# taz.de -- Queere Menschen in Litauen: „Wir sind wütend“ | |
> Litauen ist eines der queerfeindlichsten Länder Europas. Doch immer mehr | |
> Menschen gehen gerade auf die Straße, um für ihre Rechte zu | |
> demonstrieren. | |
Bild: In dieser Teilnehmendengröße nicht selbstverständlich: die litauische … | |
Zuerst sieht man die Gegner der Vielfalt. Auf dem Kathedralenplatz im | |
Zentrum von Vilnius halten sie Kreuze und Ikonen in den Händen, schwenken | |
die litauische Nationalflagge oder Plakate. „Wir beten für eure | |
Konversion“, steht drauf, „Schützt die Kinder“ oder „Stoppt die Zerst�… | |
Litauens“. | |
Doch nur ein paar Meter weiter, hinter dem Denkmal für den Großfürsten | |
Gediminas, bietet sich an diesem Samstag im Juni ein anderes Bild. Tausende | |
sind gekommen, um bei der diesjährigen Pride-Parade für die Sichtbarkeit | |
und die Rechte queerer Menschen zu demonstrieren. Unzählige | |
Regenbogenfahnen sind zu sehen, die Stimmung ist gut. Mehrere Wagen stehen | |
bereit, um durch die Innenstadt zu fahren, sogar der Bürgermeister kommt | |
kurz vorbei, um die Teilnehmenden zu begrüßen. | |
In Litauen ist das keine Selbstverständlichkeit. Der liberale Ruf des | |
Baltikums täuscht in diesem Fall, das Land gehört zu den queerfeindlichsten | |
in Europa. Anders als in [1][Estland] und [2][Lettland] haben homosexuelle | |
Paare hier kein Recht auf Heirat oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Ein | |
Gesetz, das die Thematisierung von Homosexualität gegenüber Minderjährigen | |
verbietet, kam zwar bisher nur selten zum Einsatz, aber im Gesetzbuch steht | |
es noch immer. | |
In Umfragen zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität und trans | |
Personen belegt Litauen regelmäßig EU-weit einen der letzten Plätze. Im | |
Jahr 2023 hielt fast die Hälfte der Bevölkerung Homosexualität für eine | |
„unsittliche Ideologie“, nur 22 Prozent sprachen sich für LGBTQ-Rechte aus. | |
Gerade mal ein Viertel der Bürger*innen gibt an, dass sie ihr Kind | |
unterstützen würden, wenn sie erfahren würden, dass es trans ist. | |
Und doch hat sich in den letzten Jahren etwas getan: Die erste Pride in | |
Vilnius im Jahr 2010 musste noch vor Gericht erkämpft werden, die | |
Stadtverwaltung wollte sie verbieten. Etwa 350 Personen versammelten sich | |
damals in einem abgesperrten Areal abseits des Zentrums, ihnen standen | |
mehrere Tausend Gegendemonstrant*innen gegenüber. | |
Vierzehn Jahre später sind es 17.000 queere Menschen und Allys, die vorbei | |
an der Stanislaus-Kathedrale und dem Parlamentsgebäude mitten durch die | |
Innenstadt ziehen. Die Gegenproteste von weniger als hundert Personen gehen | |
unter in diesem Meer an Regenbogenfahnen. Die Parade endet im Vingispark, | |
wo bis spät abends Dragqueens und litauische Popstars auftreten. Vor der | |
Bühne wird ausgelassen getanzt, weiter hinten sitzen Gruppen beisammen und | |
picknicken, Kinder und Hunde rennen über die Wiese. An diesem Tag könnte | |
man glatt vergessen, dass für queere Menschen in Litauen Diskriminierung | |
und Anfeindungen noch immer zum Alltag gehören. | |
## Ein einsamer Kämpfer im Parlament | |
Einer, der seit Jahren dafür kämpft, dass sich die queere Community nicht | |
nur einmal im Jahr sicher in der Öffentlichkeit fühlen kann, ist Tomas | |
Vytautas Raskevičius. Der einzig offen schwule Abgeordnete im litauischen | |
Parlament tanzt während der Pride-Parade mit ausladenden Engelsflügeln in | |
Regenbogenfarben auf dem Wagen seiner Partei. | |
