| # taz.de -- Nato-Gipfel in Brüssel: Bündnis sucht neue Gegner | |
| > US-Präsident Joe Biden drängt in Brüssel auf eine strategische | |
| > Neuausrichtung der Nato. Für die EU-Staaten birgt das ein Dilemma. | |
| Bild: Stillgestanden: Die Staats- und Regierungschefs beim Nato-Gipfel am Monta… | |
| Brüssel taz | Für den früheren US-Präsidenten Donald Trump war die Nato | |
| „obsolet“. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erklärte das im Kalten | |
| Krieg geborene Militärbündnis sogar für „hirntot“. Doch beim ersten | |
| Gipfeltreffen mit Trumps demokratischem Amtsnachfolger Joe Biden am Montag | |
| in Brüssel präsentierte sich die 30-Staaten-Allianz wieder quicklebendig – | |
| und kämpferischer denn je. | |
| Nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China, im Weltraum und im | |
| Cyberspace sollen künftig die Werte des Westens verteidigt werden, wie | |
| Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte. [1][Die nordatlantische | |
| Allianz werde im Indopazifik Flagge zeigen und sich in den „geopolitischen | |
| Wettbewerb“ einschalten.] Sogar eine neue Strategie soll die „Global Nato“ | |
| erhalten, kündigte Stoltenberg an. | |
| Auch Biden rüstete rhetorisch auf. „Ich will, dass ganz Europa weiß, dass | |
| die Vereinigten Staaten da sind“, rief der US-Präsident aus. Es sei die | |
| „heilige Pflicht“ der Amerikaner, ihren Alliierten beizustehen. Biden | |
| setzte sich damit unmissverständlich von seinem Amtsvorgänger Trump ab, der | |
| die Beistandsverpflichtung aus Artikel 5 des Nato-Vertrags infrage gestellt | |
| hatte. | |
| Gleichzeitig leitete Biden jedoch eine gewagte Neuinterpretation des | |
| Nordatlantikpakts ein. Das Bündnis soll künftig nicht mehr nur dazu da | |
| sein, Europa zu verteidigen und Russland abzuschrecken. Die Alliierten | |
| sollen sich vielmehr auch Asien und dem Pazifik zuwenden, um China im Zaum | |
| zu halten. „Wir haben Russland, das nicht so handelt wie erhofft, sowie | |
| China“, sagte Biden. | |
| [2][Schon beim G7-Gipfel im britischen Cornwall hatte der US-Präsident für | |
| eine härtere Gangart gegen das Reich der Mitte geworben.] Die USA sehen | |
| China nicht nur als geopolitischen Rivalen, sondern zunehmend auch als | |
| militärische Bedrohung, die die amerikanische Dominanz in den Weltmeeren | |
| infrage stellt. Biden setzt deshalb auf eine Strategie der Eindämmung, die | |
| Nato soll dabei helfen. | |
| Das passt jedoch schlecht zur Strategie der Europäer. Sie betrachten China | |
| zwar ebenfalls als strategischen Rivalen, aber auch als Partner – etwa beim | |
| Kampf gegen die Klimakrise. „Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg“, | |
| betonte der britische Premier Boris Johnson in Brüssel. Ähnlich äußerten | |
| sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel | |
| Macron. | |
| Fast zwei Stunden lang diskutierten die Staats- und Regierungschefs über | |
| den neuen Gegner in Fernost. Doch Einwände gegen Bidens brisante | |
| Neuausrichtung der Nato hatte offenbar niemand mehr. Schon vor Ende der | |
| Debatte wurde ein Entwurf bekannt, in dem China als „systemische | |
| Herausforderung“ für „relevante Bereiche der Sicherheit der Allianz“ | |
| bezeichnet wird. | |
| In dem Gipfeldokument wird kritisiert, dass China sein nukleares | |
| Waffenarsenal schnell erweitere, seine Truppen auf undurchsichtige Weise | |
| modernisiere und mit Russland militärisch zusammenarbeite. Auch Moskau | |
| werde in „harter Sprache“ zur Ordnung gerufen, sagte ein Nato-Diplomat. | |
| Darauf hatten die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen | |
| gedrungen. | |
| Biden sicherte ihnen Unterstützung zu. Am Rande des Nato-Gipfels traf er | |
| Estlands Regierungschefin Kaja Kallas, Lettlands Staatspräsidenten Egils | |
| Levits und Litauens Präsidenten Gitanas Nausėda. Später war auch noch ein | |
| Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan geplant. Die USA | |
| werfen der Türkei vor, zu eng mit Russland zusammenzuarbeiten und Alliierte | |
| wie Griechenland und Zypern zu drangsalieren. | |
| ## Die Ukraine drängt auf Klarheit | |
| Auch Merkel und Macron trafen sich gesondert mit Erdoğan. Macron sei es um | |
| eine „strategische Klarstellung zwischen Verbündeten über die Werte, | |
| Prinzipien und die Regeln innerhalb der Nato“ gegangen, erklärte der | |
| Elyséepalast. Die Türkei hatte Frankreich im vergangenen Jahr offen | |
| gedroht. | |
| Erdoğan warf den Verbündeten mangelnde Unterstützung vor. „Leider haben wir | |
| in unserem Kampf gegen jede Form von Terrorismus nicht die Unterstützung | |
| und Solidarität von unseren Verbündeten und Partnern erhalten, die wir | |
| erwartet haben“, sagte Erdoğan in einer Videobotschaft auf dem Nato-Gipfel. | |
| Sie war vor allem an Biden gerichtet: Die Türkei kritisiert immer wieder, | |
| dass die USA in Syrien die Kurdenmiliz YPG unterstützen. | |
| Streit gibt es auch über den Kurs gegenüber der Ukraine. Der ukrainische | |
| Präsident Wolodymyr Selenski fordert von der Nato Klarheit über eine | |
| Mitgliedschaft seines Landes in der Allianz. Dazu wolle er von Biden ein | |
| deutliches Ja oder Nein hören, sagte Selenski. Gegen einen Nato-Beitritt | |
| des Landes haben sich Deutschland und Frankreich ausgesprochen. | |
| Allerdings zeigte sich Merkel zuletzt offen für mehr Hilfe an die Ukraine. | |
| [3][Im Streit über die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2] stellte | |
| die Kanzlerin finanzielle Kompensationen in Aussicht. Über Details will sie | |
| am 15. Juli bei einem USA-Besuch mit Biden sprechen. Die Nato hat sich aus | |
| dem Streit bisher weitgehend herausgehalten. | |
| 14 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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