# taz.de -- Reisen aktuell und im Rückblick: Miese Zeiten für Entdecker | |
> Die Reisewelt steht still, über die Kosten der Krise wird gestritten. Wir | |
> entführen derweil zu den Abenteuern historischer Entdecker. | |
Bild: Auch nach Dubai kommt keiner | |
Die Flugzeuge bleiben auf dem Boden. Die Lufthansa stellt den Flugbetrieb | |
ihrer Kölner Tochter Germanwings ein. Bei nahezu allen Flugbetrieben des | |
Konzerns wird die Kapazität verringert, die Verwaltung verkleinert werden. | |
Die EU-Außengrenzen sind dicht. Schleswig-Holstein sperrt alle Inseln und | |
verhängt genauso wie Mecklenburg-Vorpommern eine Einreisesperre für | |
Touristen. Das Auswärtige Amt hat die ganze Welt zum Krisengebiet erklärt. | |
Einsame Strände, leere Hotels, und in den Kanälen von Venedig sollen wieder | |
Delfine gesichten worden sein, auch der CO2-Ausstoß sinkt überall. | |
Das weltweites Reise- und Einreiseverbot ist beispiellos. Und die | |
erfolgsverwöhnte Tourismusbranche steht unter Schock, die Existenz vieler | |
Unternehmen ist bedroht: Waren 2019 noch 1,5 Milliarden Urlauber weltweit | |
unterwegs, wird diese Zahl 2020 ins Bodenlose fallen. Rund 300 Millionen | |
Arbeitspätze und ein Zehntel der globalen Wirtschaftsleistung sind | |
betroffen. | |
Die Bundesregierung hat sich nun auf eine Gutschein-Lösung für durch die | |
Coronakrise abgesagte Reisen verständigt. Damit erfüllt sie die | |
Kernforderung des Deutschen Reiseverbandes (DRV). „Die Einigung der | |
Bundesregierung kommt gerade noch rechtzeitig für die vielen kleinen und | |
mittelständischen Reisebüros und Reiseveranstalter in Deutschland. Eine | |
sofortige Rückzahlungspflicht an die Kunden hätte sehr viele Unternehmen in | |
die Insolvenz getrieben“, sagte DRV-Präsident Norbert Fiebig. | |
Verbraucherschützer lehnen die Idee ab, in der Coronakrise ausgefallene | |
Reisen ausschließlich mit Gutscheinen zu kompensieren. „Die Kosten für | |
Pauschalreisen, die wegen der Coronakrise nicht stattfinden, müssen den | |
Verbrauchern nach geltendem Recht erstattet werden“, forderte der Chef des | |
Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, Die Verbraucher bräuchten | |
genauso Liquidität wie die Tourismusbranche. Sie müssten sich auch in | |
Krisenzeiten auf ihre Rechte verlassen können. „Gutscheine dürfen daher nur | |
freiwillig sein“, sagte Müller der dpa. | |
## Der Interessenkonflikt | |
Viele Tourismusunternehmen handeln so, als sei das Versprechen der | |
Bundesregierung bereits unmittelbar geltendes Recht. Das ist falsch. Denn | |
der Anspruch der Verbraucher auf Erstattung des Ticketpreises stammt aus | |
den europäischen Verbraucherschutzverordnungen, die vorerst unverändert | |
gültig sind. „Die Regelungen sind klar: Wer keine Leistung bekommt, muss | |
auch nicht zahlen“, stellt Oskar de Felice, Rechtsexperte beim | |
Fluggastrechteportal Flightright, klar: „Wenn Airlines versuchen, Kunden | |
mit Gutscheinen abzuspeisen, verstoßen sie damit eindeutig gegen geltendes | |
Recht.“ | |
Die Liquidität der Reiseanbieter müsste nach Vorstellung der | |
Verbraucherschützer durch einen staatlichen Überbrückungskredit | |
gewährleistet werden. Der Staat könnte über einen mit Steuermitteln | |
gefüllten Fonds die sofortige Rückzahlung aller Kundengelder sicherstellen. | |
Die Reisekonzerne könnten dieses staatliche Darlehen über 10 oder mehr | |
Jahre mit kleinen, verkraftbaren Beträgen abstottern. „Von einer | |
Fondslösung halte ich nichts“, sagt der Leiter des Freiburger | |
