# taz.de -- Öko-Graphic-Novel aus Frankreich: Höhlenmalerei statt Atommüll | |
> Étienne Davodeau begibt sich in „Das Recht der Erde“ auf eine Wanderung | |
> quer durch Frankreich. Seine Graphic Novel ist ein ökologisches Manifest. | |
Bild: Über 700 Kilometer lang wandert Davodeau quer durch Frankreich, meist al… | |
Er bleibt doch oft unbeachtet und ist räumlich und zeitlich dennoch | |
allgegenwärtig – der Boden, auf dem wir stehen. Über diese „Haut der Erde… | |
wandert der Autor und Illustrator Étienne Davodeau tagelang und lässt dabei | |
eine Bildgeschichte entstehen. Seine Graphic Novel „Das Recht der Erde. | |
Eine Erzählung über den Boden, der uns trägt“ ist eine beeindruckende und | |
aufrüttelnde Lektüre. | |
Schon früh begann der 1965 in Frankreich geborene Zeichner | |
[1][Comicreportagen zu publizieren, in denen er sich auch mit | |
sozialkritischen Themen auseinandersetzte]. In der Vergangenheit erhielt er | |
viele Preise für seine detailgenauen Beobachtungen des ländlichen Lebens. | |
Unter anderem wurde er 2005 mit dem Comicpreis von Angoulême für das beste | |
Szenario geehrt. Graphic Novels wie „Die Ignoranten“ oder „Der schielende | |
Hund“ machten ihn international bekannt | |
Sein jetziges Buch ist ein bebilderter Reisebericht einer über 700 | |
Kilometer langen Wanderung quer durch Frankreich, die er im Juni 2019 | |
begann. Sein Ausgangspunkt war hierfür [2][die Tropfsteinhöhle von Pech | |
Merle im Südwesten Frankreichs]. Hier findet sich in der Höhle von nahe dem | |
Ort Cabrerets im Departement Lot die 22.000 Jahre alte Wandzeichnung eines | |
Mammuts. 700 Besucher täglich dürfen diesen beeindruckenden Fund einer | |
frühen künstlerischen Darstellung besichtigen. Unter ihnen war auch Étienne | |
Davodeau. | |
## Von der Tropfsteinhöhle zum Atommüllendlager | |
Mit einem Rucksack schwer bepackt auf den Schultern, machte er sich danach | |
ächzend von dort zu Fuß auf den Weg nach Bure, einen Ort im Nordosten von | |
Frankreich, 720 Kilometer entfernt. Die Hinterlassenschaft der magischen | |
Wandmalerei in der Grotte von Pech Merle kontrastiert auf drastische Weise | |
mit dem, [3][was an dem Zielort in der Erde verbuddelt werden soll: | |
Atommüll]. | |
In Bure im Departement Meuse soll in 500 Meter Tiefe unter der Erde | |
hochradioaktiver Abfall in Felsstollen eingelagert werden. Das in der | |
Öffentlichkeit wenig diskutierte Projekt heißt Cigéo und wurde von der | |
Andra, der nationalen Agentur für die Verwaltung von Atommüll, initiiert. | |
Seine Route nach Nordosten begeht Davodeau die meiste Zeit allein. | |
Unterwegs trifft der Autor verschiedene Expert:innen aus | |
unterschiedlichen Fachbereichen. Deren Gespräche und Perspektiven fließen | |
in die Graphic Novel ein und erweitern die Auseinandersetzung mit dem | |
Verhältnis des Menschen zum Planeten und dessen Boden. | |
In der Bildgeschichte tauchen verschiedene Personen in der Landschaft auf | |
und begleiten den Autor ein Stück auf seinem gezeichneten Weg. Leichtfüßig | |
und ohne Gepäck. Das gemeinsame Wandern ist dabei Fiktion, der Autor ging | |
zumeist alleine. Die Treffen und Dialoge haben tatsächlich stattgefunden. | |
Aber bereits zur Recherche zumeist vor der Wanderung. | |
## Gespräche mit Atomkraftgegnern | |
Da ist zum Beispiel der Atomkraftkritiker Bernard Laponche, der einst an | |
der Entwicklung erster französischer Atomkraftwerke als Ingenieur beteiligt | |
war. Er wechselte aber bald die Seiten, um über die gravierenden Gefahren | |
der Radioaktivität aufzuklären. Mit ihm spricht Davodeau in einigen Szenen | |
über Projekte wie Cigéo, ein Label, unter dem Nuklearmüll beseitigt werden | |
soll, ohne wirklich genau zu wissen, wie. | |
Er hält es für eine plumpe Idee, den Müll einfach unter der Erde | |
verschwinden zu lassen. Und er warnt vor allem vor der möglichen Gefahr | |
einer Explosion, die mit den sicherheitstechnischen Schwächen einhergehen | |
würde. | |
Der Gedanke an die nächsten Generationen, die nächsten 100.000 Jahre, in | |
denen der Müll als eine Gefahr bestehen bleibt wird, lösen Unbehagen aus. | |
In der Graphic Novel wird Bure als der unscheinbare Ort dargestellt, in der | |
die Gedankenlosigkeit zu ihrem vorläufigen Ende kommt und in der Tiefe | |
versenkt wird. Ohne dass wir wissen können, was daraus am Ende resultieren | |
wird. | |
Die feinen Beobachtungen des Autors bei seinen Wanderungen durch die | |
französischen Landschaft spiegeln sich in den sorgfältig gezeichneten und | |
wertschätzenden Eindrücken. Er beschreibt die vielen Kilometer, die er | |
zurücklegt, lebensnah und immer wieder humorvoll. Er schafft es, zu | |
überraschen, zum Schmunzeln und zum Staunen zu bringen. | |
## Unaufgeregt und unspektakulär | |
Anrührend und nahbar schildert er sein Naturerleben, den prasselnden Regen, | |
die dumpfe Schwüle oder den Geruch von Schweiß auf seiner Haut. Die | |
Schilderungen seiner Erlebnisse sind dabei weder redundant noch | |
romantisierend. Eher unaufgeregt und unspektakulär. | |
Die mal beschwerlich, mal idyllisch erscheinende Wanderung gleicht einem | |
politischen Willensakt. Er nimmt die Leserschaft ideell dabei mit, füttert | |
sie mit jedem gegangenen Kilometer und seinem Schwarz-weiß-Zeichnungen mit | |
Wissen über unseren fragwürdigen Umgang mit der Natur und uns selbst. | |
Szenen und Dialoge wie mit Joël Domenjoud sind sehr anschaulich | |
wiedergegeben. Domenjoud hat sich in der Vergangenheit als Aktivist bei | |
Waldbesetzungen gegen ein Atommüllendlager in Bure engagiert. Es lässt an | |
die [4][Geschehnisse in Lützerath] denken, auch wenn es da nicht um | |
Atommüll ging. | |
## Fragen über die Demokratie und die Zukunft | |
„Das Recht der Erde“ provoziert die zeitlosen Fragen nach eigener | |
Einflussnahme und Selbstermächtigung. Wirft Fragen über die Demokratie, die | |
Zukunft und nachfolgenden Generationen auf. Die Thematik der Atomkraft | |
lässt auch an den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, und das von | |
Russland beschossene Atomkraftwerk denken. | |
Die Worte, die eine Expertin im Gespräch mit Davodeau wählt, scheinen nur | |
allzu passend zu sein: „Kernkraft und Demokratie sind wie zwei Magnete, die | |
sich voneinander abstoßen.“ | |
26 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Paula Kehl | |
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