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# taz.de -- Treffen von Biden und Erdoğan: Freifahrtschein für den Autokraten
> Wer gehofft hat, Biden werde dem türkischen Präsidenten gegenüber klare
> Kante zeigen, ist enttäuscht worden. Der US-Präsident setzt auf Erdoğans
> Loyalität zur Nato.
Bild: Joe Biden ebnet Erdoğan den Weg zurück in den Kreis der westlichen Regi…
Die [1][freie Welt der Demokratien] muss wieder zusammenstehen gegen den
wachsenden Einfluss von Diktatoren, Autokraten und Populisten, so hatte Joe
Biden sein außenpolitisches Programm zu Beginn seiner Amtszeit vorgestellt.
Und er schien sich daran halten zu wollen. Den russischen Präsidenten
Wladimir Putin nannte er in einem Interview einen [2][„Killer“], den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan einen „Autokraten“.
Mit dem Letzteren hat sich der US-Präsident nun am Montagabend nach dem
[3][Nato-Gipfel in Brüssel] erstmals persönlich zusammengesetzt. Von einer
klaren Kante gegen Autokraten war da nichts mehr zu sehen. Schon während
des Gipfels ging Biden mit einem warmen Lächeln im Gesicht an allen anderen
Teilnehmern vorbei und hielt ausgerechnet bei Erdoğan an, dem Mann, der
sich im demokratischen Westen mehr und mehr zur Unperson gemacht hatte.
Begeistert zeigte das [4][türkische Fernsehen] den ganzen Tag über, wie
Biden freundlich mit Erdoğan plauderte und ihm väterlich auf den Rücken
klopfte. Während die anderen Chefs und Chefinnen der Nato-Verbündeten bei
Biden jeweils nur für wenige Minuten vorsprechen konnten, widmete der
US-Präsident dem türkischen „Autokraten“ fast eine ganze Stunde, davon zw…
Drittel der Zeit im vertrauten Gespräch unter vier Augen.
Zwischen [5][Bidens Anerkennung des Völkermords an den Armeniern] im April
und dem Nato-Gipfel im Juni scheint sich die Einschätzung der neuen
US-Administration über Erdoğan und seine Türkei erheblich verändert zu
haben. Und das liegt nicht an Erdoğans Politik.
## Putin wiegt schwerer
Mit dem [6][Ausstieg aus der Istanbul-Konvention] für Frauenrechte, dem
angestrengten [7][Verbot der kurdisch-linken HDP] und der anhaltenden
unerbittlichen Verfolgung jeden Kritikers seiner Politik hat Erdoğan in den
letzten Wochen deutlich gemacht, dass er gar nicht daran denkt, sich vom
Autokraten zum Demokraten hin zu bewegen.
Doch Biden war das anscheinend egal. Er wollte von Erdoğan ein
Loyalitätsbekenntnis zur Nato und damit Unterstützung gegen Putin, mit dem
er sich am Mittwoch auseinandersetzen wird. Das hat er offenbar bekommen,
auch wenn Erdoğan beim größten Streitpunkt, der von den USA geforderten
Verschrottung des von [8][Russland gekauften Anti-Raketensystems S-400],
nicht gleich zustimmen wollte. Das werden Experten jetzt weiter
diskutieren.
Dafür hat Erdoğan Bidens Wunsch zugestimmt, die Türkei möge doch als
einziger Nato-Staat nach dem Rückzug aller anderen westlichen Truppen noch
in Afghanistan bleiben und dort für die Sicherheit auf dem Flughafen von
Kabul sorgen. Erdoğan hat durch das Treffen mit Biden bekommen, was er
wollte. Die Rückkehr in den Kreis der westlichen Regierungschefs. Er kann
damit aus der Isolation der letzten Jahre ausbrechen, in die er die Türkei
selbst geführt hatte.
Ob Biden ihm dafür noch echte Zugeständnisse abverlangen wird, muss sich in
den kommenden Monaten zeigen. Doch erst einmal hat der stark angeschlagene
Erdoğan mit dem Treffen zu Hause punkten können. Eine rote Karte für
Autokraten sieht anders aus.
15 Jun 2021
## LINKS
[1] https://joebiden.com/americanleadership/
[2] /Bidens-Positionierung-gegenueber-Putin/!5755026
[3] /Nato-Gipfel-in-Bruessel/!5778675
[4] https://www.youtube.com/watch?v=hedokhlbIaY
[5] /Voelkermord-an-Armeniern/!5768581
[6] /Tuerkei-tritt-aus-der-Istanbul-Konvention-aus/!5759872
[7] /HDP-Verbotsverfahren-in-der-Tuerkei/!5759674
[8] /Streit-um-russisches-Raketenabwehrsystem/!5739417
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Nato
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