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# taz.de -- Queer Cinema in Berlin: Im Licht der 80er
> Der Filmemacher und Künstler Derek Jarman prägte das queere Kino. Ende
> Januar wäre er 80 geworden. Drei Berliner Kinos zeigen nun drei seiner
> Filme.
Bild: Die Zeitebenen verschränken sich: Szene aus „Edward II.“ (1991)
Vom Ende, den letzten Tagen, dem Tod in Porto Ercole in der Toskana
ausgehend entfaltet Derek Jarman in „Caravaggio“ von 1986 das Leben des
Malers Michelangelo Merisi da Caravaggio, der die europäische Malerei des
Barock geprägt hat wie kaum ein zweiter. Caravaggio wälzt sich im Bett,
während sein Gehilfe Jerusaleme am Tisch sitzt und wartet. Der Lebensbogen
des Malers entfaltet sich in Fieberträumen.
Von seinen Anfängen in Armut über die folgenreiche Begegnung mit dem
Kardinal del Monte, der zu seinem Mäzen wird, bis zum Aufstieg zum
gefeierten Künstler des katholischen Rom. Jarman inszeniert Caravaggios
Arbeit an den Bildern, die Modelle für seine Figuren in theatralen Räumen.
Vor allem die Ausstattung verwebt die Zeitebenen des Films: Jarman
verbindet Referenzen an Caravaggios Lebenszeit im späten 16. Jahrhundert
mit Kleidung und Ausstattungen der 1980er Jahre.
Die Kunstszene des 16. Jahrhunderts ähnelt Vernissagen im London der 1980er
Jahre, einige der Szenen aus dem Leben von Caravaggios Modellen wirken dem
Leben in Hausprojekten entnommen. Auch wegen der Art wie sie visuelle
Welten verschmelzen und aufeinanderprallen lassen gehören Jarmans Filme zu
den schönsten des europäischen Films der 1980er Jahre.
Am 31. Januar wäre Jarman 80 Jahre alt geworden, gut zwei Wochen später
jährt sich sein Todestag zum 28. Mal. Jarman begann Anfang der 1970er Jahre
als Super-8-Experimentalfilmer und als Produktionsdesigner für Ken Russells
„Die Teufel“. Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte er sich zu einem der
wichtigsten Regisseure für das aufkommende Musikvideo, unter anderem für
die Sex Pistols, Language, die Smiths, die Pet Shop Boys. Etwa zeitgleich
begann Jarman Spielfilme zu drehen. Sein Debütfilm „Sebastiane“ zeigt
Szenen aus dem Leben des Heiligen Sebastian und das schwule Sexleben der
Leibwache Diokletians.
## Lebensthema Farbe
„Caravaggio“ ist Jarmans wohl zugänglichster Film. Der Film lief 1986 auf
der Berlinale, wo er einen Silbernen Bären gewann. Der Film ist das
Leinwanddebüt von Tilda Swinton und Jarmans erste Zusammenarbeit mit dem
Schauspieler Nigel Terry. Im Dezember 1986 erfuhr Jarman, dass er
HIV-positiv ist. 1993 verarbeitet er sein Lebensthema der Faszination für
Farbe mit seiner AIDS-Erkrankung. Vor einer Leinwand, die ganz von Yves
Kleins International Klein Blue erfüllt ist, entfaltet sich auf der
Tonebene von „Blue“ die Musikspur von Simon Fisher Turner und die
Erzählstränge. Wenige Monate nach der Premiere starb Jarman an den Folgen
seiner Erkrankung.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1307 besteigt sein Sohn Edward II. den
Thron und ruft seinen Freund und Liebhaber Galveston aus der Verbannung
zurück. Die Beziehung des Königs zu Galveston bringt die Machtelite des
Königreichs, die Kirche, die Adligen gegen die beiden auf. Mit gemeinsamen
Kräften der Machtelite wird Edward II. gezwungen Galveston erneut zu
verbannen. Jarmans Adaption von Christopher Marlowes Theaterstück „Edward
II.“ von 1991 zeigt das Ringen zwischen Edward II. und Galveston einerseits
und den konservativen Eliten um Königin Isabella und den Adligen Mortimer
als Kampf gegen den Konservativismus der Thatcher-Jahre und die homophobe
Repression, deren Gewalt deutlich gezeigt wird.
Wie gern zitiert treten Edwards Unterstützer als Demonstranten für die
Rechte von Schwulen auf. Wiederholt rückt Jarman Versatzstücke von
Industriekultur ins Bild – eine Eisenbahnlampe, Industrieöfen – die die
Arbeitskämpfe der Zeit anklingen lassen. Die Lichtgestaltung des Films ist
sichtbar geprägt von der Arbeit an Musikvideos. Licht von oben erzeugt
Glanzpunkte auf den Haaren der Protagonisten und das oft eng umgrenzte
Licht unterstreicht die Intimität der beiden.
Mehr noch als in „Caravaggio“ verschränkt Jarman in „Edward II.“ visue…
und politische Welten über Zeitebenen hinweg. Auch wenn es aktuell nur drei
Filme sind, das Wiedersehen mit Jarmans Filmen macht deutlich, welchen
Verlust Jarmans Tod 1994 hinterlassen hat.
Es bräuchte dringend eine komplette Retrospektive der Filme Jarmans,
idealerweise unterlegt mit einigen der Filme, die das British Film
Institute und der feministische Experimentalfilmverleih Lux vor einigen
Jahren in dem Projekt [1][„This is Now – Film and Video after Punk“]
wiederentdeckt haben, das mit den Filmen von Isaac Julien auch das queere
Black British Cinema der 1980er Jahre in den Blick nahm.
28 Jan 2022
## LINKS
[1] https://lux.org.uk/programme/now-film-video-punk
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
taz Plan
Kino Berlin
Derek Jarman
Queer cinema
Film
Spielfilmdebüt
Kino
Lesestück Interview
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