Ein Kontrast zur Atmosphäre im Parlamentsgebäude, wo einem auf den Gängen | |
vor allem gesetztere Herren in dunklen Anzügen begegnen. Die Engelsflügel | |
trägt Raskevičius hier zwar nicht, aber ein wenig Regenbogendeko darf in | |
seinem Abgeordnetenbüro nicht fehlen. Dass in diesem Jahr so viele Menschen | |
an der Pride teilgenommen haben, findet der 35-Jährige „absolut großartig�… | |
Die große öffentliche Sichtbarkeit queerer Menschen und ihrer | |
Unterstützer*innen sei „eine sehr, sehr starke politische Botschaft“. | |
Bevor Raskevičius in die Politik ging, war er Aktivist und stand als Anwalt | |
Mitgliedern der LGBTQ-Community vor Gericht zur Seite. Das sei erfüllend | |
gewesen, sagt Raskevičius. „Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich zwar | |
Einzelnen helfen kann, aber dann steht am nächsten Tag eine andere Person | |
mit genau denselben Problemen in meinem Büro. Und dann dachte ich, okay, | |
das löst nicht wirklich die Wurzel des Problems.“ | |
Er nahm sich vor, LGBTQ-Rechte auf die politische Agenda zu setzen. Im Jahr | |
2020 wurde er für die liberale Freiheitspartei ins Parlament gewählt und | |
trat mit dem Versprechen an, dass bald ein Gesetz zur zivilen | |
Lebenspartnerschaft verabschiedet würde. Doch obwohl seine Partei zur | |
Regierungskoalition gehört, ist das bis heute nicht geschehen. „Wir hatten | |
zwar diese sehr progressive Regierung gebildet, aber dann sind all die | |
schlimmen Dinge passiert: Covid, die Instrumentalisierung von Migration, | |
der Krieg in der Ukraine. Es gab eine sehr große Mobilisierung der | |
konservativen Elemente in der Gesellschaft und alles lief schief“, blickt | |
Raskevičius zurück. | |
## Wahlkampf mit dem Schlagwort der „traditionellen Familie“ | |
Im Mai 2021 gingen mehr als 10.000 Leute in einem „Familienmarsch“ gegen | |
das geplante Gesetz auf die Straße. In einer Online-Petition wurde | |
gefordert, Raskevičius aufgrund seiner Homosexualität den Vorsitz im | |
Menschenrechtsausschuss des Parlaments zu entziehen. | |
Seitdem haben sich die Wogen zwar wieder etwas geglättet, aber es gibt | |
weiterhin nur wenige Politiker*innen, die sich offen für LGBTQ-Rechte | |
einsetzen. Was die Verabschiedung des Partnerschaftsgesetzes angeht, ist | |
Raskevičius trotzdem optimistisch. Schon zweimal hat das Parlament dem | |
Gesetzesentwurf zugestimmt, es fehlt nur noch die dritte Abstimmung. Doch | |
falls der Präsident ein Veto einlegen sollte, muss ein viertes Mal | |
abgestimmt werden – und im Herbst stehen schon die nächsten Wahlen an. Dass | |
das Parlament anschließend queerfreundlicher sein wird, ist | |
unwahrscheinlich. | |
In Litauen ist zwar kein so deutlicher Rechtsruck spürbar wie etwa in | |
Deutschland, doch LGBTQ-Themen haben in den letzten Jahren eine starke | |
Politisierung erfahren. Im Europawahlkampf warben mehrere Parteien mit dem | |
Schlagwort der „traditionellen Familie“ um Stimmen, Homosexualität wurde | |
als Bedrohung für Familie, Tradition und Nation dargestellt. Der für seine | |
extreme Queerfeindlichkeit berüchtigte Politiker Petras Gražulis stürmte | |
bei der ersten Pride die Absperrungen und musste von der Polizei | |
weggetragen werden. Nun wurde er als einer von elf litauischen Abgeordneten | |
ins EU-Parlament gewählt. | |
## Der Katholizismus in Litauen ist aggressiv | |
„Die Opposition muss etwas finden, worauf sie sich einigen kann, und das | |
ist Homophobie. Das stärkt sie leider, denn mit homophober Propaganda kann | |
man immer noch Stimmen gewinnen, vor allem im weniger gebildeten Teil der | |
