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# taz.de -- Proteste in der Republik Moldau: Neue Unsicherheiten, alte Konflikte
> In Moldau schürt Russland die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen
> Lage. Und spielt mit den Kriegsängsten der Menschen.
Bild: Protest der russlandfreundlichen Shor-Partei Moldaus in Chisinau
Berlin taz | Am 2. März verabschiedete das Parlament der Republik Moldau
eine Erklärung, in der es die russischen Aggressionen gegen die Ukraine
verurteilte. 55 Abgeordnete der Partei für Aktion und Solidarität (PAS) von
Präsidentin Maia Sandu stimmten dafür. Die Parlamentarier des
kommunistisch-sozialistischen Blocks verließen hingegen aus Protest die
Sitzung, die der pro-russischen Shor-Partei waren erst gar nicht zur
Abstimmung erschienen.
Vorausgegangen war dem eine Demonstration von Anhängern der Shor-Partei am
28. Februar im Zentrum der moldauischen Hauptstadt Chișinău. Dutzende vor
allem ältere Frauen hatten „Nieder mit Sandu“ und „Schluss mit der Dikat…
geschrien, hatten dabei Fotos von Präsidentin Maia Sandu zerrissen und
anschließend auf ihnen herumgetrampelt. Unter dem Namen „Bewegung für das
Volk“ protestierten sie gegen die pro-europäische Regierung Moldaus.
Die Demonstrant*innen konnten zwar das Rathaus Chișinăus erreichen,
doch dann war Schluss. Polizei blockierte den Eingang des Gebäudes. Die
moldauischen Streitkräfte verhinderten außerdem eine landesweite
Mobilisierung, mehrere Busse mit Demonstrant*innen aus anderen Städten
wurden „wegen Nichterfüllung der technischen Anforderungen“ noch auf dem
Weg in die Hauptstadt gestoppt.
Ilan Shor selbst, Vorsitzender der nach ihm benannten Shor-Partei,
verfolgte die Proteste virtuell. Der Politiker, der neben dem moldauischen
auch einen israelischen Pass besitzt, lebt schon seit 2019 im Exil. Als
Vertreter russischer Interessen steht er auf einer Sanktionsliste des
US-Außenministeriums. Der Kreml-treue Oligarch wurde 2015 wegen Betrugs und
Geldwäsche zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er an dem
bisher größten Korruptionsskandal in Moldau beteiligt gewesen war: Von den
Konten mehrerer Banken war rund 1 Milliarde Dollar verschwunden.
Der umstrittene Politiker tritt jedoch immer wieder online auf und
[1][macht die Regierung Moldaus für die dortige Wirtschaftskrise
verantwortlich:] Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat das Land in
eine Energiekrise gestürzt, die Inflationsrate liegt derzeit bei etwa 40
Prozent.
[2][Mitte Februar traten Ministerpräsidentin Natalia Gavrilița und ihr
Kabinett zurück]. Der neue Premierminister Dorin Recean setzt sich für eine
EU-Mitgliedschaft des Landes und den Abzug russischer Truppen aus
Transnistrien ein. Das Gebiet gehört völkerrechtlich zu Moldau, hat sich
aber für unabhängig erklärt und wird russisch kontrolliert. Recean war von
2012 bis 2015 Innenminister und zuletzt Maia Sandus Berater für nationale
Sicherheit und Verteidigung. Für Staatspräsidentin Sandu und das künftige
Kabinett bedeutet der Rücktritt der bisherigen Regierung daher keinen
Politikwechsel.
## Provokationen aus Moskau
Moskau gießt gerne Öl ins Feuer. „Die Ukraine könnte eine Provokation mit
radioaktivem Material in der Nähe von Transnistrien planen, wo Kyjiw die
Spannungen bereits eskalieren lässt“, erklärte Maria Sacharowa, Sprecherin
des russischen Außenministeriums, am 1. März in einer Stellungnahme in
Moskau. Dass zum Zwecke von Provokationen angeblich Container mit
radioaktiven Stoffen aus Europa in die Ukraine geliefert worden seien, um
anschließend Russland dafür zu beschuldigen, hatte das russische
Außenministerium bereits vorher berichtet.
