# taz.de -- Rechte Esoterik auf dem Land: Reichsbürger sucht Dorf | |
> In der rheinland-pfälzischen Provinz entstehen immer mehr Treffpunkte | |
> rechter Selbstverwalter*innen. Nicht alle Gemeinden können damit umgehen. | |
Bild: Die MHS-Ranch in Andernach hat sich zu einem Treffpunkt für die Reichsb�… | |
Wer die Andernacher Innenstadt in Rheinland-Pfalz verlässt, ahnt nicht, | |
dass bald die Bundesrepublik Deutschland enden könnte. Kleine Höfe wechseln | |
sich mit grünen Wiesen ab, auf denen Pferde in der Morgensonne grasen. In | |
der Ferne ist der Rhein zu sehen. Doch dann fällt der Blick auf einen Hof, | |
der schon älter aussieht. Ein Minibus mit Rissen in den Fensterscheiben ist | |
dort am Wegesrand geparkt, und überall sind Schilder aufgestellt. Neben dem | |
Durchgang zu einem kleinen Innenhof am Zaun, gleich neben dem großen | |
Holztor mit der Aufschrift „MSH-Ranch“. „Hier gilt Preußisches Staats- u… | |
Landrecht“, steht darauf. | |
Die Schilder gibt es schon länger. Beachtet hat sie jedoch kaum jemand. Bis | |
im August Matthes Haug auftritt. Rund 70 Menschen wollten in Andernach dem | |
Mann zuhören, den der [1][mutmaßliche Rechtsterrorist Heinrich XIII. Prinz | |
Reuss] in seinem Schattenkabinett als Minister für Völkerrecht vorgesehen | |
haben soll. Der Mann, der mit seiner „Patriotischen Union“ laut | |
Bundesgerichtshof höchstwahrscheinlich einen gewaltsamen Umsturz plante. | |
Anders als viele seiner Gesinnungsgenoss*innen wird Haug bei der | |
[2][bundesweiten Antiterrorrazzia] im Dezember 2022 nicht verhaftet. Er | |
soll wohl nicht zum engsten Kern der Verschwörer gehört haben. Stattdessen | |
tourt er weiterhin durchs Land und stellt die Inhalte seines Buchs „Das | |
Deutsche Reich von 1871 bis heute“ vor. Ein Werk voller | |
Verschwörungstheorien und Geschichtsrevisionismus. „Indigene Deutsche“, | |
deren Ahnen sich 110 Jahre zurückverfolgen ließen, hätten das Recht, sich | |
selbst zu verwalten, soll er laut SWR-Berichten auch in Andernach gesagt | |
haben. Das Kaiserreich sei das einzige Deutschland, das bis heute | |
existiere. | |
## Die Zahl der Reichsbürger*innen in Rheinland-Pfalz wächst | |
Ende 2022 gehörten in Rheinland-Pfalz laut Verfassungsschutz rund 950 | |
Menschen dem Reichsbürger*innen-Spektrum an, 140 von ihnen galten als | |
gewaltorientiert. Und die Tendenz ist stark steigend. Allein in den | |
vergangenen vier Jahren hat sich die Zahl der gewaltorientierten | |
Reichsbürger*innen in Rheinland-Pfalz beinahe verdoppelt. | |
Die einzelnen Gruppierungen sind inhaltlich zersplittert. Was sie aber | |
eint, ist die Ablehnung des herrschenden Systems. Das rheinland-pfälzische | |
Innenministerium geht von einer „nicht zu unterschätzenden Gefahr“ durch | |
die Szene und ihre den Staat ablehnenden Anhänger*innen aus. Die | |
Kleinstadt Andernach ist zu einem wichtigen Treffpunkt der | |
Reichsbürger*innen geworden. Die Polizei hat die MSH-Ranch im Blick, | |
die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus spricht von einem potenziell | |
gefährlichen Betreiber-Ehepaar. | |
Eigentlich ist Andernach für seine Lage am Rhein und den höchsten | |
Kaltwassergeysir der Welt bekannt. Jedes Jahr kommen viele Tourist*innen | |
