# taz.de -- Rassistische Äußerungen in Finnland: Skandalregierung auf der Kip… | |
> Die Regierungskoalition muss sich nach rassistischen Äußerungen einem | |
> Misstrauensvotum stellen. Die Wahren Finnen drohen ihren | |
> Koalitionspartnern. | |
Bild: Proteste in Finnlands Hauptstadt Helsinki gegen den Rassismus in der Regi… | |
Stockholm taz | In Finnland geht am Dienstag die parlamentarische | |
Sommerpause zu Ende. Damit endet auch die Schonfrist für die Regierung von | |
Ministerpräsident Petteri Orpo. Seit ihrem Amtsantritt im Juni wird seine | |
Vierparteienkoalition, der auch die extrem-rechte Partei Wahre Finnen | |
angehört, von einem Rassismusskandal nach dem anderen erschüttert. Nun, | |
nach der Sommerpause, soll eine Vertrauensabstimmung im Parlament | |
entscheiden, ob Orpos Regierung weitermachen darf – oder zu einer der | |
kurzlebigsten jemals in Finnlands wird. | |
Nach nur zehn Tagen im Amt musste Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila Ende | |
Juni [1][wegen seiner engen Kontakte zu neonazistischen Gruppen] | |
zurücktreten. Doch auch der Stuhl seines Amtsnachfolgers, Wille Rydman, | |
wackelt nun. Der hatte bis Anfang des Jahres noch der konservativen | |
Sammlungspartei angehört. Der Parteivorsitzende Orpo warf ihm damals vor, | |
er habe seinen politischen Status ausgenutzt, um junge Frauen sexuell zu | |
belästigen, und sich gegenüber minderjährigen Mädchen „unangemessen“ | |
verhalten. Orpo entzog ihm das Vertrauen und Rydman wechselte zu den Wahren | |
Finnen. | |
In Anbetracht dieser Vorgeschichte verwundert es nicht, dass viele es als | |
offene Provokation gegenüber Orpo auffassten, als die Wahren Finnen | |
ausgerechnet Rydman zum Nachfolger Junnilas wählten. Nach seinem | |
Amtsantritt wurden außerdem rassistische Äußerungen Rydmans in den sozialen | |
Medien bekannt: Menschen aus Nahost bezeichnete er als „Wüstenaffen“, über | |
Gartengewächse schrieb er, sie vermehrten sich „wie Somalier“. Auf die | |
Frage, ob man einem Kind den Namen Immanuel geben sollte, antwortete | |
Rydman: „So einen Judenkram mögen wir Nazis ja nicht.“ | |
Die Parteivorsitzende der Wahren Finnen, Riikka Purra, bezeichnete die | |
Äußerungen zwar als „unsachlich“, aber entschuldigte sie damit, dass auch | |
Politiker ein Privatleben hätten. | |
## Eine Hand wäscht die andere bei den Wahren Finnen | |
Dass sich Rydman nicht schon im Juli einem Misstrauensvotum stellen musste, | |
hatte Parlamentspräsident [2][Jussi Halla-Aho] verhindert. Der war bis vor | |
zwei Jahren Parteivorsitzender der Wahren Finnen und ist wegen | |
Volksverhetzung vorbestraft. Die von der Opposition gewünschte Einberufung | |
des Reichstags in der Sommerpause hatte er verweigert. Das bedeutet, dass | |
das Parlament bislang keine Gelegenheit hatte, zum Wechsel im Amt des | |
Wirtschaftsministers Stellung zu nehmen. In den Augen einiger | |
Staatsrechtler ist das ein verfassungsrechtlich fragwürdiger Vorgang. | |
Weite Teile der Opposition halten sowohl Rydman als auch Purra aufgrund | |
ihrer Aussagen für untragbar in einer finnischen Regierung und begründen so | |
ihre Absicht für ein Misstrauensvotum. „Eine Person, die die unantastbare | |
Menschenwürde und das Gleichheitsprinzip unserer Verfassung nicht | |
respektiert, kann nicht Minister sein“, sagt etwa Veronika Honkasalo, die | |
Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. „Diese Regierung hat unser Vertrauen | |
nicht“, erklärte auch Antti Lindtman, der Parteivorsitzende der | |
Sozialdemokraten. | |
Sollten die Parteien der Koalition das Misstrauensvotum nicht geschlossen | |
ablehnen, wäre die Regierung am Ende, drohte Purra schon vorab. Ihre | |
Warnung – „entweder man ist eine Regierung oder man ist keine“ – richtet | |
sich vor allem an die liberale Koalitionspartnerin, die Schwedische | |