Gesellschaft“, meint Monika Antanaitytė von der Lithuanian Gay League | |
(LGL), der einzigen NGO in Litauen, die sich ausschließlich für die Rechte | |
queerer Menschen einsetzt – und innerhalb der Community wegen ihrer | |
Monopolstellung umstritten ist. „Leider sind unsere Gegner viel weniger | |
gespalten als wir. Sie konsolidieren sich immer mehr und sammeln | |
Ressourcen“, so Antanaitytė. In queerfeindlichen Medien wie Respublika und | |
auf Social Media wird Stimmung gegen queere Menschen gemacht. | |
Warum gerade in Litauen Queerfeindlichkeit so weit verbreitet ist, dafür | |
gibt es verschiedene Gründe. Zum einen wirken homofeindliche Narrative aus | |
der Zeit der sowjetischen Okkupation noch heute nach. Zum anderen ist die | |
katholische Kirche sehr stark. Der Katholizismus nimmt im ohnehin eher | |
konservativen Litauen „eine sehr aggressive Form an“, erläutert | |
Antanaitytė. „Die Kirche genießt viele Privilegien.“ | |
Das hat auch damit zu tun, dass die Kirche ähnlich wie in Polen als | |
wichtiger Akteur der Befreiung von der sowjetischen Herrschaft gesehen | |
wird. Laut Tomas Raskevičius kommt noch etwas hinzu: „Ich denke, der | |
Hauptgrund ist, dass im Laufe der Geschichte, und ich meine nicht nur in | |
der sowjetischen Geschichte, sondern auch in der mittleren Neuzeit oder im | |
Mittelalter, das Überleben unserer Nation, wenn man so will, auf einer | |
geschlossenen Gemeinschaft beruhte.“ So habe sich Litauen zu Sowjetzeiten | |
stärker gegen die Ansiedlung von Russ*innen gewehrt als Estland und | |
Lettland. Das Thema LGBTQ werde nun „als Öffnung für Unterschiede und | |
Individualität wahrgenommen“ und damit als Gefahr für die geschlossene | |
Gemeinschaft. | |
Homosexualität und queere Identitäten werden in rechten Narrativen oft als | |
Bedrohung der Nation von außen dargestellt, als eine bewusste feindliche | |
Beeinflussung mit dem Ziel, das Kollektiv zu schwächen. In der russischen | |
Propaganda wird seit Jahren die Behauptung, LGBTQ sei eine westliche | |
Ideologie und Bedrohung der „traditionellen Werte“, breitgetreten – und v… | |
Rechten in anderen Ländern aufgegriffen, auch in Litauen. | |
Zugleich ist die überwältigende Mehrheit der Litauer*innen proeuropäisch | |
eingestellt. Russland wird als ehemalige Kolonialmacht und aktuelle | |
Bedrohung gesehen, die Litauer*innen haben Angst vor einem Einmarsch wie | |
in der Ukraine. Queerfeindlichkeit in Litauen hat entsprechend zwar oft | |
ähnliche Inhalte [3][wie die russische Propaganda] – ist aber gleichzeitig | |
antirussisch. Auf einem Plakat von Protestierenden gegen die Pride-Parade | |
in Vilnius steht folgende Parole: „Zerstört nicht Litauen, [4][wie Putin es | |
will].“ | |
## Manche Aktivist*innen fordern politischere Prides | |
Die Lithuanian Gay League, die die diesjährige Pride organisiert hat, will | |
einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens schaffen, um der | |
Queerfeindlichkeit im Land zu begegnen. Für die Parade wählte die | |
Organisation deshalb mit „Choose Love“ einen positiven Slogan, der | |
möglichst wenig Anstoß erregen und Unterstützer*innen nicht mit | |
Radikalität verschrecken sollte. „Die Botschaft mag positiv sein, aber ich | |
denke, sie passt eher zu einer Feier am Valentinstag oder einer Einladung | |
in die Kirche“, schrieb die Genderforscherin Rasa Navickaitė in einem | |
kritischen Text auf Facebook. | |
In ihren Augen ist das Motto zu offen gewählt, denn „schließlich denken die | |
Gruppen, die vor der Kathedrale mit ‚Sodom und Gomorrha‘-Plakaten | |
