarkontinent dienen darf. | |
So funktioniert Afrikapolitik heute, und das funktioniert nicht. | |
Ein gigantischer Tummelplatz für Besserwisser | |
Wer täglich die Profiteure des „Security Business“ erlebt, stellt sich | |
irgendwann Fragen. Die Tageszeitung Le Pays in Burkina Faso, eins der | |
klügeren Blätter der Region, fasste kürzlich die Fragen so zusammen: Die | |
Eingreifer würden vom Chaos profitieren und daher nur so tun, als wollten | |
sie die Dschihadisten besiegen. Ineffizienz und Unehrlichkeit sei ihr | |
Spiel: Gegen den „Islamischen Staat“ im Irak und in Syrien hätten sie viel | |
entschlossener gekämpft, wieso also nicht gegen viel schwächere Gegner in | |
Mali und in Burkina Faso? | |
Das Argument, „Imperialisten“ schürten Afrikas Chaos selbst, um es | |
auszunutzen, ist vertraut. Auch in der Demokratischen Republik Kongo ist | |
die Überzeugung weit verbreitet, das Ausland brauche die lokalen Warlords | |
als Vorwand für das Recht auf Einmischung. Für die Sahelstaaten analysiert | |
Le Pays: „Man kann legitimerweise die These vertreten, wonach die | |
Imperialisten mit den bewaffneten Gruppen unter einer Decke stecken, mit | |
dem Ziel, unsere Staaten weiter zu untergraben, um ihre Anwesenheit zu | |
rechtfertigen. | |
Dieses Gefühl ist dabei, jenseits der Organisatoren ‚antiimperialistischer | |
Tage‘ die Bevölkerungen zu erreichen.“ Im offiziellen Diskurs hilft die | |
internationale Staatengemeinschaft den bedrängten Sahel-Regierungen im | |
Kampf gegen die blutrünstige islamistische Hydra. | |
Im erlebten Alltag hängt ein Großteil der Gewalt mit alten Konflikten | |
zwischen benachbarten Bevölkerungsgruppen zusammen, deren tradierte | |
Verhältnisse zueinander durch Wirtschaftskrise, Klimawandel und politische | |
Umwälzungen ins Wanken geraten sind. In angespannten Zeiten kann jeder, ob | |
Prediger, Händler oder Gemeindevorsteher, Menschen ködern, radikalisieren | |
und aufeinanderhetzen – und sagen, es liegt an den Terroristen. | |
Kolonialgeschichte nicht vergessen | |
Islamisten und ausländische Eingreifer bestätigen sich gegenseitig in der | |
ideologischen Feindschaft. Welche Probleme die Menschen haben, in deren | |
Namen sie zu kämpfen vorgeben, ist ihnen egal. Lokale Strukturen, | |
Traditionen und Bräuche ignorieren sie ebenso wie lokale | |
Wirtschaftskreisläufe und historische Zusammenhänge. Es wäre genauer zu | |
untersuchen, wieweit die neuen Konfliktgebiete des Sahel sich mit denen | |
überschneiden, deren koloniale Unterwerfung Ende des 19. Jahrhunderts am | |
blutigsten verlief. | |
Gerade in diesem Teil Afrikas zwangen oftmals die französischen Generäle, | |
die auf mobile Warlord-Reiche mit islamischer Prägung stießen, die lokale | |
Bevölkerung mit Gewalt in die Knie. Heute bekämpfen die französischen | |
Urenkel der Eroberer bei den Urenkeln ihrer Opfer den Terror. Die Franzosen | |
mögen ihre Kolonialgeschichte vergessen haben, die Afrikaner haben das | |
nicht. | |
Koloniale Unrechtssysteme mit Bevölkerungsaustausch in Form von | |
Zwangsvertreibungen und der Ansiedlung vermeintlicher loyaler Völker von | |
woanders sind bis in die Gegenwart eine Wurzel zahlreicher Konflikte in | |
ganz Afrika: Eine Volksgruppe verweigert aus historischen Gründen einer | |
anderen das Recht auf Land oder Ämter, die andere greift zur Waffe. Wo | |
solche Konflikte andauern oder neu aufbrechen, ist es meist nicht gelungen, | |
einen postkolonialen Staat mit einer eigenen postkolonialen Legitimität | |
aufzubauen. | |
Das ist für den Großteil der früheren französischen Afrikagebiete der Fall, | |
wo nie eine Befreiungsbewegung die Macht erkämpfte, sondern koloniale | |
Verwaltungsstrukturen weitergeführt wurden. Burkina Faso mit seiner | |
Revolution der 1980er Jahre, als der kurzlebige junge Militärputschist | |
Thomas Sankara die Rückbesinnung auf die eigenen Kräfte und Werte predigte, | |
ist die große, aber unvollendet gebliebene Ausnahme. Dort hat sich immerhin | |
eine selbstbewusste politische Kultur gehalten, die sich jetzt zu Wort | |
meldet. | |
Die Sehnsucht nach der eigenen Kraft ist heute in allen Sahelstaaten mit | |
ihrer jungen, ungestümen, mobilen und erfindungsreichen Bevölkerung immens. | |
Aus irgendeiner Ecke werden sie auftauchen – die eigenen Helden, die den | |
eigenen Weg gegen den Terror finden und eine eigene positive Erzählung in | |
die Welt tragen können. | |
21 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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