# taz.de -- Rechtsextreme Anschläge in Berlin: Die „Kassandros“-Serie | |
> Viel spricht dafür, dass drei antisemitische und queerfeindliche | |
> Brandanschläge auf das Konto eines Täters gehen. Doch die Serie ist noch | |
> größer. | |
Bild: Rassistische Parole auf einem Schild an einem Kindergarten | |
Berlin taz | Seit Anfang Januar kommt es in Berlin immer wieder zu | |
rassistischen, antisemitischen und antifeministischen beziehungsweise | |
homophoben Taten, die alle auf denselben Täter – oder dieselbe Tätergruppe | |
– hinweisen. Wie bei dem Brandanschlag am vergangenen Samstag auf die | |
[1][Bücherboxx] am Gleis 17 im Grunewald, das an die Deportation von | |
Jüd:innen erinnert, finden sich an den Tatorten Zettel oder Schmierereien | |
ähnlichen Musters mit antisemitischen Vernichtungsfantasien und Geraune von | |
einem Tag X. | |
Sie alle tragen dieselbe Unterschrift: „Kassandros“, teilweise mit dem | |
Zusatz „Berolinensis“. Nach Recherchen der taz gibt es berlinweit bereits | |
mindestens acht, womöglich sogar mehr Taten, die mutmaßlich zu der Serie | |
gehören. | |
Ein erster Zettel dieser Art tauchte bereits am 3. Januar am Museum Treptow | |
auf. Darauf hatte zunächst das Antifaschistische Presse- und | |
Bildungszentrum (Apabiz) hingewiesen. Dokumentiert hat das Schreiben das | |
Register Treptow-Köpenick. Gerichtet war dieser an die „Okkupanten“, | |
gemeint sind wohl Nichtdeutsche, denen geraten wird, zu „verschwinden“. | |
Dazu die Warnung vor einem dritten Weltkrieg („WK 3“) in „43 Monaten“. | |
Ein gutes halbes Jahr später endete das lange Pamphlet, das sich in der | |
Nähe des Bücher-Denkmals fand und in dem von einem „ehrlosen Schandmal“ d… | |
Rede ist, mit dem Hinweis auf einen Krieg in 37 Monaten. Heruntergezählt | |
wird ein Countdown, dessen Ende der Verfasser wohl für Ende August 2026 | |
erwartet. | |
Nachdem es zuerst Unklarheit darüber gegeben hatte, inwiefern die Polizei | |
dieses [2][Bekennerpamphlet, das sich an einer Bank unweit der Bücherboxx | |
befand, übersehen hatte], scheint inzwischen klar: Das Schreiben wurde erst | |
hinterlassen, nachdem die Polizei den Tatort morgens gegen 5 Uhr schon | |
wieder verlassen hatte. So schildert es Konrad Kutt, der Betreiber der | |
Bücherboxx, der den Zettel später gefunden hatte. Gegen einen | |
Trittbrettfahrer, der mit dem Anschlag selbst nichts zu tun hat, spricht | |
hingegen der kurze zeitliche Abstand zwischen Brand und Hinterlassen des | |
Zettels samt der konkreten Bezugnahme auf das Mahnmal. | |
## Drei Brandstiftungen | |
Nur zwei Tage nach dem Anschlag im Grunewald tauchten am Montagmorgen die | |
[3][nächsten Schreiben dieser Art auf], diesmal am linken Infoladen Lunte | |
in der Neuköllner Weisestraße. Gleich auf mehreren eng beschriebenen | |
Papieren finden sich darin wirre Verschwörungserzählungen oder Bibelzitate, | |
darunter eines aus dem 3. Buch Mose, Kapitel 20,13, in dem es heißt: „Wenn | |
jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und | |
sollen beide des Todes sterben.“ | |
In unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zur Lunte, bei der die | |
Scheiben heil blieben, kam es an jedem Morgen zu einem weiteren Anschlag. | |
Nur 300 Meter entfernt gab es den Versuch, die Räumlichkeiten von RuT – Rad | |