protestieren, wahrscheinlich auch, dass sie ‚Liebe wählen‘.“ Navickaitės | |
Post wird in den Tagen nach der Pride häufig geteilt. | |
Viele in der Community hätten sich ein politischeres Motto und konkrete | |
Forderungen gewünscht, wie in den letzten Jahren, als linke Gruppen | |
nichtkommerzielle Pride-Paraden in Vilnius organisierten. „Ich glaube, man | |
kann etwas ändern, indem man ein bisschen radikaler ist, die Regierung ein | |
bisschen mehr unter Druck setzt. Wenn wir ein paar spezifische Forderungen | |
stellen, dann werden natürlich viele Homophobe und Transphobe sagen: Oh, | |
was soll das denn? So entsteht ein Gespräch. Auch wenn es kein sehr | |
positives Gespräch ist, erfahren zumindest mehr Leute davon“, sagt der | |
Künstler und trans Aktivist Saša Kochan, der zu den Organisator*innen | |
der politischeren Prides gehörte. | |
Am Abend der diesjährigen Pride findet südlich des Zentrums in einem Keller | |
eine Party statt, die den Stimmen Raum gibt, die zwischen den professionell | |
gestalteten, mit Werbebotschaften großer Firmen bedruckten Wagen und den | |
Konzertauftritten bekannter Stars nicht zu Wort kamen. In zwei Räumen läuft | |
Techno, in einem langen Gang dazwischen sind Plakate mit politischen | |
Forderungen angebracht, auf einem Banner steht „Assimiliation is not | |
Liberation“. Beim Open Mic können sich alle, die wollen, zu Wort melden. | |
Einige erzählen ihre Coming-out-Geschichten oder tragen erotische Gedichte | |
vor. Andere fordern eine politische Pride oder erklären ihre Solidarität | |
mit Palästina. „Wir sind nicht nur fröhlich, wir sind wütend“, bringt ei… | |
Person es auf den Punkt. | |
Jedes Jahr findet die Party hier statt, die Einnahmen gehen an queere | |
Graswurzelinitiativen. Die Aktivistin Viktorija Kolbešnikova gehört zu den | |
Mitinitiator*innen. Los ging es 2016 zur Baltic Pride. Auf dem Frontbanner | |
stand damals der Slogan „We are People, not Propaganda“ – eine Reaktion a… | |
die queerfeindliche Behauptung, bei der Sichtbarkeit queerer Identitäten | |
handele es sich um Propaganda, die einen schädlichen Einfluss auf die | |
Gesellschaft habe. | |
Kolbešnikova und anderen gefiel das nicht: „Wir dachten: Was soll der | |
Scheiß? Warum sollen wir uns immer entschuldigen, immer erklären, dass wir | |
auch Menschen sind? Wir mochten diesen rechtfertigenden Ton nicht.“ Für den | |
Titel der nichtkommerziellen Partyreihe beschloss man also kurzerhand, sich | |
den Begriff „Propaganda“ anzueignen und ein eigenes, radikaleres | |
Verständnis von Pride zu feiern: „We are propaganda.“ | |
## Für trans Menschen ist es noch mal schwerer | |
Eine der Initiativen, die die Partyreihe mit ihren Einnahmen unterstützt, | |
ist „Trans Autonomija“, bei der sich Saša Kochan engagiert. Das Projekt | |
entstand 2021 aus einer Gruppe linker Aktivist*innen, die bereits einige | |
queere Veranstaltungen in Vilnius auf die Beine gestellt hatten. Trans | |
Autonomija setzt sich für die Rechte von trans Personen ein und dient | |
gleichzeitig als Plattform für die gegenseitige Unterstützung und die | |
Vernetzung der Community. | |
„Wir haben immer noch keine offiziellen Gesetze zu Trans-Rechten. Nur ein | |
paar Papiere vom Ministerium, die keine wirklichen Gesetze sind und | |
jederzeit wieder aufgehoben werden können“, sagt Saša. Um seine Dokumente | |
ändern zu lassen, muss man vor Gericht gehen, und für medizinische | |
Transitionen gibt es keine klaren Regelungen. Um eine Hormontherapie zu | |
beginnen, ist die Diagnose eines Psychiaters erforderlich – und man muss | |
