# taz.de -- Rechte Parteien in Europa: Wie halten sie es mit Putin? | |
> Migrationsfeindlich und europakritisch sind sie alle. Doch die | |
> Rechtsaußen-Parteien in Österreich, Finnland und Estland wollen für mehr | |
> stehen. | |
Bild: FPÖ-Mitglieder verlassen den Nationalrat, als Selenskyj am 30. März per… | |
## Putins Genossen sitzen auch in Wien | |
Aus heutiger Sicht überraschend, war die Freiheitliche Partei Österreichs | |
(FPÖ) jahrzehntelang für die europäische Integration. Schon in ihrem | |
erstem Programm 1955 sprach sie sich für „den europäischen Bund freier und | |
gleichberechtigter Staaten“ aus, 1966 gar für den „europäischen | |
Bundesstaat“. Selbst Jörg Haider, der die FPÖ ab 1986 mit Populismus und | |
Fremdenfeindlichkeit in lichte Höhen führte, war für einen EWG-Beitritt | |
„zum frühestmöglichen Zeitpunkt“. Erst Anfang der 1990er änderten sie ih… | |
Haltung, wohl auch aus Fundamentalopposition zur damals stark | |
proeuropäischen ÖVP. | |
Die Österreicher sprachen sich mit Zweidrittelmehrheit für den EU-Beitritt | |
1995 aus, die FPÖ jedoch blieb europaskeptisch. „Wir bekennen uns zu einem | |
Europa der historisch gewachsenen Völker und autochthonen Volksgruppen und | |
lehnen eine künstliche Gleichschaltung der vielfältigen europäischen | |
Sprachen und Kulturen durch erzwungenen Multikulturalismus, Globalisierung | |
und Massenzuwanderung entschieden ab“, heißt es im Europakapitel des | |
FPÖ-Programms. | |
„Brüssel rafft immer mehr Kompetenzen an sich“, sagte Harald Vilimsky, | |
FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, kürzlich im ORF. Derzeit stellt | |
die FPÖ drei der 19 österreichischen EU-Abgeordneten. Hauptthema der FPÖ in | |
Brüssel und Wien ist die Zuwanderung. Eine Verteilung von Migranten in der | |
EU lehnte die Europafraktion ab. Den kürzlich beschlossenen Migrationspakt | |
beurteilt sie mit „Zu wenig, zu spät“. Ebenso lehnt die FPÖ den | |
[1][Schengenraumbeitritt von Rumänien und Bulgarien ab, den Österreich bis | |
heute blockiert.] | |
Angesprochen auf Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt Vilimsky | |
diesen zwar, betont aber im selben Atemzug die Äquidistanz seiner Partei zu | |
internationalen Akteuren. Konsequent ist das nicht: 2016 schloss die FPÖ in | |
Moskau einen „Freundschaftsvertrag“ mit Putins Partei Einiges Russland ab, | |
der mittlerweile „ausgelaufen“ sei. Bis heute kritisiert die FPÖ Sanktionen | |
gegen Russland und argumentiert mit der – auch von anderen Parteien immer | |
wieder instrumentalisierten – österreichischen Neutralität. | |
So ergibt sich ein prorussisches Bild. Während einer Videoansprache des | |
[2][ukrainischen Präsidenten Selenski im Nationalrat] verließen die | |
FPÖ-Abgeordneten geschlossen den Saal. Bereits 2014 entsandte die Partei | |
ihren damaligen außenpolitischen Sprecher Johannes Hübner und den früheren | |
EU-Abgeordneten Ewald Stadler als „inoffizielle Wahlbeobachter“ auf die | |
Krim. Auch ihre Präsenz trug dazu bei, die völkerrechtswidrige Annexion zu | |
legitimieren. Florian Bayer | |
## Am liebsten ganz raus aus der EU | |
Im Europaparlament gehören die Wahren Finnen nicht mehr der Fraktion | |
Identität und Demokratie (ID) an, sondern kehrten im April zu den | |
Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) zurück. Der Fraktion hatte | |
die finnische Partei schon in der Periode 2014 bis 2019 angehört. Grund | |
dafür war das ambivalente Verhältnis von ID-Mitgliedsparteien zu Russland. | |
„Die radikale Veränderung der sicherheitspolitischen Situation Finnlands, | |
die durch den brutalen Angriffskrieg Russlands verursacht wurde, hat auch | |
dazu geführt, dass die Wahren Finnen ihre internationalen | |
Kooperationsnetzwerke überdenken müssen“, hieß es in einem Statement. Man | |
wolle der Fraktion angehören, „deren Mitgliedsparteien die kompromisslose | |
Verteidigung der westlichen Zivilisation und der europäischen | |
sicherheitspolitischen Architektur eint“. | |
Was ansonsten das Verhältnis der Partei zur EU angeht, so fordert sie, dass | |
Finnland zu einer eigenen nationalen Währung zurückkehrt. Die Übernahme des | |
Euro sei ein „riesiger politischer und ökonomischer Fehler“ gewesen, steht | |