in die Stadt. Der Marienstätter Hof, wie die MSH-Ranch klassisch heißt, ist | |
seit Jahrzehnten in Familienbesitz und wird heute von einem Ehepaar | |
geführt. Geld haben die Betreiber*innen bis zuletzt auch außerhalb der | |
Szene verdient. Zwar hatte die Kneipe zuletzt nicht mehr regelmäßig | |
geöffnet. Aber wenn gerade keine Reichsbürger*innen zu Besuch waren, | |
traten lokale Bands auf, Vereine kehrten nach Wanderungen dort ein. | |
Urlauber*innen besuchten mit ihrem Wohnmobil den Hof und blieben zum | |
Frühstück. | |
Entsprechende Bewertungen sind nach wie vor im Internet zu lesen. Zuletzt | |
sollen zumindest noch drei Pferdebesitzer*innen ihre Tiere im Stall | |
der Ranch untergestellt haben. Es sei halt günstig hier und dass die | |
Coronaregeln nicht so streng waren, habe auch geholfen, erzählt eine*r von | |
ihnen der taz, bittet aber um Anonymität. „Die haben halt ihre Ansichten. | |
Ansonsten sind das ganz normale Leute.“ | |
Es gibt unterschiedliche Angaben dazu, ab wann genau dieser Hof zu einem | |
Treffpunkt der Reichsbürger*innen-Szene wurde. Die Polizei spricht von | |
mindestens fünf Jahren, Szenekenner*innen zufolge gab es dort schon | |
vor zehn Jahren einschlägige Veranstaltungen. Die Anwohner*innen der | |
benachbarten Höfe möchten mit der taz nicht über ihre Nachbar*innen | |
sprechen, erst recht nicht namentlich. | |
## Andernachs Bürgermeister setzt auf die Polizei | |
An einem viel zu warmen Herbsttag bittet Christian Greiner in den | |
Besprechungsraum des Andernacher Rathauses, einem funktionalen | |
Nachkriegsbau im Zentrum. Hinter ihm zeigt ein großes Foto die Stadt. | |
Greiner ist seit April Oberbürgermeister der 30.000-Einwohner-Gemeinde. Der | |
43-jährige Lokalpolitiker der Freien Wähler und vorherige Berufssoldat | |
hatte sich überraschend schon im ersten Wahlgang durchgesetzt. Nun sitzt er | |
in Hemd und Anzug an einem großen Tisch und sagt Sätze wie: „Es ist ein | |
großes Privileg, Oberbürgermeister einer Stadt zu sein, in der andere | |
Urlaub machen.“ Für das Gespräch hat er sich 15 Minuten Zeit genommen. | |
Nach der Veranstaltung mit Matthes Haug habe er Kontakt zur Polizei | |
aufgenommen, sagt Greiner. Er sei zuversichtlich, dass die Behörden ihren | |
Job machen. Politischen Handlungsbedarf sehe er nicht. Auch im Stadtrat sei | |
der Hof kein Thema gewesen. „Ich stelle mich entschlossen gegen jeden | |
Staatsfeind“, sagt Greiner. Doch dass vom Hof eine rechtsextremistische | |
Gefahr ausgehe, sei ihm neu. Einen entsprechenden Hinweis habe er nie | |
erhalten. Dann muss er weiter. Der nächste Termin. | |
„Das ist eine klar von Rechten betriebene Immobilie“, sagt Christoph Feick | |
über die MSH-Ranch in Andernach. Er arbeitet in der zuständigen | |
Regionalstelle der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Eine [3][mit | |
Landes- und Bundesmitteln finanzierte Einrichtung], die all diejenigen | |
unterstützt, die sich gegen die Extremisten wenden wollen. „Man muss die | |
Dinge bearbeiten, sonst setzen sie sich fest. Davon sind wir überzeugt“, | |
sagt Feick. Häufig lassen sich die politisch Verantwortlichen davon jedoch | |
nicht so einfach überzeugen oder es scheitert, wie in Andernach, schon die | |
Kontaktaufnahme. | |
Umso schöner ist es für Feick, wenn es ausgerechnet über ein | |