oft viel selbst bezahlen. Dass die Community zusammenhält und sich mit | |
Infos versorgt, zum Beispiel darüber, welche Ärzt*innen vertrauenswürdig | |
sind, ist deshalb besonders wichtig. | |
Trans Personen haben in Litauen nicht nur mit fehlender rechtlicher | |
Anerkennung, sondern auch mit Vorurteilen, Unwissen und Hass zu kämpfen. | |
Kochan erzählt von seinen Erfahrungen in der Öffentlichkeit: „Ich bemerke | |
immer, wie die Leute mich anschauen, besonders außerhalb des Stadtzentrums. | |
Sie fragen sich: Wer ist denn das? Normalerweise trage ich Kopfhörer, aber | |
wenn nicht, dann höre ich sie über mich reden.“ | |
## Keine Frage, die nur die liberale Elite in Vilnius betrifft | |
In der Hauptstadt könne man sich als Person, die nicht genderkonform | |
aussieht, noch relativ sicher fühlen, außerhalb wird es schwieriger. In den | |
ländlichen Regionen trifft sich die trans Community vor allem online. Einer | |
der wenigen Safe Spaces außerhalb von Vilnius ist das Emma Social Center in | |
Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, die um einiges konservativer ist | |
als die Hauptstadt. | |
Das selbst organisierte Zentrum in Kaunas, das nach der hier geborenen | |
Anarchistin Emma Goldman benannt ist, eröffnete im Jahr 2016 im ersten | |
Stock eines blauen Holzhauses nicht weit entfernt von der zentralen | |
Fußgängerzone. Es gibt hier eine Bibliothek, eine Küche und ausreichend | |
Platz für Veranstaltungen wie Diskussionsrunden, Filmvorführungen oder | |
Partys. | |
In Kaunas gibt es keine queeren Bars oder Clubs, hier ist einer der wenigen | |
Orte, wo sich die Community treffen kann, erzählt Viktorija Kolbešnikova, | |
die auch im Emma Social Center aktiv ist. Doch das Zentrum ist ein | |
bedrohter Safe Space. Kolbešnikova deutet auf die Regenbogenflagge in einem | |
der Fenster: „Als wir sie aufgehängt haben, flog ein Stein durch das | |
Fenster.“ Es war nicht der einzige Angriff. Es gab mehrere Attacken mit | |
Schmierereien und Ähnlichem, aber auch eine selbstgebastelte Bombe, die in | |
den Hof geworfen wurde. Verletzt wurde zum Glück niemand, aber die | |
Botschaft ist klar. | |
Die Angreifer sind Neonazis, Kolbešnikova verfolgt ihre Aktivitäten online: | |
„Es ist offensichtlich, dass das Hauptproblem, das sie mit diesem Ort | |
haben, queere Themen sind. Es kommen ganz verschiedene Gruppen hierher, | |
aber die LGBT-Frage ist die heißeste für sie, nicht die Bücher von Karl | |
Marx in der Bibliothek.“ | |
Obwohl in Kaunas die Lage für queere Personen sehr viel angespannter ist | |
als in Vilnius, hat Kolbešnikova zusammen mit Gleichgesinnten 2021 eine | |
Pride-Parade in Kaunas organisiert – die erste und bisher einzige in der | |
Stadt. Ähnlich wie früher in Vilnius versuchte die Stadtverwaltung, die | |
Veranstaltung zu verbieten. | |
Der Gegenprotest war stark, die Polizei musste mit Gewalt gegen | |
queerfeindliche Protestierende vorgehen, die die Paradenroute blockierten. | |
Trotz der Angriffe habe die Pride in Kaunas ein wichtiges Zeichen gesetzt, | |
meint Kolbešnikova. „Unser Slogan war ‚Wir sind überall‘, wir hatten die | |
Botschaft, dass LGBTQ-Personen überall leben. Es ist keine Frage, die nur | |
die liberale Elite in Vilnius betrifft.“ | |
## Politische Maßnahmen für finanzielle Sicherheit und Bildung sind nötig | |
Doch in Dörfern und kleinen Städten gibt es in der Regel keine | |
Community-Strukturen, keine Safe Spaces und die meisten LGBTQ-Personen | |
haben Angst, sich zu outen, weil sie mit Ablehnung in der Familie, im | |