Walter-Eucken-Instituts für ökonomische Grundlagenforschung. „Die | |
Reisebranche könnte pauschal ihre Risiken auf die Gemeinschaft der | |
Steuerzahler abwälzen. Dabei hat sie zuvor ordentliche Gewinne | |
eingesteckt.“ Es könne auch in dieser schweren Krise nicht sein, „dass die | |
Gewinne privat anfallen und die Verluste sozialisiert werden“. | |
Über die Kosten wird noch viel gestritten werden. Was aber tun, wenn einen | |
die Lust aufs Reisen packt, wenn man unter Quarantäne, Enge, Isolation | |
verschärft vom Reisen träumt, von Usedom, der Karibik oder La Palma? | |
## Blick zurück | |
Die Zeit des Stillstands, des erzwungenen Nichtreisens werden wir in den | |
kommenden Wochen nutzen, um historische Reiseberichte vorzustellen. Viele | |
der Reisebeschreibungen waren zu ihrer Zeit Bestseller, denn nur wenige | |
hatten das Privileg, die Mittel und den Mut zu reisen. Übertreibungen, | |
Lügen, aber auch Weglassungen sollten Ruhm und Ehre der schreibenden | |
Reisenden mehren, ohne Zeitgenossen in ihrem Weltbild allzu sehr zu | |
verstören. Eurozentrismus, Überlegenheitsgefühle, Rassismen, aber auch | |
Bewunderung und Staunen durchziehen diese Berichte. | |
Wir werden Bücher aus dem Verlag der Pioniere vorstellen. Michael Uszinski, | |
Ex-tazler, will vergessenes Kulturgut wieder ans Tageslicht bringen. Vor | |
zehn Jahren gründete er seinen Verlag der Pioniere. Denn wahre Pioniere | |
sind die Protagonisten seiner opulenten Bücher: Forscher und Entdecker, die | |
in die unwirtlichsten Ecken der Welt aufbrachen und ihre Erlebnisse zu | |
Papier brachten. Wir werden Ausschnitte daraus veröffentlichen. | |
Im Mai 1834 begann Hermann von Pückler-Muskau seine „Grand Tour“ rund um | |
das Mittelmeer, die ihn während der nächsten sechs Jahre über Frankreich, | |
Tunesien, Griechenland, Ägypten und den Sudan, die Levante und die Türkei | |
wieder nach Hause führen sollte. In Ägypten hatte er den Vizekönig Muhammad | |
Ali Pascha kennen und schätzen gelernt, der sein Land, weitgehend | |
unbehelligt vom osmanischen Sultan, mit Hilfe europäischer Fachleute zu | |
modernisieren suchte. Muhammad Ali hatte in einer Auseinandersetzung mit | |
dem Sultan 1831 die unruhigen Provinzen Palästina und Syrien besetzt. | |
Pücklers Reise ins Heilige Land und nach Syrien fällt mitten hinein in die | |
Regierungszeit von Muhammads Sohn Ibrahim Pascha, der sich vor allem gegen | |
Aufstände der Drusen zu wehren hatte. Bereits zwei Jahre später, 1840, wird | |
eine Allianz aus Briten und Österreichern mit ihren Bomben auf die | |
Hafenstädte der Levante für die Vertreibung der Ägypter sorgen. | |
Richard Spruce war – neben Henry Walter Bates und Alfred Russel Wallace – | |
einer der drei „großen“ britischen Naturforscher. Im 19. Jahrhundert | |
streifte er in Booten, zu Fuß und zu Pferde 15 Jahre lang durch den | |
Regenwald des Amzonas und die Gebirge der Anden. Seine Erlebnisse und | |
Notizen zusammenzufassen gelingt ihm nicht mehr – diese Aufgabe übernahm | |
nach seinem Tod Alfred Wallace. Er stellte die „Aufzeichnungen eines | |
Botanikers am Amazonas und in den Anden“ zusammen. | |
Die Welt, wie sie in den Büchern beschrieben wird, ist für immer verloren, | |
in all ihrer Hoffnung, Schönheit und Sinnlichkeit. Aber sie ist eine Reise | |
wert, nicht nur so lange die Grenzen geschlossen und die Flugzeuge auf dem | |
Boden sind. Edith Kresta | |
13 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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