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# taz.de -- Russische Comic-Künstlerin über ihr Exil: „Ich zeichne gegen Pu…
> Regimekritische Russen erfahren im Ausland kaum Unterstützung. Victoria
> Lomasko spricht über die Gründe für ihre Flucht.
Bild: Gefährlicher Protest: Zeichnung aus Lomaskos Buch „The Last Soviet Art…
Wie so viele andere Künstler:innen hat Victoria Lomasko Russland nach
Ausbruch des Ukrainekriegs verlassen. Die Comic-Künstlerin ist bekannt für
ihre politischen, oft ironischen Zeichnungen der russischen Alltagswelt.
Veröffentlichen konnte sie diese in ihrem Heimatland wegen ihrer
regimekritischen Haltung schon seit Jahren nicht mehr.
taz am Wochenende: Frau Lomasko, Sie haben das Land sofort verlassen, als
Sie vom Ausbruch des Krieges erfuhren. Warum?
Victoria Lomasko: Russland zu verlassen wird von Tag zu Tag schwieriger.
Russen können problemlos nur in zentralasiatische Länder, nach Armenien,
Serbien, die Türkei oder die Vereinigten Arabischen Emirate ausreisen. Als
der Krieg ausbrach, hatte ich kein Visum, aber mir war sofort klar, dass
ich unmöglich mit meiner regimekritischen Arbeit in Russland bleiben
konnte. Die Behörden stufen gerade kritische Stimmen reihenweise als
„ausländische Agenten“ ein, und es war nur eine Frage der Zeit, bis mein
Name ebenfalls auf dieser Liste stehen würde.
Durch die Sanktionen und [1][den Fall des Rubels] habe ich fast meine
gesamten Ersparnisse verloren. So konnte ich mir nur ein Ticket nach
Bischkek in Kirgistan leisten, wo ich bereits gearbeitet habe. Ich liebe
das Land. Außerdem war mir klar, dass die meisten Menschen wahrscheinlich
nach Armenien oder Georgien fliehen würden und dass die Regierung das nicht
so einfach zulassen würde. In der Nacht, in der ich Russland verließ,
wurden fast alle Flüge nach Eriwan gestrichen. Das war ein schlechter
Scherz der Regierung, denn auch sie wusste, dass die Leute nach Armenien
fliegen würden.
Wie ging es von Kirgistan aus weiter?
Ich hatte großes Glück. Vor dem Krieg begann eine belgische
Produktionsfirma, einen Dokumentarfilm über mich und die Situation in
Russland zu drehen. Sie planten bereits, mich nach Brüssel einzuladen, um
die Dreharbeiten hier zu beenden: Nach Kriegsausbruch war ihnen schnell
klar, dass die Hauptfigur des Films auf längere Zeit in Russland festsitzen
würde, deshalb versuchten sie sofort, ein Visum für mich zu bekommen. Es
gab Probleme mit der belgischen Botschaft, also bekam ich ein französisches
Visum, nur Stunden bevor ich in den Flieger stieg. Frankreich ist ein Land,
das politische Kunst schätzt.
Fliehen die meisten Russen, weil sie um ihre eigene Sicherheit besorgt
sind, oder ist es eher ein Ausdruck von Protest?
Als ich in Brüssel ankam, fühlte ich mich, als hätte ich den Mars verlassen
und wäre auf der Erde angekommen. Aufgrund der Pandemie konnte ich zwei
Jahre lang Russland nicht verlassen, weil es bei uns keine international
zugelassenen Impfstoffe gibt. Diese zwei Jahre waren nicht einfach. Putins
Regime hat ein repressives Gesetz nach dem anderen erlassen. Sie haben
nicht einmal nach einem Vorwand für die neuen Regeln gesucht! Die ganze
Welt fragt sich jetzt, warum die Russ:innen nicht auf die Straße gehen,
um gegen diesen Krieg zu protestieren.
Das liegt daran, dass unsere Gesellschaft tief gespalten ist, in eine junge
und eine alte, sowjetische Generation, in Menschen, die gegen und für Putin
sind. [2][Viele Menschen sind zudem unpolitisch.] Unabhängige Stimmen
finden bei uns kaum Gehör. Nur schätzungsweise 20 bis 30 Prozent der Russen
sind gegen Putin und den Krieg in der Ukraine. Als ich aufwachte und von
der Invasion in der Ukraine las, wusste ich sofort, dass Russland ein
abgeriegeltes faschistisches Land sein wird.
Wie frei konnten sich Künstler:innen vor dem Krieg äußern?