Freundeskreis und am Arbeitsplatz rechnen. Was die Zukunft angeht, ist | |
Viktorija Kolbešnikova deshalb nicht sehr zuversichtlich. Das | |
Partnerschaftsgesetz werde sicher in den nächsten ein, zwei Jahren | |
verabschiedet. „Aber ich weiß nicht, ob das eine große Veränderung | |
bedeutet. Denn wenn Leute in Vilnius öffentlich heiraten können, heißt das | |
nicht, dass Leute in Rokiškis sich das auch trauen.“ | |
Der Abgeordnete Tomas Vytautas Raskevičius ist da optimistischer. „Solange | |
uns Russland nicht angreift, wird alles gut“, meint er. Veränderungen | |
brauchten Zeit, aber sein Job sei es, dafür zu sorgen, dass sie so schnell | |
wie möglich geschehen. | |
„Die Menschen müssen sich in ihrem täglichen Leben gut fühlen, damit sich | |
ihre Wut nicht auf andere richtet“, meint Kolbešnikova. Dafür seien | |
politische Maßnahmen nötig, die für finanzielle Sicherheit und Bildung | |
sorgten. | |
Rasa Navickaitė schrieb in ihrem kritischen Post zur Pride-Parade in | |
Vilnius: „Wir haben noch einen langen, langen Weg vor uns, mit Sicherheit | |
länger als von der Kathedrale bis zum Vingispark.“ | |
Dieser Text ist entstanden im Rahmen von „[5][Perspectives]“, einem | |
Programm für unabhängigen, transeuropäischen Journalismus, kofinanziert von | |
der EU, koordiniert vom Goethe-Institut. | |
3 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ehe-fuer-alle-in-Estland/!5939074 | |
[2] /Neuer-Praesident-in-Lettland/!5938046 | |
[3] /Homophobie-in-Russland/!5772531 | |
[4] /Nausda-bleibt-Praesident/!6010238 | |
[5] https://www.goethe.de/prj/per/en/index.html | |
## AUTOREN | |
Norma Schneider | |
## TAGS | |
Transfeindlichkeit | |
Homophobie | |
Litauen | |
Schwerpunkt LGBTQIA | |
wochentaz | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
GNS | |
Litauen | |
Litauen | |
Slowakei | |
Literatur | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Homosexualität | |
Thailand | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regierungsbildung in Litauen: Sozialdemokraten schließen Koalition mit Populis… | |
Der umstrittene Chef der populistischen Partei „Morgenröte der Memel“ ist | |
wegen mutmaßilch antisemitischer Äußerungen angeklagt. | |
Machtwechsel in Litauen: Sozialdemokraten gewinnen Parlamentswahl | |
In Litauen wollen die Sozialdemokraten und ihre Parteichefin Vilija | |
Blinkeviciute ein Mitte-Links-Bündnis eingehen und die Konservativen | |
ablösen. | |
Proteste in der Slowakei: Kulturkampf auf der Straße | |
Die liberale Kunstszene der Slowakei protestiert gegen Kulturministerin | |
Šimkovičová. Sie sorgt mit ihrer queerfeindlichen Personalpolitik für | |
Unmut. | |
Queerness in Südostasien: Geknebelte Diskurse | |
Dichterin Marylyn Tan und Wissenschaftlerin Khoo Ying Hooi sprachen auf dem | |
Internationalen Literaturfestival Berlin über Zensur von LGBTQIA+-Themen. | |
Queere und der Nahost-Konflikt: Solidarität, wo auch immer | |
Über Queere, die sich mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen | |
solidarisieren, ergießt sich Häme. Doch jede Person sollte ihre Meinung | |
äußern dürfen. | |
Legalisierung von Homosexualität: Gleichgestellt und doch nicht gleich | |
Vor 30 Jahren wurde der „Schwulenparagraf“ 175 abgeschafft. Klaus | |
Schirdewahn war noch von ihm betroffen. Heute setzt er sich für ältere | |
Schwule ein. | |
Thailand erlaubt Homoehe: Regenbogen mit Grauschleier | |
Der thailändische Senat beschließt Ehegleichheit für alle, aber politisch | |
bleibt das Land instabil: Der größten Oppositionspartei droht Auflösung. |