und Tat, einer Initiative lesbischer Frauen – in Brand zu setzen. Laut | |
einer Mitteilung der Polizei konnten „neben der zerstörten | |
Schaufensterscheibe auch verbrannte sowie verkohlte Flugblätter und | |
Broschüren im Innenraum“ festgestellt werden. | |
Inwiefern sich dort ebenfalls Pamphlete fanden, wollte die Initiative auf | |
Nachfrage nicht beantworten. Angeblich habe die Polizei darum gebeten. | |
Polizei und Staatsanwaltschaft wollten sich jedoch am Dienstag nicht zu dem | |
Ermittlungsstand zu diesen Taten äußern. | |
Wie brisant die Situation ist, zeigt sich an einem dritten Brandanschlag | |
innerhalb kürzester Zeit, ebenfalls am Samstagmorgen verübt. Wie | |
mittlerweile bekannt wurde, hat ein Täter einen brennenden Gegenstand auf | |
das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen | |
geworfen. | |
Angebracht wurden nach Angaben der Polizei und des Lesben- und | |
Schwulenverbandes (LSVD) auch zwei Zettel mit einem abgewandelten | |
Bibelzitat. Es handelt sich um das 3. Buch Mose, Kapitel 20,13. Laut der | |
Amadeu Antonio Stiftung ist auch hier der Unterzeichner „Kassandros | |
Berolinensis“. Bereits 2021 hatte ein Rentner zehn Anschläge auf das | |
Mahnmal gestanden. | |
## Serie schon im Januar | |
Erstmalig gefunden hatte sich das Bibelzitat Anfang Januar in Johannisthal. | |
Damals schlug der Täter die Scheiben zweier Bushaltestellen ein, um | |
dahinter befindliche Plakate gegen homo-feindlichen Hatespeech des Lesben- | |
und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) zerstören. Beide Schriftzüge | |
wurden mit dem Namen „Kassandros“ unterschrieben. | |
Das Register Treptow-Köpenick zählt für die ersten zwei Januar-Wochen | |
insgesamt sechs vergleichbare Taten, mehrere davon an Wahlplakaten | |
demokratischer Parteien. Zu der „Kassandros“-Serie zählt auch ein | |
Schriftzug auf einem Schild einer Kita, das die antirassistische Haltung | |
der Einrichtung beschreibt. | |
Nicht auszuschließen ist, dass es noch weitere ähnliche Taten gab. So wurde | |
nach taz-Informationen am vergangenen Freitag zwei diffamierende | |
Flugblätter an einer arabischen Schule in der Flughafenstraße entdeckt. | |
Einer Anwohnerin zufolge werden darauf Menschen als „Viehzeug“ bezeichnet. | |
Der Begriff findet sich gleichwohl auf mehreren anderen Zetteln, die der | |
Täter unter seinem Namen verbreitete. | |
Die Amadeu Antonio Stiftung forderte am Dienstag: „Die Sicherheitsbehörden | |
dürfen die Fälle nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es handelt sich um | |
ideologisch zusammenhängende, politisch motivierte Straftaten.“ Die | |
Anschläge müssten „als Angriffsserie unter Hochdruck aufgeklärt werden“. | |
Dabei sei es egal, wie „obskur“ die Schreiben seien – „am Ende werden a… | |
Worten Taten“. | |
Berlins Queer-Beauftragter Alfonso Pantisano (SPD) sagte: „Ich bin zutiefst | |
geschockt über das Ausmaß der Gewalt gegen queere Menschen.“ Zugleich | |
vermisse er „einen Aufschrei und die Solidarität in der Zivilgesellschaft“. | |
15 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus-in-Berlin/!5949810 | |
[2] /Antisemitismus-in-Berlin/!5949975 | |
[3] https://twitter.com/nk_12049/status/1691131161672667143 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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