Aufgrund der strengen Zensur habe ich in Russland viele Jahre lang keine
meiner Arbeiten veröffentlicht oder in Ausstellungen gezeigt. Während der
Pandemie habe ich an meinem neuen Buch „The Last Soviet Artist“ gearbeitet,
in dem ich alle politischen Veränderungen in Moskau während der letzten
Jahre darstelle: Proteste, Repressionen, Verfassungsänderungen. Obwohl es
natürlich nicht auf Russisch erscheinen wird, hätte ich nach der
Veröffentlichung ohnehin nicht in Russland bleiben können.
Ein anderes Beispiel: Mein letztes Buch „Other Russias“ wollten wir in
Russland veröffentlichen. Juristen, die ich nach ihrer Einschätzung gefragt
habe, sagten, dass die Veröffentlichung meinem Verleger und mir ein paar
Jahre Gefängnis einhandeln würde. Also ist diese Idee gestorben. Ich bitte
niemanden mehr darum, meine Arbeit auszustellen oder zu veröffentlichen.
Die derzeitige Emigrationswelle wird mittlerweile mit der Abwanderung im
Zuge der Russischen Revolution verglichen, als viele Intellektuelle und
Künstler das Land verließen. Finden Sie diesen Vergleich angebracht?
Nicht wirklich. Als die Menschen damals das Land verließen, erhielten viele
als Dissidenten Unterstützung im Ausland. Jetzt werden Russen überall nur
noch boykottiert. Ich meine, ich bin jetzt in Belgien, aber wie geht es
weiter? Ich habe kein Geld, ich kann kein Bankkonto eröffnen, mein Visum
läuft aus. Es gibt eine Menge Diskriminierung gegen Menschen mit russischem
Pass. Keiner will im Moment Russen bei sich haben.
Können Sie es nachvollziehen, wenn ukrainische Künstler momentan russische
Kunst boykottieren?
Ich kann und will die Ukrainer nicht kritisieren. Sie leiden sehr, sie
können sagen, was sie wollen, und ich werde es akzeptieren. Aber was den
Rest der Welt angeht … Ich habe eine Freundin, eine russische Regisseurin.
[3][Sie muss jeden Tag lesen, dass russische Regisseure von weiteren
Festivals oder Filmplattformen ausgeschlossen werden, unabhängig von ihrer
politischen Meinung.] Dieser Boykott macht keinen Sinn.
Welche Möglichkeiten zum Protest bleibt russischen Künstler:innen im
Land noch?
Sie können ihre Türen verschließen und Bilder für sich selbst malen und sie
sehr engen Freunden zeigen. Sogar die sozialen Netzwerke sind ja jetzt als
extremistische Organisationen gelistet, so dass man seine Kunst kaum mit
der Welt teilen kann, selbst wenn man es sich trauen würde. Schon vor dem
Krieg war es extrem schwierig, in Russland politische Kunst zu machen. Ich
konnte das nur tun, weil ich in Russland absolut unsichtbar war. [4][Im
Moment ist jeder, der gegen den Krieg in der Ukraine ist, in Russland sehr
sichtbar.]
Werden Stimmen aus dem Ausland innerhalb Russlands gehört?
[5][Ich zeichne und schreibe jeden Tag gegen das Putin-Regime an,] seit ich
Russland verlassen habe. Schlafen tue ich kaum. Aber Putin und den Krieg zu
kritisieren, wenn man außerhalb Russlands ist, ist so einfach wie atmen.
Das Problem ist, dass die Zahl derer, die gegen Putin sind, sehr klein ist.
Und die Sanktionen, die durch den Krieg verhängt wurden, haben es für diese
Gruppe noch schwieriger gemacht. Ich spreche nicht von den Sanktionen gegen
die Regierung, die Banken und die Oligarchen, sondern von jenen, die die
Russen von der Außenwelt abschneiden. Zahlungsdienstleister und westliche
Medien, die ihre Tätigkeit in Russland einstellen, der Boykott russischer
Kultur.
Was muss sich ändern, damit mehr Menschen protestieren?
Man fühlt sich in Russland alleingelassen. Ich kenne Leute, die immer noch
auf der Straße protestieren, sie werden verhaftet und von der Polizei
verprügelt. Für mich sind sie Helden. Diese Menschen brauchen emotionale
Unterstützung aus dem Ausland. Versuchen Sie selbst einmal, allein oder mit
zehn anderen auf die Straße zu gehen und zu protestieren, obwohl Sie
wissen, dass Sie dafür verhaftet werden. Viele Menschen, die Putin
unterstützen, wissen nichts von der Außenwelt, sie haben noch nie westliche
Länder besucht und haben keine Berührungspunkte mit westlichen Menschen.
Sie sehen die gegen Russland verhängten Sanktionen und glauben Putin aufs
Wort, dass der Westen der Feind ist.
Übersetzung aus dem Russischen mit Unterstützung von Peter Isachenko
27 Mar 2022
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## AUTOREN
Julia Hubernagel
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