500-Einwohner-Dorf eine ganz andere Geschichte zu erzählen gibt. „Mehren | |
ist in dieser Hinsicht schon ein Erfolg“, sagt er. | |
Wer von Andernach nach Mehren fährt, muss erst über den Rhein und dann nach | |
einer halben Stunde die Bundesstraße verlassen. An den kleinen Nebenstraßen | |
liegen die Kühe nun direkt am Wegesrand, in den Orten wird die | |
Fachwerkdichte größer. In Mehren selbst hat sogar die Dorfkirche | |
Fachwerkverzierungen, um sie herum stehen Häuser, die teilweise aus dem 16. | |
Jahrhundert stammen. Der einzig größere Arbeitgeber ist das | |
Seniorenzentrum, in dem zugleich jeder fünfte Mehrener lebt. | |
## Das Thema spaltet die Dorfgemeinschaft | |
Thomas Schnabel empfängt seinen Gast im Feuerwehrgerätehaus der Gemeinde. | |
Der ehrenamtliche Bürgermeister ist selbst Pendler, arbeitet bei einem | |
Zulieferer für die Automobilindustrie gleich hinter der Grenze zu | |
Nordrhein-Westfalen. An diesem Tag hat er Spätschicht und morgens Zeit. Vor | |
rund einem Jahr musste der parteilose 55-Jährige plötzlich zum | |
Rechtsextremismusexperten werden. „So ist das halt“, sagt Schnabel dazu. | |
Er habe schließlich verstehen wollen, mit wem er es in seinem Ort zu tun | |
hat. | |
Schnabels Problem ist etwas, auf das Mehren eigentlich immer stolz war. In | |
dem Dorf gibt es noch einen Gasthof, der zumindest an vier Tagen in der | |
Woche geöffnet ist. Doch an dem erfreuen sich nicht nur die Mehrener. Die | |
AfD und die als Reaktion auf die Coronamaßnahmen entstandene Partei Die | |
Basis treffen sich dort bis heute regelmäßig. | |
Und irgendwann wurden auch Reichsbürger*innen und rechte | |
Esoteriker*innen auf den Veranstaltungsort aufmerksam. Die Folgen | |
spürt Schnabel bis heute. „Das Thema spaltet die Dorfgemeinschaft“, sagt | |
er. Die einen wollen nur ihre Ruhe haben, die anderen seitdem nicht ruhen, | |
bis sich die Situation gelöst hat. | |
Im August 2022 meldet sich der für Mehren zuständige Altenkirchener | |
Polizeichef bei Schnabel. Ob der etwas von einer Reichsbürgerversammlung im | |
Ort wisse? Der Neonazi Frank Krämer, Ex-Gitarrist der Rechtsrockband | |
Stahlgewitter, plane dort wohl etwas. Schnabel hört sich im Ort um und | |
stößt schnell auf die Wirtin des Gasthofs. Die zeigt zwar erst keine | |
Einsicht, wird dann aber doch hellhörig, als sie die Worte „Polizei“ und | |
„Verfassungsschutz“ hört. „Ich war guter Dinge, dass wir das damit aus d… | |
Welt geschaffen haben“, sagt er. | |
Doch es kommt anders. Im März 2023 wird er auf den Artikel eines | |
antifaschistischen Recherchekollektivs aufmerksam gemacht. Es haben weitere | |
Veranstaltungen stattgefunden. Rechte Esoteriker*innen verbreiteten | |
dabei im Gasthof antisemitische Verschwörungsmythen. Zudem soll es auch | |
hier einen [4][Auftritt von Matthes Haug] gegeben haben. Das Problem ist | |
nicht aus der Welt. | |
## 200 Menschen haben in Mehren gegen die AfD protestiert | |
Anders als in Andernach ist die Gasthofbetreiberin in Mehren nicht | |
gesichert dem Reichsbürger*innen-Spektrum zuzuordnen. Sie ist zwar im Ort | |
als überzeugte Impfgegnerin und Basis-Unterstützerin bekannt, doch darüber | |
hinaus bislang nicht aufgefallen. | |
