# taz.de -- Reform der Volksgesetzgebung: Staatskrise durch Volkes Wille? | |
> Rot-Grün will von Volksinitiativen realistische Finanzierungsvorschläge | |
> für Volksentscheide verlangen. Der Verein „Mehr Demokratie“ hält nichts | |
> von der Idee. | |
Bild: Das kostet: Das Kita-Netzwerk Hamburg fordert mehr Betreuer*innen | |
HAMBURG taz | Die Volksgesetzgebung in Hamburg wird wahrscheinlich erneut | |
ein Fall für das Landesverfassungsgericht. Der Grund dafür ist die ab 2019 | |
geltende Schuldenbremse in der Hamburger Verfassung. Dann könnten, so | |
befürchtet die Regierungskoalition von SPD und Grünen und auch die | |
oppositionelle CDU, per Volksentscheid Ausgaben ohne Gegenfinanzierung | |
beschlossen werden. | |
In letzter Konsequenz drohe, so das Szenario des grünen | |
Fraktionsvorsitzenden Anjes Tjarks, „eine Staatskrise“. Es dürfe nicht | |
sein, dass „der Volksgesetzgeber immer weitere Ausgaben fordert und nicht | |
sagt, wo das Geld herkommen soll“, stellt Tjarks in einem gemeinsamen | |
Interview mit SPD-Fraktionschef Andreas Dressel in der Mopo klar. | |
Aktueller Anlass ist die Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburger Kitas“, | |
die sich für mehr Personal in Hamburgs Kindertagesstätten einsetzt und eine | |
Verbesserung der Kind-Betreuer-Relation fordert. Das würde zu einer | |
Personalaufstockung um 25 Prozent und jährlichen Mehrkosten von 350 | |
Millionen Euro führen, die allein aus dem Hamburger Haushalt „in keinem | |
Fall zu leisten“ seien, erklärten die beiden Fraktionschefs. „Sollte die | |
Volksinitiative nicht beidrehen, wird eine Überprüfung durch das | |
Verfassungsgericht unvermeidlich sein“, so ihre unmissverständliche Ansage. | |
Für Manfred Brandt ist das eine „Volksgesetzgebung im Rückwärtsgang“. SP… | |
Grüne und CDU würden „offenbar dem Obrigkeitsstaat nachtrauern“, vermutet | |
der Sprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, der seit mehr als zwei | |
Jahrzehnten für die direkte Demokratie in Hamburg kämpft. Es sei „absurd“ | |
zu behaupten, dass Volksentscheide in eine Staatskrise führten, so Brandt: | |
„Wenn das so wäre, müsste die Schweiz längst bankrott sein. Doch erkennbar | |
ist das Gegenteil der Fall.“ | |
Seit Einführung der direkten Demokratie 1996 gab es in Hamburg 29 | |
Volksinitiativen, 14 Volksbegehren und acht Volksentscheide inklusive des | |
von Senat und Parlament vorgelegten Olympia-Referendums. Zwar müssen | |
Initiativen einen Finanzierungsvorschlag für ihre Wünsche machen, doch kann | |
dieser vage oder unrealistisch sein. Erhöhte Gehaltssummen für zusätzliche | |
Lehrer dürfen nicht durch Verzicht auf die Sanierung von Schulen | |
aufgebracht werden, mehr Polizisten können verfassungsrechtlich nicht durch | |
das Nicht-Bauen von Radwegen finanziert werden. | |
„Die Initiative muss konkret sagen, wo das Geld weggenommen werden soll“, | |
sagt Dressel. Darüber wolle die rot-grüne Koalition in nächster Zeit mit | |
den anderen Fraktionen in der Bürgerschaft und mit dem Verein „Mehr | |
Demokratie“ diskutieren. Auch Volksinitiativen müssten die Einhaltung der | |
Schuldenbremse und damit das Verbot der Neuverschuldung berücksichtigen, | |
damit die Volksgesetzgebung „dauerhaft zukunftsfest“ sei, so Tjarks. | |
Im Zweifel aber müsste das Landesverfassungsgericht diese Fragen klären. | |
Sollte eine Einigung mit „Mehr Demokratie“ und eine breite Zustimmung in | |
der Bürgerschaft nicht zu erzielen sein, müsse dieser Weg beschritten | |
werden. Konkret müsse das oberste Hamburger Gericht auch angerufen werden, | |
wenn die Kita-Initiative auf Forderungen beharre, die gegen den | |
Haushaltsvorbehalt des Parlaments verstießen. Dann müsse das | |
Verfassungsgericht für klare Regeln sorgen, findet Rot-Grün. | |
Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“ lässt sich davon nicht überzeugen: �… | |
waren denn zuverlässige Kostenberechnungen von Senat und Bürgerschaft beim | |
Olympia-Referendum?“, fragt er. Dass die Forderungen der Kita-Initiative | |
„jetzt angeblich unbezahlbar“ seien, hält er für eine „Missachtung des | |
Bürgerwillens“. Die wahren Gründe für den Vorstoß seien ganz andere, | |
vermutet Brandt: „Das Regieren wird eben nicht einfacher, wenn Bürger und | |
Bürgerinnen mitbestimmen können.“ | |
9 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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