# taz.de -- Reisen: Wie das Smartphone die Zufälligkeit nahm | |
> Reisen bedeutete früher, sich zu verirren, zu fragen, zu finden. Heute | |
> folgen wir dem blauen Punkt auf dem Display. Was dabei auf der Strecke | |
> bleibt. | |
Bild: Erstmal das Rating checken: eine Gästin in einem beliebten Restaurant in… | |
Auf der Durchreise von Breslau nach Berlin. Zwei Stunden Umstiegszeit. Ich | |
kenne Breslau nicht, schaue in der Maps-App nach, wo ich, wenn mein Bus | |
gleich ankommt, was essen kann, finde ein usbekisches Restaurant in | |
Bahnhofsnähe, checke Preise, Bewertungen, Route. Und ich denke, wie sehr | |
sich mein Reisen verändert hat. | |
Ich bin aufgewachsen mit Abenteuerromanen, dem Traum vom großen | |
Unbekannten, der kolonialen Raumnahme. Als ich selbst die Story vom | |
Privileg fortschrieb, waren die vermeintlich weißen Flecken auf der Karte | |
lange weg – aber noch keine Smartphones allgegenwärtig. Dieses Reisen | |
wirkt heute so weit weg, dass es mir näher an den Segelschiffen erscheint | |
als an der Gegenwart. Man steigt irgendwo aus und ist weg. Ohne Nachrichten | |
von Freund:innen, ohne Anrufe der Eltern, ohne Social Media, ohne | |
Straßenkarte. Ganz im Rausch der Gegenwart. Es war wie ein | |
Tiefseetauchgang, alle Verbindungen gekappt, außer im Internetcafé, dem | |
Vorboten des Allwissens. | |
Es war dieses Reisen, in das ich mich verliebt habe. Man verläuft sich, | |
trifft irgendwelche Leute, landet in irgendeinem Hostel, auf irgendeiner | |
Party oder auf irgendjemandes Sofa. Man muss dauernd fragen, und manchmal | |
ist das der Auftakt einer Lebensfreundschaft. Schlafsäle waren laut. Jetzt | |
liegen wir dort [1][als Zombies vor Bildschirmen]. | |
Nur gute alte Zeiten waren es eigentlich nie: Wir waren weiße rich kids, | |
[2][die den „Lonely Planet“ mit sich rumschleppten.] Die Klage über das | |
Handy betrifft eine hedonistische Minderheit. Für die Mehrheit, die | |
weltweit unterwegs ist, bedeutet das Smartphone viel mehr: Orientierung für | |
Flüchtende, Heimatkontakt für Ausgewanderte, Notrufe gerade für | |
verletzliche Gruppen. Aber beim touristischen Reisen ist etwas verloren | |
gegangen, und ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Zufall? Unwissen? Die | |
Freiheit von Raum und Zeit? | |
Ich bin in Breslau und doch nicht da. Ich folge dem blauen Punkt vom | |
Stadtbus. Wann habe ich mich zuletzt einfach so durch eine fremde Stadt | |
treiben lassen? Käme ich noch klar? Im Wagen habe ich analoge Landkarten, | |
aber benutze sie nie, weil mein Freund es hasst, wenn wir uns verfahren. | |
Ein Fehler ist jetzt nicht mehr Teil des Lernens, sondern der Beweis der | |
Ineffizienz der alten Karte und damit verzichtbar. Das Allwissen hat dem | |
Reisen einen Teil seiner selbst genommen. | |
Der Bus in Breslau hält früher, es regnet in Strömen. Ich renne in den | |
nächstbesten Pierogi-Laden, das Essen ist fantastisch. Der Besitzer | |
erzählt, sie hätten neu aufgemacht, wollten kochen wie zu Hause. Es | |
[3][sind nur Einheimische da], ein Überraschungsfund. Aber ich habe vorher | |
zumindest schnell das Rating gecheckt. | |
6 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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