„Ich gehe nach wie vor davon aus, dass sie das nicht bewusst gemacht hat“, | |
sagt Schnabel. „Sie ist weder rechtsradikal noch fremdenfeindlich.“ Kerstin | |
Spahr, die im Ort eine Bürgerinitiative gegen Rechts gegründet hat, sieht | |
das anders. „Ich würde mir keine Reichsbürger einladen, um mit denen Kaffee | |
zu trinken“, sagt sie. Die Wirtin selbst reagiert nicht auf Anfragen zu dem | |
Thema. | |
An einem Freitagabend im Oktober steht Kerstin Spahr im evangelischen | |
Gemeindehaus in Mehren. Dort tritt an diesem Abend Matthias Pöhlmann auf, | |
der Sektenexperte der evangelischen Kirche in Bayern. Er ist hier, weil | |
Spahr sein Buch „Rechte Esoterik“ gelesen und ihn nach Mehren eingeladen | |
hat. Die freiberufliche Psychotherapeutin hat lange in Köln gelebt und ist | |
dann mit ihrer Familie zurück in ihr Mehrener Elternhaus gezogen. Sie trägt | |
Brille, einen langen schwarzen Pullover und spricht im Gang mit zwei | |
anderen Frauen. „Wir haben einiges mobilisiert“, sagt sie. An diesem Abend | |
sind rund 60 Menschen gekommen. | |
Alles, was in den vergangenen Monaten in Mehren und der Region als Reaktion | |
auf die Treffen von Reichsbürger*innen und rechten | |
Esoteriker*innen geschehen ist, hat etwas mit Spahr zu tun. „Als ich | |
von den Treffen erfahren habe, bin ich sofort auf die Barrikaden gegangen“, | |
sagt sie. | |
Spahr gründet erst eine Whatsapp-Gruppe, dann eine Initiative. Sie | |
organisiert eine Demonstration mit über 200 Teilnehmer*innen, die gegen ein | |
AfD-Treffen in dem Gasthof protestieren. Und sie setzt sich beim | |
Bürgermeister erfolgreich dafür ein, dass in dem Gasthof keine | |
Veranstaltungen der Gemeinde mehr stattfinden. „Ich würde hier lieber | |
friedlich und in Ruhe leben, aber das ist leider nicht möglich“, sagt | |
Spahr. | |
## Wer sich engagiert, gerät ins Visier | |
Dass so ein Engagement gefährlich sein kann, zeigt eine [5][aktuelle | |
Veröffentlichung der Rechercheplattform Correctiv]. Demnach verfügen in | |
Rheinland-Pfalz 93 mutmaßliche Rechtsextremist*innen über eine | |
waffenrechtliche Erlaubnis, 26 davon leben im Bereich des für Mehren und | |
Andernach zuständigen Polizeipräsidiums Koblenz. | |
Zwar erklärt das Innenministerium hierzu, dass sich nach ihren | |
Erkenntnissen keine dieser Personen dem Reichsbürger*innen-Spektrum | |
zuordnen lässt. Jedoch verfügen von den 950 Szeneanhängern im Land | |
weiterhin 11 Personen über eine waffenrechtliche Erlaubnis, 87 weiteren sei | |
diese bereits entzogen worden. „Die Landesregierung verfolgt eine | |
Null-Toleranz-Linie“, heißt es dazu. Jedoch lasse sich nicht jede | |
Erkenntnis der Sicherheitsbehörden gerichtsfest belegen. | |
Auch Kerstin Spahr musste erleben, was es heißt, sich die Rechten zum Feind | |
zu machen. In einem Zeitungsbericht über die Mehrener Demonstration wird | |
ihr Name genannt. Kurz darauf erhält sie erste Päckchen mit | |
Kleidungsstücken, die sie nicht bestellt hat. Jacken, Pullis, Schuhe in | |
„AfD-Blau“. Sie wird bei Wohltätigkeitsvereinen und ein zweites Mal bei der | |
GEZ angemeldet. Jemand versucht in ihrem Namen Geld von einem Konto | |
abzubuchen. | |
Erst als sie sich von einem der Vereine die handschriftlich ausgefüllte | |
Anmeldekarte schicken lässt und das überall im Dorf verbreitet, ist Ruhe. | |
