# taz.de -- Rückkehr nach Deutschland: Enttäuscht vom Leben in Tel Aviv | |
> Rafael Seligmann verarbeitet die Flucht seiner Eltern in einem Roman. Und | |
> deckt die dabei verschwiegenen Seiten auf. | |
Bild: Auch nach Tel Aviv emigriert: Das aus Dessau und Stuttgart bekannte, mode… | |
Das vom NS-Regime ab 1933 erzwungene Exil deutscher Juden im damaligen | |
Palästina steckt verborgen in einer Nische – in so einigen Biografien von | |
Beteiligten aufgearbeitet und erstaunlich häufig Thema wissenschaftlicher | |
Aufsätze, blieb das Thema doch randständig, etwas für historische Experten. | |
Jetzt, da die letzten derjenigen, die vor mehr als 80 Jahren das britische | |
Mandatsgebiet erreichten, versterben, droht es ganz in Vergessenheit zu | |
geraten. | |
Aljah, Aufstieg, nennen Zionisten bis heute die Einwanderung nach Israel. | |
Doch nicht für alle entpuppte sich das neue Leben zwischen Haifa, Tel Aviv | |
und Jerusalem auch als ein persönlicher Erfolg, im Gegenteil. Denn die, | |
die, aus Deutschland vertrieben, Erez Israel erreichten, waren keineswegs | |
immer überzeugte Anhänger eines Judenstaats. | |
Es waren Flüchtlinge, aus ihren bisherigen Existenzen herausgedrängt, ins | |
Exil getrieben, mit den falschen Berufen und zu bewussten Juden erst von | |
den Nazis gemacht. Manch einer von ihnen hat die neue Heimat in den 1950er | |
Jahren enttäuscht wieder verlassen und ist in die Bundesrepublik | |
zurückgekehrt. Das war damals ein Tabu. | |
## Ein persönliches Thema | |
Für den deutschen Publizisten Rafael Seligmann ist dieses Scheitern an den | |
realen Verhältnissen auch ein ganz persönliches Thema. Geboren 1947 in | |
Palästina, ging seine Familie zehn Jahre später zurück nach Deutschland. | |
Das ist kein Stoff, auf den man damals stolz war, nichts, das in der | |
Öffentlichkeit erzählt wurde. | |
Seligmann hat aus dieser Geschichte kein Sachbuch oder eine Biografie, | |
sondern einen Roman geformt, der sich doch bei seinen Protagonisten eng an | |
der Wirklichkeit orientiert. „Ich schreibe, wie es war“, sagte Seligmann | |
dazu bei einer Buchvorstellung. | |
Da sind Ludwig und sein Bruder Heinrich, die im Sommer 1934 mit dem Schiff | |
das Heilige Land erreichen. Ludwig ist der zielstrebige Optimist, der das | |
neue Leben in Erez Israel bejaht, Heinrich der Skeptiker, der darauf hofft, | |
schon bald wieder, wenn die Nazis abgedankt haben, nach Ichenhausen | |
zurückzukehren. Doch es kommt genau umgekehrt. | |
## Der schwierige Alltag in Tel Aviv | |
Das Buch taucht in den Kosmos des jungen Tel Aviv ein und wie die beiden | |
Brüder sich in der Stadt zurechtzufinden suchen. Der Alltag saugt sie beide | |
auf, Ludwig, der Prokurist in einem Bekleidungsgeschäft wird, und Heinrich, | |
dem eine Karriere nicht gelingen will. Der Alltag ist übersättigt von | |
Schwierigkeiten: sich zurechtfinden, von Geldnöten, der neuen Sprache und | |
tausend Kleinigkeiten. | |
Und dann ist da noch die Sorge um die zurückgebliebenen Verwandten in | |
Europa, längst im Griff der Nazis, ganz besonders der Eltern, die erst spät | |
begreifen, dass es für sie in Deutschland lebensgefährlich zu werden droht. | |
Es gelingt dem dynamischen Ludwig, genügend Geld aufzutreiben, um sie nach | |
Palästina zu holen und ihnen dort gar noch ein kleines Siedlungshäuschen zu | |
finanzieren. So weit die Erfolgsgeschichte. | |
Rafael Seligmanns spätere Mutter, Hannah, die aus Polen stammt, doch lange | |
in Berlin gelebt hat, treiben ähnliche Sorgen um. Auch Teile ihrer Familie | |
sitzen in Europa fest. Sie wird sie nicht retten können. Sie, die anfangs | |
kein bisschen in Ludwig verliebt ist, heiratet Ludwig. 1947 kommt der Sohn | |
zur Welt, und der Autor bringt das Kunststück fertig, seine eigene Geburt | |
in allen Details zu beschreiben – durchaus auf Fakten beruhend, wie er im | |
Gespräch versichert. | |
## Die beschwiegene Abreise nach Deutschland | |
Nach dem Krieg verliert Ludwig seine gut dotierte Stellung, macht sich | |
selbstständig, feiert anfangs Erfolge, bevor sein Geschäft in die | |
allgegenwärtige Krise im jungen Staat Israel gerät, sattelt vergeblich um, | |
stürzt sich in Schulden und scheitert. Die Verwandtschaft verweigert eine | |
Unterstützung. Über die Abreise nach Deutschland wird nicht gesprochen. | |
Was bleibt? Diese Familiensaga ist mehr als nur ein Ausflug in die | |
Weltgeschichte und eine Rettung vor dem Untergang. Sie steht für | |
verschüttete Lebenswege vieler Überlebender, die weder in Israel noch in | |
Deutschland gern gehört wurden. Es kommen hier keine strahlenden Helden und | |
keine finsteren Bösewichte vor, nur ganz normale Menschen, die nach einer | |
Existenz suchen müssen. Manche scheitern daran, andere nicht. Aber was | |
heißt schon scheitern? | |
4 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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