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# taz.de -- Regionalwahlen in Frankreich: Die Front gegen rechts bröckelt
> Am Sonntag beginnen die französischen Regionalwahlen. Linke und Grüne
> treten getrennt an, was in Macrons Kalkül passt. Doch es gibt eine
> Ausnahme.
Bild: Will Regionalchefin in Hauts-de-France werden: Karima Delli (l.)
Paris taz | Beim Verteilen ihres Wahlkampfflugblatts zieht die 42-jährige
[1][Karima Delli] immer wieder lächelnd die noch obligatorische Schutzmaske
runter, damit die Leute sehen, dass sie sehr wohl die schwarzhaarige
Kandidatin von den Fotos ist. Viele kennen die grüne Spitzenkandidatin
einer linken Einheitsliste in der nordfranzösischen Region Hauts-de-France
überhaupt nicht, obwohl sie selbst aus Tourcoing an der Grenze zu Belgien
kommt und auch schon zweimal ins Europaparlament gewählt worden ist.
Bei Frankreichs Regionalwahlen, die am Sonntag beginnen, will Delli
Präsidentin des Regionalrats von Hauts-de-France werden. Doch weil ihre
beiden wichtigsten Konkurrenten, Amtsinhaber Xavier Bertrand und der
rechtsextreme Abgeordnete Sébastien Chenu, den meisten besser bekannt sind,
wird Dellis Kampagne zu einer Aufholjagd mit ungewissem Ausgang.
In Umfragen liegt Dellis Liste auf dem dritten Platz. Ihre Aufgabe ist
alles andere als leicht: Die extreme Rechte ist in allen Regionen
Frankreichs stark im Kommen, und der bisherige Regionsvorsitzende Bertrand
ist eine nationale Größe der konservativen Rechten. Bertrand hat sogar
bereits seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im April 2022
angemeldet. Wie in den meisten anderen Regionen hat [2][die
Regierungspartei La République en marche (LREM)] in den Regionalwahlen
übrigens kaum Chancen, unter den Ersten zu landen.
Delli muss und will vor allem die traditionellen Linkswähler:innen
motivieren, die nach akkumulierten Enttäuschungen entweder zu Emmanuel
Macron oder zu Marine Le Pens rechtsextremem Rassemblement national (RN)
abgewandert sind oder aus fatalistischem Desinteresse überhaupt nicht mehr
wählen mögen. Die Angst vor Le Pen oder die Berufung auf den Antifaschismus
allein zieht nicht mehr. Dellis Erfolgsausweis ist, dass sie es als Grüne
immerhin geschafft hat, fast alle linken Parteien in ihrer Region für eine
Wahlunion zu gewinnen, was in dieser Form eine Ausnahme ist.
Delli schreibt diesen Erfolg ihrem in Brüssel als EU-Parlamentarierin
erlernten Verhandlungsgeschick zu: „Wenn es um einen Kompromiss in der EU
geht, hast du nicht unbedingt Recht oder Unrecht, es handelt sich darum,
eine Handlungsmöglichkeit zu finden. Genauso haben wir hier (im
französischen Nordwesten, Anm. d. Red.) verstanden, dass uns mehr vereint
als trennt. Es ist mir gelungen, alle meine Partner zu respektieren und ein
gemeinsames Ziel zu formulieren.“
## Linkes Konkurrenzdenken
Darum kandidieren auf der linken Einheitsliste neben den Grünen von
Europe-Ecologie-Les Verts (EELV) auch Mitglieder von La France insoumise
(LFI), den Kommunisten (PCF) und auch den Sozialisten (PS), die lange in
diesem ehemaligen Kohle- und Industriegebiet den Ton angegeben hatten,
jetzt aber den Grünen den Vortritt lassen, um überhaupt noch im Rennen zu
sein.
In anderen Regionen Frankreichs ist aus unterschiedlichen Gründen, oft
wegen politischer Divergenzen, aber auch aus geradezu sektiererisch
anmutendem Eigensinn und Konkurrenzdenken, keine vergleichbare Einheit
zustande gekommen. Die sonst traditionelle Linksfront Front républicain
gerät zusehends ins Bröckeln. Im Burgund beispielsweise treten gleich drei
linke Listen an, und prompt liegt nach Umfragen die extreme Rechte im
Hinblick auf den ersten Wahlgang am kommenden Sonntag in Führung und hat
sogar reelle Aussichten, diese Region zu erobern, die früher im Unterschied
zur Provence-Alpes-Côte d’Azur oder zum Elsass nie stark für die extreme
Rechte gewählt hatte.
Delli muss sich etwas einfallen lassen. Um die linke Einheit zu stärken und
sonst demotivierte Wähler:innen zu überzeugen, setzt sie auf eine
soziale und ökologische Verkehrspolitik: Die Benutzer:innen der
öffentlichen Transportmittel unter 26 Jahren sollen gratis fahren, lautet
ihr Wahlslogan. Sie richtet sich damit direkt an die jüngsten
Stimmberechtigten, die Meinungsforschern zufolge mehrheitlich gar nicht
wählen oder aber immer mehr von den demagogischen Versprechen des RN
angezogen werden. Denn die Hauts-de-France – die „Höhen Frankreichs“ –…
nur dem Namen nach ganz oben, in Wirklichkeit zählen sie seit dem Ende der
einstigen Kohle- und Stahlindustrie zu den ärmsten Regionen. Die
Jugendarbeitslosigkeit beträgt 31 Prozent, betont Delli.
## Zwischenwahlen als Generalprobe
Als neuntes von 13 Kindern einer aus Algerien eingewanderten
Arbeiterfamilie weiß sie, wovon sie spricht, wenn sie solche Zahlen nennt
oder von der Misere redet. Sie weiß auch, dass sie aufgrund ihrer Herkunft
eine Ausnahme von der Regel ist: Sowohl mit ihrem Studium und ihrer
Laufbahn wie auch mit der politischen Linkseinheit bei diesen Wahlen.
Diese, so hofft sie, soll erfolgreich genug sein, um in Hinblick auf die
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022 auch landesweit als Vorbild zu
dienen.
Für alle Parteien sind diese Zwischenwahlen in den Regionen und
Departements ohnehin eine Art Generalprobe und ein Test für mögliche
Allianzen oder Abgrenzungen. Präsident Macron erwartet von den Listen, die
sich auf ihn berufen, keine spektakulären Erfolge. Seine Partei LREM hat
keinen Sockel an Ämtern in den Regionen zu verteidigen. Ihm kann es
hingegen für seine Wiederwahl anlässlich eines erneuten Finales gegen
Marine Le Pen in zehn Monaten nur dienlich sein, wenn die linken und
bürgerlich-rechten Parteien weiter geschwächt aus den Regionalwahlen
hervorgehen.
Dass die Krise der traditionellen Parteien – namentlich links bei den
Sozialisten und rechts im Lager von Les Républicains (der Ex-Partei von
Nicolas Sarkozy) – im Gegenzug auch der extremen Rechte Auftrieb gibt,
scheint er mit einer etwas kurzfristigen Sicht als kalkuliertes Risiko in
Kauf zu nehmen.
19 Jun 2021
## LINKS
[1] /Monsantos-Liste-mit-Glyphosat-Feinden/!5607306
[2] /Nato-Gipfel-in-Bruessel/!5778675
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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