„Ich hatte eine Schriftprobe, vielleicht sogar DNA. Das ist denen dann zu | |
heiß geworden“, sagt sie. Sie weiß aber auch, dass sich nach wie vor nicht | |
alle in Mehren über ihr Engagement freuen. Heute ist ihr Haus nach allen | |
Seiten hin mit Überwachungskameras ausgestattet. | |
## Kritik kommt auch von einer CDU-Bundestagsabgeordneten | |
Es gibt mehrere Gründe, warum die rheinland-pfälzische Provinz für die | |
Szene so interessant ist. Die Mieten und Kaufpreise sind vergleichsweise | |
gering, Nordrhein-Westfalen und die Rhein-Main-Region dennoch nah. | |
Das Problembewusstsein ist hier, so zumindest die Hoffnung, nicht so stark | |
ausgeprägt wie in den Großstädten. Es gibt mehrere Stützpunkte der | |
Rechtsextremist*innen in der Region. In Hachenburg im Westerwald | |
trifft sich regelmäßig die [6][Neonazi-Partei Der dritte Weg], an der Ahr | |
versammeln sich rechte Esoteriker*innen, die die [7][dortige | |
Flutkatastrophe] für ein Erweckungserlebnis des deutschen Volks halten. | |
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus tut viel, um die betroffenen | |
Gemeinden zu informieren. Auch in Andernach sei eine entsprechende | |
Einschätzung weit verbreitet worden, heißt es aus der Beratungsstelle. | |
Darin ist von einer Mischszene aus rechten Esoteriker*innen, | |
Reichsbürger*innen, rechtsextremen Demokratiefeind*innen und | |
Verschwörungsideolog*innen die Rede, die den Marienstätter Hof | |
nutzten. | |
Dazu werden konkrete Möglichkeiten genannt, wie den Betreiber*innen mit | |
rechtsstaatlichen Mitteln der Alltag erschwert werden kann: | |
Steuerprüfungen, Meldeauflagen, Abwasserrecht. „Alle hatten die | |
Möglichkeit, sich zu melden“, sagt Feick. | |
Dass die Stadtverwaltung Kenntnis von diesem Schreiben hat, kann | |
Oberbürgermeister Christian Greiner im Gespräch weder bestätigen noch | |
verneinen. Gemeldet hat sich zumindest die Andernacher | |
CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil. Sie kritisiert die Haltung der | |
Stadt. „So richtig kümmert sich keiner darum“, sagt sie zum | |
Reichsbürger-Hof in Andernach. „Das ist ein typisches Verhalten von | |
Verwaltungen. Mir gefällt das nicht.“ | |
## Die Ranch hat finanzielle Probleme | |
Dass die Stadt so defensiv reagiert, könnte mit der Hoffnung zu tun haben, | |
dass sich das Problem von allein erledigt. Denn die Hofbetreiber*innen | |
sind zahlungsunfähig, ein entsprechendes Insolvenzverfahren läuft vor dem | |
Amtsgericht Mayen. Nach den Berichten über den Haug-Auftritt dürften noch | |
mehr Einnahmequellen außerhalb der Szene wegfallen, die wirtschaftliche | |
Situation dürfte sich weiter verschlechtern. Seit Anfang Oktober liegt die | |
Zustimmung der Gläubiger zur Veräußerung des Grundbesitzes vor. | |
Der Hof steht für 140.000 Euro zum Verkauf. Auch einen Interessenten habe | |
es laut Mechthild Heil bereits gegeben, der habe aber wieder zurückgezogen. | |
„Keiner will den Hof haben, weil jeder Angst hat“, sagt sie. | |
Oberbürgermeister Greiner verweist bei allen Fragen zu dem Thema auf den | |
Datenschutz. Aus dem Umfeld der Stadtverwaltung heißt es allerdings, dass | |
sich die Betreiber*innen vorbereitet hätten. Sie sind offiziell bereits | |