Am 23. Februar hatte das russische Verteidigungsministerium gleich zweimal
an einem Tag gemeldet, dass die ukrainische Armee angeblich eine bewaffnete
Provokation vorbereite und einen Einmarsch nach Transnistrien plane. Das
russische Außenministerium wies darauf hin, dass jede militärische Aktion
in Transnistrien als Angriff auf Russland gewertet würde. Die russischen
Streitkräfte, so fügte das Ministerium hinzu, würden „angemessen auf eine
Provokation reagieren“, sollte es dazu kommen.
Chișinău seinerseits hatte vom ukrainischen Geheimdienst Informationen
darüber erhalten, dass der Kreml plane, die politische Lage in Moldau zu
destabilisieren. Nach Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr
Selenski habe der Kreml jetzt damit begonnen, die Invasion Transnistriens
voranzutreiben.
## Neue Unsicherheiten, alte Konflikte
Die ungarische Fluggesellschaft Wizz Air, eine der größten europäischen
Billig-Airlines, kündigte am 27. Februar an, dass sie ihre Flüge nach
Moldau ab dem 14. März einstellen werde. Der Pressedienst des Unternehmens
erklärte, die Entscheidung sei „schwierig, aber verantwortungsvoll“,
angesichts der „jüngsten Ereignisse“ in Moldau und des „erhöhten Risiko…
im Luftraum des Landes. Das Unternehmen gab nicht an, auf welche Drohungen
es sich bezog.
„Wizz Air ist eine ungarische Fluggesellschaft, und mit Hilfe von Viktor
Orbán, seinem nützlichen Idioten in Europa, sorgt Putin dafür, dass Moldau
in Unruhe gerät, dass Ausländer und ausländisches Kapital das Land
verlassen“, sagte Anatol Șalaru, der ehemalige moldauische
Verteidigungsminister, am 28. Februar in der Sendung „Current Time“, die
von Radio Free Europe/Radio Liberty in Kooperation mit Voice of America
produziert wird.
Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine drohen alte
Auseinandersetzungen in Moldau wieder aufzuflammen. Nach dem Zusammenbruch
der Sowjetunion 1991 und einem einem kurzen Krieg zwischen März und August
1992 in dem nun unabhängigen Staat Moldau entstand im Osten des Landes, an
der Grenze zur Ukraine, das Gebiet Transnistrien. Die selbsternannte
Republik erklärte sich von Moldau unabhängig, ist bis heute international
aber nicht anerkannt und wird vom russischen Militär kontrolliert. In
diesem Gebiet leben knapp eine halbe Million Menschen, vor allem
russischsprachige. Insgesamt leben etwas 2,5 Millionen Menschen in der
Republik Moldau.
## Russische Soldaten in Transnistrien
Dem Bericht „The Military Balance“ des britischen Internationalen Instituts
für Strategische Studien für das Jahr 2022 zufolge sind derzeit 1.500
russische Soldaten in Transnistrien stationiert. Die Armee der nicht
anerkannten Republik hat selber bis zu 8.000 Militärangehörige.
Seit dem 1. März werden Männer bis zu 55 Jahren zu einer dreimonatigen
Militärmobilisierung unter Führung russischer Truppen von den
transnistrischen Behörden eingezogen.
„Aber ich möchte alle beruhigen“, sagte Ex-Verteidigungsminister Șalaru.
„[3][Es wird keine Landung russischer Truppen aus der Luft in Moldau geben]
und keinen Angriff von transnistrischem Gebiet aus. Die Männer dort
gehörten zur lokalen Bevölkerung. Es sind Offiziere, die morgens zur Arbeit
kommen und abends nach Hause gehen, um ihre Kühe zu melken und auf dem Feld
zu arbeiten. [4][Sie wollen nicht gegen die Ukraine kämpfe]n, weil sie die
Macht und die Fähigkeiten der ukrainischen Armee vor Augen haben“, so
Șalaru.
3 Mar 2023
## LINKS
[1] /Russische-Propaganda-in-Moldau/!5889713
[2] /Regierungskrise-in-der-Republik-Moldau/!5915033
[3] /Warnung-vor-Umsturz-in-Moldau/!5916047
[4] /Warnungen-vor-russischem-Angriff/!5904062
## AUTOREN
Tigran Petrosyan
## TAGS
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