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# taz.de -- Israels Siedlungspolitik: Mit dem Bagger Fakten schaffen
> Israel baut eine neue Siedlung, offenbar solange Trump im Amt ist. Das
> Projekt schneidet Palästinensergebiete weiter vom Rest des
> Westjordanlands ab.
Bild: Protest am Montag in Givat Hamatos gegen den Besuch europäischer Diploma…
Jerusalem taz | „Grabungsarbeiten macht er dort“, sagt ein Mann Mitte 50
mit Kippa auf dem Kopf und zeigt auf einen Bagger, der Geröll vor sich
herschiebt, „gucken, ob antike Sachen im Boden liegen.“ Bevor in Israel
gebaut wird, muss sichergestellt werden, dass kein Schaden an möglichen
archäologischen Funden entsteht.
1.275 neue Wohneinheiten will die Regierung in Givat Hamatos bauen. Doch
das Bauvorhaben ist umstritten, in Israel, bei den Palästinenser*innen
sowie international. Denn das Baugelände befindet sich in Ostjerusalem,
jenseits der Grünen Linie, der international anerkannten Grenze, die Israel
von den besetzten Gebieten trennt, [1][welche die Palästinenser*innen für
einen eigenen Staat beanspruchen].
Erweiterungen von bestehenden Siedlungen hat es in den letzten Jahrzehnten
immer gegeben. Sollte aber das Projekt in Givat Hamatos umgesetzt werden,
wäre es die erste Siedlung in zwanzig Jahren, die in Jerusalem neu aus dem
Boden gestampft wird.
Der Mann mit Kippa pfeift seine Hunde zurück, die durch die Pfützen in der
Brachfläche jagen. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Die
Armut hat ihn einst auf diesen windigen Hügel getrieben, nicht die
Ideologie. Dreißig Jahre ist es her, dass er hier mit einem Container
ankam. Mittlerweile wohnt er in einem Haus aus mehreren aneinandergereihten
Containern, Bretterwänden, einigen Steinmauern und Planen. 22
Familienmitglieder kommen darin unter, neun davon sind seine Kinder.
## Kritik von europäischen Diplomat*innen
Neben ihm leben einige Dutzend andere Haushalte hier. „Das Land Israel dem
Volk Israel“ ist auf eine Mauer eines verfallenen Hauses gesprüht. Als
Siedler*innen verstehen sich die Menschen aber nicht, auch wenn der
Hundebesitzer keinen Zweifel daran hat, dass das Bauvorhaben der Regierung
richtig ist.
Am Sonntag ist die Ausschreibung für die Baufirmen rausgegangen. Vorschläge
können interessierte Unternehmen nun einreichen bis zum 18. Januar – und
damit bis zu zwei Tage vor Amtsantritt des designierten US-Präsidenten Joe
Biden. Die Eile, mit der das bereits mehrfach verschobene Bauvorhaben
plötzlich umgesetzt werden soll, werten viele KritikerInnen als Versuch,
vor dem Amtswechsel in Washington noch Tatsachen zu schaffen.
Der Demokrat Biden [2][dürfte sich als US-Präsident zum Aus- und Neubau von
Siedlungen deutlich kritischer äußern] als Donald Trump. Schon 2014 unter
Barack Obama hatte der geplante Siedlungsbau in Givat Hamatos zu einem
heftigen Streit zwischen Washington und Jerusalem geführt.
Aus Europa kommen bereits kritische Töne. Rund 20 europäische
Diplomat*innen versammelten sich am Montag zu einem Protestbesuch in Givat
Hamatos. Die rechte und siedlernahe Gruppierung Im Tirtzu behinderte sie
allerdings mit lautstarken Chören bei ihrem Besuch.
„Geht zurück nach Europa“ und „Antisemiten, geht nach Hause!“, riefen …
ihnen entgegen. Den EU-Vertreter in den palästinensischen Gebieten, Sven
Kühn von Burgsdorff, hielten sie von einem Statement ab. Später sagte der
Diplomat: „Was wir hier sehen, ist ein Versuch einer De-facto-Annexion. Das
kann nicht sein.“
## Anbindung palästinensischer Wohngebiete gefährdet
Wütend sind auch die Bewohner*innen von Beit Safafa, einem gepflegten
palästinensischen Wohnbezirk am Fuße der Hügel, nur wenige hundert Meter
von dem Haus des Hundebesitzers in Givat Hamatos entfernt. „Das Land, auf
dem die Siedlung gebaut werden soll, gehört Beit Safafa“, sagt der Inhaber
eines Minimarkts.
Laut der israelischen Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich für ein
Jerusalem mit gleichen Rechten für alle einsetzt, sind Teile von Givat
Hamatos in Privatbesitz einiger palästinensischer Einwohner*innen von Beit
Safafa. Der andere Teil ist nach israelischer Definition sogenanntes State
Land, Territorium in den besetzten Gebieten, das nicht eingetragen in
privater Hand ist und über das die israelische Regierung die
Verwaltungshoheit beansprucht.
„In fünf oder sechs Jahren werden wir uns nicht mehr erweitern können, weil
wir eingeschlossen sind“, sagt der Minimarktinhaber in Beit Safafa. Sollte
es zu dem Siedlungsbau kommen, wird Beit Safafa von jüdischen Wohngebieten
umgeben sein.
„Der Bau in Givat Hamatos wird die Aussicht auf eine Zweistaatenlösung
ernsthaft behindern“, [3][warnt] die israelische Friedensorganisation Peace
Now. „Er blockiert die Möglichkeit eines territorial zusammenhängenden
Gebiets zwischen Ostjerusalem und Bethlehem und verhindert die Anbindung
des palästinensischen Beit Safafa an einen künftigen palästinensischen
Staat.“
In Kürze wohl werden weitere Bagger und Planierraupen auf den Hügeln von
Givat Hamatos einfahren und dann nicht mehr nach archäologischen Spuren
suchen, sondern auch das Haus des Hundebesitzers niederreißen. Der rechnet
damit, dass die israelische Regierung ihn mit einer eigenen Wohnung
rauskaufen wird: „Ich geh hier ja nicht einfach weg.“
Die Palästinenser*innen allerdings verlieren: nicht nur Land, sondern
auch die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung. Der Bewohner von Givat
Hamatos zuckt mit den Achseln: „Wenn ich Ministerpräsident wäre, würde ich
sogar in Bethlehem Siedlungen bauen. Wir haben den Palästinensern schon
viel zu viel gegeben“, sagt er und blickt über Beit Safafa hinweg Richtung
Jerusalemer Altstadt: „Ihr Europäer immer mit euren Einwänden.“
18 Nov 2020
## LINKS
[1] /Einstaatenloesung-fuer-Israel-und-Palaestina/!5715593
[2] /Experte-ueber-US-Wahl-und-Nahostpolitik/!5725199
[3] https://peacenow.org.il/en/the-tender-in-givat-hamatos-openned-with-1257-un…
## AUTOREN
Judith Poppe
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Literatur
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