abgemeldet – nach Russland. In der Praxis leben sie jedoch weiterhin auf | |
dem Hof. Eine schriftliche Anfrage an die MSH-Ranch bleibt unbeantwortet. | |
Im Gemeindehaus in Mehren bezeichnet Matthias Pöhlmann in seinem Vortrag | |
die Esoterik als „trojanisches Pferd“ für rechtsextremes Denken. „Das ist | |
eine Szene, die man wirklich nicht unterschätzen sollte“, sagt er. Kerstin | |
Spahr sitzt in der zweiten Reihe und hört ihm aufmerksam zu. Eine ihrer | |
Mitstreiterinnen macht mit ihrem Tablet eifrig Fotos von der Präsentation. | |
Pöhlmanns Thesen von der [8][Esoterik als Einstiegsdroge für den | |
Rechtsextremismus] sind auch für den Fall Andernach interessant. Auf der | |
Internetseite der MSH-Ranch lässt sich heute noch ein 22 Jahre alter | |
Artikel aus der Rhein-Zeitung abrufen. Darin geht es um einen | |
Tierheilpraktiker, der die Pferde des Hofes mit „aktiviertem Wasser“ | |
geheilt haben soll. | |
## Verschwörungsideologie und Esoterik gehören zusammen | |
Der Wissenschaft standen die Betreiber*innen schon damals offenbar | |
skeptisch gegenüber. „Verschwörungsideologien und Esoterik bilden oft ein | |
Zwillingspaar“, sagt Pöhlmann. Beides seien geschlossene Systeme, die | |
alternative Wahrheiten verbreiten. Esoterik würde in der rechten Szene | |
bewusst genutzt, um demokratische Institutionen zu delegitimieren. | |
Das gilt auch für Matthes Haug, den [9][eifrigen Vortragsreisenden]. Ein | |
Mann, der öffentlich erklärt, dass die Welt auf die Endphase eines | |
Zehntausende Jahre langen Kampfes zwischen Gut und Böse zuläuft. „Haug ist | |
ein Reichsbürgerideologe, der die Bundesrepublik nicht für einen legitimen | |
Staat hält“, sagt Pöhlmann. | |
Die Anhänger von Heinrich XIII. Prinz Reuss, den Haug bis heute in seinen | |
Vorträgen lobt, hielte ihr Hass zusammen. „Wenn Feindbilder so mächtig | |
werden, kann Gewalt irgendwann als legitimes Mittel zur Durchsetzung | |
eigener Ziele betrachtet werden“, sagt Pöhlmann. Es sei eine Szene, die man | |
wegen ihrer Skurrilität lange unterschätzt habe. | |
Das Problem auszusitzen wird nicht helfen, davon ist Christian Feick von | |
der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus überzeugt. Gerade in | |
Andernach. „Wir sehen im Fall der MSH-Ranch nicht, dass das Problem kleiner | |
wird, sondern dass sich dort verschanzt wird, mit einem nach außen immer | |
aggressiver werdenden Auftreten“, sagt er. Auch Bedrohungen habe es bereits | |
gegeben. Noch deute nichts darauf hin, dass die Behörden aktiv werden oder | |
die Betreiber*innen freiwillig ausziehen. Bis dahin ist der Hof Teil | |
einer Parallelgesellschaft, in der manche vom Umsturz träumen. | |
In Mehren wird Kerstin Spahr weitermachen. Noch treffen sich AfD und Basis | |
regelmäßig im dortigen Gasthof. Gerade erst hat sie wieder eine | |
Demonstration dagegen organisiert. Und sollte sich das irgendwann einmal | |
ändern, gibt es immer noch die vielen AfD-Wähler*innen und einigen | |
Reichsbürger*innen, die in der Region leben. „Eigentlich möchte ich die | |
Rechten überall weghaben, aber ich fange erst mal klein an“, sagt sie. | |
Angst verspüre sie dabei keine. „Sollen sie doch kommen, ich warte nur | |
darauf.“ | |
16 Nov 2023 | |
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