in ihrem Europawahlprogramm 2019. Zudem soll Finnland die Gemeinschaft ganz | |
verlassen. Das sei, wie die [3][Parteivorsitzende Riikka Purra] vor der | |
finnischen Parlamentswahl 2023 klarstellte, „derzeit nicht aktuell“. Als | |
Regierungspartei in Helsinki wolle man sich darauf konzentrieren, den | |
Prozess einer stetig fortschreitenden Integration zu stoppen. Der | |
Fortbestand der finnischen Demokratie „hängt davon ab, dass Finnland sich | |
von der Einmischung Brüssels in alle Aspekte des finnischen Alltagslebens | |
befreit“. | |
Ihren migrationsfeindlichen Kurs haben die Wahren Finnen vor der | |
diesjährigen Parlamentswahl verschärft. Das Programm der Koalition trägt | |
deutlich ihre Handschrift: striktere Asylpolitik mit befristetem und | |
bedingtem Schutz, Halbierung der Zahl der Konventionsflüchtlinge, | |
Einschränkung des Rechtsschutzes, die Erlangung der Staatsbürgerschaft wird | |
erschwert. Debatten über offenen Rassismus und gewaltverherrlichende Posts | |
führender ParteivertreterInnen und Kabinettsmitglieder prägten die ersten | |
Wochen der neuen Koalition. [4][Nach zehn Tagen musste der erste Minister | |
seinen Hut nehmen,] in Helsinki und anderen Städten fanden Proteste unter | |
dem Motto „Rassisten raus aus der Regierung“ statt. | |
[5][Die Position einer Regierungspartei verdanken sie Ministerpräsident | |
Petteri Orpos konservativer Nationaler Sammlungspartei] – einer | |
Schwesterpartei der CDU. Sie hatte den Wahren Finnen den Vorzug vor den | |
Sozialdemokraten gegeben. Reinhard Wolff | |
## Homophobie als Kernkompetenz | |
Martin Helme, Chef der rechtsradikalen Estnischen Konservativen Volkspartei | |
(EKRE), bringt seine Botschaften gerne persönlich unters Volk – so | |
geschehen Ende Juli in der Gemeinde Kose-Uuemõisa. Und da war sie wieder, | |
die hasserfüllte Rhetorik gegen die EU: Die Regierung wolle Estland als | |
Nationalstaat der Esten zerstören und eine Europrovinz errichten. „Jetzt | |
wurde in Brüssel vereinbart, dass neben der Masseneinwanderung von Slawen | |
auch Muslime und N… zu uns kommen werden, denn so ist der Migrationspakt | |
der EU. Wir wollen nicht, dass die Esten verdrängt oder in ihrem Land zur | |
Minderheit werden“, sagte Helme. Nur seine Partei könne den baltischen | |
Staat retten. | |
EKRE ist eine Art Familienunternehmen. Gegründet wurde die Partei 2012 von | |
Helmes Vater Mart Helme, Historiker und Ex-Diplomat. Das Programm ist | |
schnell erzählt: Euroskeptizismus, Hetze gegen Migrant*innen, Homophobie | |
und Sexismus. Bei der Parlamentswahl 2015 schaffte EKRE mit 8,1 Prozent auf | |
Anhieb den Einzug ins Parlament, landete vier Jahre später als | |
drittstärkste Kraft bei 17,8 Prozent und errang kurz darauf im Sommer 2019 | |
bei der Europawahl einen der sechs für Estland vorgesehen Sitzen. Der | |
Abgeordnete Jaak Madison schloss sich der Fraktion Identität und | |
Demokratie (ID) an. | |
Das gute Ergebnis bei der nationalen Wahl brachte EKRE unter Führung der | |
Zentrumspartei (Mitte-links) eine Beteiligung an der Regierung ein. Helme | |
senior übernahm das Innenministerium, sein Spross Martin wurde | |
Finanzminister. Wegen eines Korruptionsskandals war die Regierung nach 18 | |
Monaten am Ende, EKRE fand sich auf der Oppositionsbank wieder. In | |
negativer Erinnerung dieses Intermezzos bleibt ein Vorstoß der | |
Rechts-außen-Partei, mit einem Referendum die Ehe als Verbindung zwischen | |
Mann und Frau festschreiben zu lassen. Das Vorhaben versandete. | |
Beobachter*innen sind der Meinung, dass die EKRE im Mainstream | |
angekommen ist. Letzt[6][en März wurden die Est*innen wieder an die Urnen | |
gerufen.] Auch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine war im Wahlkampf | |
präsent. EKRE versuchte, vor allem bei Vertreter*innen der russischen | |
Minderheit (25 Prozent der Bevölkerung) zu punkten, [7][indem die Partei | |
Stimmung gegen ukrainische Geflüchtete machte.] Die Rechnung ging nicht auf | |
– 16 Prozent und Opposition, lautete das Ergebnis. Doch EKRE bleibt ein | |
Problem, das durch Aussitzen nicht zu lösen ist. Jüngsten Umfragen zufolge | |
liegt die Truppe bei knapp 22 Prozent. Barbara Oertel | |
6 Aug 2023 | |
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