# taz.de -- Digitale Urlaubsplanung: Der Buchungswahn zerstört das Reisen | |
> Viele buchen ihren Urlaub früh, klicken sich durch Angebote, vergleichen | |
> Unterkünfte. Höchste Zeit, den Reiseportalen den Mittelfinger zu zeigen. | |
Bild: Das war noch Urlaub analog: auf der Griechischen Insel Kos in der 1980er … | |
Spätestens jetzt geht es wieder los mit dem Buchungswahnsinn. Stundenlang | |
wird für den Sommerurlaub durch Onlineportale gescrollt, wird studiert, | |
verglichen, abgewogen, mit einem Aufwand, als ginge es um den Erwerb einer | |
Eigentumswohnung. Ich glaub, ich buche jetzt dieses Hotel, das sieht so | |
idyllisch aus da in der Bucht. Ach nee, die Kacheln im Bad gefallen mir | |
nicht. Mmh, soll ich Frühstück gleich dazunehmen? Wenn ich’s jetzt buche, | |
spare ich 2 Euro. Lieber nicht, ich mach’s so wie die in Südeuropa, die | |
frühstücken gar nicht. | |
Urlaubsvorbereitungen sind zur Qual geworden – der Digitalisierung sei | |
Dank, die ja angeblich das Leben einfacher machen soll, die Reisende aber | |
vor allem stresst und zu Planungsneurotikern werden lässt. Man möchte gar | |
nicht wissen, wie viele Beziehungsstreits es deshalb schon gab: Du wolltest | |
doch buchen, jetzt ist unser Urlaub geplatzt! Was machen wir denn nun? Ich | |
will nicht in Kühlungsborn zelten! Und so weiter. | |
Vorabbuchung – dieses Wort hat ungefähr den gleichen Sexappeal wie | |
Riester-Rente und Aktiensparplan. Und doch wählen die meisten Menschen, | |
darunter auffallend viele junge Leute (war Spontaneität nicht einmal das | |
Privileg der Jugend?), ihre Unterkünfte über Onlineportale wie booking.com | |
aus, die nebenbei von den Hotels hohe Provisionen verlangen und die kleinen | |
Pensionen an den Rand drängen. | |
Dadurch wird es auch für eigentlich Spontanreisende eng. Aus Angst, ohne | |
Zimmer dazustehen, buchen sie ebenfalls vermehrt vorab. Der [1][fiese Trick | |
Dynamic Pricing] (Zimmer sind angeblich billiger, je früher man sie bucht) | |
macht zusätzlichen Druck. Der harte Kern der Traveller, der sich dieser | |
Logik widersetzt, hat inzwischen den Status einer skurrilen Minderheit. | |
Früher fuhr man einfach los, erreichte einen neuen Ort und ließ sich von | |
den Sinneseindrücken überwältigen. Nahm das Licht, die Farben und die | |
Gerüche auf, das im Vergleich zum heimischen Paderborn oder Großburgwedel | |
Andere, beobachtete die Ortsansässigen, staunte über die Details. Wie | |
beiläufig in Italien der Euro über die Theke für den Espresso geschoben | |
wird. Wie gut das organisierte Verkehrschaos in Rom funktioniert. | |
## Einfach mal treiben lassen | |
Der Reisende ließ sich treiben, ging auch in unbekannte Viertel, und | |
irgendwann am Nachmittag begann er oder sie – durchaus mit einem leichten | |
Kribbeln im Bauch, findet man noch ein Bett? – nach einer Bleibe zu suchen. | |
Man fand immer ein Zimmer. Außer auf Capri im Hochsommer vielleicht. | |
Auf einer griechischen Insel war es damals sogar noch einfacher: Am | |
Fährhafen standen Pensionsbesitzer mit ihren kleinen Lieferwagen und | |
warteten auf ankommende Spontankundschaft. Den Rucksack auf die Ladefläche | |
geworfen, und los ging’s. Jahre später übernachtete ich mal in der Bretagne | |
in der Pension eines alten Mannes, der mir die halbe Nacht von seiner Zeit | |
als Zwangsarbeiter in Nazideutschland erzählte. Das sind Erlebnisse, die | |
sich eher nicht über eine Instagramsuche der most beautiful apartments | |
bestellen lassen. Aber es sind genau die Erfahrungen, die bleiben. | |
Heute beugen sich die Touristen, einmal angekommen, [2][angestrengt über | |
Google Maps], um ja nicht die ein halbes Jahr vorher gebuchte Unterkunft zu | |
verpassen. Ihre Umgebung nehmen sie gar nicht wahr, so sehr sind sie aufs | |
Handy fixiert. Und dann die Enttäuschung, die natürlich sofort über | |
Bewertungsportale in die Welt hinausposaunt werden muss: In der Küche | |
fanden wir drei Ameisen vor, wie eklig! | |
## Warum nicht mal irgendwohin? | |
Spontan reisen hingegen ist perfektes Erwartungsmanagement. Weil man ja | |
nicht weiß, wo man landen wird, und weil die Kreditkarte noch nicht | |
belastet ist, hat man keinerlei Erwartungen. Man freut sich über ein | |
schlichtes Zimmer, da man sowieso die ganze Zeit draußen ist. Und wenn es | |
gar nicht geht, zieht man einfach weiter. | |
Der Buchungswahn hat diese Freuden des Reisens bedenklich eingeschränkt und | |
aus vielen Touristen ignorante, ängstliche und selbstbezogene | |
Social-Media-Befüller gemacht, die keinen Blick mehr für das Überraschende | |
haben. Es wird höchste Zeit, den Buchungsportalen den Mittelfinger zu | |
zeigen. | |
31 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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