Volkspartei. In deren Reihen hatte es von vorneherein Bauchschmerzen | |
bezüglich einer Zusammenarbeit mit den Wahren Finnen gegeben. Nachdem man | |
sich dafür entschieden habe, könne man die Koalition nicht gleich wieder | |
platzen lassen, sagt die Partei- und Fraktionsführung nun. Fraglich ist, ob | |
alle Abgeordnete der Partei dieser Linie folgen werden. | |
Die Vorsitzende der Schwedischen Volkspartei und Bildungsministerin | |
Anna-Maja Henriksson hatte die Bedingungen, unter denen ihre Partei bereit | |
wäre, die Koalition mit den Wahren Finnen fortzusetzen, immer mehr | |
heruntergeschraubt. Mittlerweile hält sie es für ausreichend, dass sich | |
alle Regierungsparteien auf ein Statement geeinigt haben, wonach alle | |
[3][MinisterInnen sich verpflichten, für Gleichbehandlung und | |
Nichtdiskriminierung arbeiten zu wollen]. Eine blosse | |
Selbstverständlichkeit? Nicht in Helsinki. Die Koalitionsparteien brauchten | |
sogar zwei Monate, um sich auf eine solche Erklärung – die erst vor wenigen | |
Tagen veröffentlicht wurde – einigen zu können. | |
## Wahre Finnen „definitiv“ ein Problem für das Image Finnlands | |
Doch selbst wenn eine Parlamentsmehrheit der Koalition das Vertrauen | |
aussprechen sollte, könnte diese auf internationaler Ebene ein Dauerproblem | |
werden. Wie soll sich etwa Robert Habeck, Wirtschaftsminister von Finnlands | |
wichtigstem Handelspartner Deutschland, gegenüber seinem Kollegen Rydman | |
verhalten, fragte die dänische Tageszeitung Politiken Finnlands | |
Außenministerin Elina Valtonen, Mitglied der konservativen Sammlungspartei. | |
Natürlich sei es „in keiner Weise möglich, solche Aussagen zu akzeptieren�… | |
erklärt Valtonen im Interview. Die Regierungsbeteiligung der Wahren Finnen | |
sei „definitiv“ ein Problem für das Image Finnlands, allerdings gebe es | |
ähnliche Bewegungen in allen europäischen Staaten. In einem anderen | |
Interview sagte Valtonen, dass die Wahren Finnen eben bereit gewesen seien, | |
„Verantwortung zu tragen und jene Reformen voranzutreiben, die unser Land | |
dringend benötigt“. | |
Diese erstaunliche Verharmlosung der Wahren Finnen passt zu Analysen, die | |
besagen, dass die Sammlungspartei selbst nach rechts gerückt ist. In ihrer | |
Politik setzt sie zunehmend eine migrationskritische Linie durch. Sie | |
konkurriere um die gleichen Wähler wie die Wahren Finnen, sagt etwa Vesa | |
Vares, Historiker an der Universität Turku. In der Vergangenheit hatte es | |
sich hingegen „ausgezahlt, die liberalen Werte in den Vordergrund zu | |
stellen“. | |
4 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Regierung-in-Finnland/!5944482 | |
[2] /Ein-neuer-Chef-bei-den-Wahren-Finnen/!5416271 | |
[3] https://valtioneuvosto.fi/en/-//10616/government-adopts-statement-to-parlia… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Finnland | |
GNS | |
Wahre Finnen | |
Petteri Orpo | |
Finnland | |
Politische Theorie | |
Europaparlament | |
zeitgenössische Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Misstrauensvotum über Finnlands Regierung: Trotz Rassismusskandal geht's weiter | |
Die Mitte-Rechtsregierung hat drei Misstrauensvoten überstanden. Die | |
Vier-Parteien-Koalition von Petteri Orpo kann erstmal weiter machen. | |
Krise des Konservatismus: Von Leuchtfeuern und Brandmauern | |
Rechtsextreme Parteien bestimmen zunehmend die Agenda europäischer | |
Demokratien. Welche Antwort finden konservative Parteien darauf? | |
Rechte Parteien in Europa: Wie halten sie es mit Putin? | |
Migrationsfeindlich und europakritisch sind sie alle. Doch die | |
Rechtsaußen-Parteien in Österreich, Finnland und Estland wollen für mehr | |
stehen. | |
Finnlands Kulturszene: Die Geister fürchten sich | |
Noch gibt sich Finnlands neue Rechtsregierung moderat, doch die Kulturszene | |
ist besorgt. Das zeigt eine Reise durch den finnischen Kunstsommer. |