# taz.de -- Privatisierung um jeden Preis: Der Autobahn-Klau | |
> Das Bundesverkehrsministerium will immer mehr Autobahnabschnitte | |
> privatisieren. Das kostet sogar mehr? Egal. Dann ignoriert man die | |
> Studien eben. | |
Bild: Aktivisten wehren sich gegen die Privatisierung von Autobahnabschnitten. | |
Die teilweise Privatisierung von Autobahnen wird vorangetrieben, obwohl sie | |
dem Staat manchmal gar keine ökonomischen Vorteile bringt, sondern vor | |
allem private Konzerne profitieren lässt. Das zeigen umfangreiche | |
Recherchen der taz in dem intransparenten Beziehungsgeflecht zwischen | |
Politikern, Beratern und internationalen Unternehmen. | |
Seit rund zwei Jahren prüft das Bundesverkehrsministerium, ob Teile der | |
Bundesautobahn A7 in Niedersachsen privatisiert werden können. Dabei sollen | |
einzelne Abschnitte von einem Konsortium übernommen werden. Private | |
Unternehmen finanzieren und bauen in Vorleistung, der Staat zahlt über | |
Jahrzehnte gestückelt seine Schulden ab, indem er den Unternehmen auf der | |
Strecke die Lkw-Maut überlässt. Das Verfahren wird als Öffentlich-Private | |
Partnerschaft bezeichnet, kurz: ÖPP. | |
Bei der A7 geht es um rund 600 Millionen Euro. Die Strecke zwischen Seesen | |
und Nörten-Hardenberg soll auf rund 42 Kilometern zu sechs Spuren ausgebaut | |
werden. Die Geschäftsbeziehung mit dem Staat beträgt 30 Jahre. Diese Art | |
der Geschäfte ist maßgeschneidert für die speziellen Bedürfnisse von | |
Wirtschaft und Politik. Jahrzehntelang gesicherte Einnahmen erfreuen die | |
beteiligten Konzerne. | |
Politiker können mit großen Infrastrukturprojekten bei ihren Wählern | |
punkten, weil sie mit derartigen Finanzierungsformen die gesetzlich | |
fixierte Schuldengrenze austricksen können. Die meist steigenden Kosten, | |
bei Vertragslaufzeiten von 30 Jahren, werden künftigen Generationen | |
aufgebürdet. | |
## Neubau ständig verschoben | |
Weil das für die Partner aus Politik und Wirtschaft so interessant ist, | |
setzen sich die Beteiligten mitunter über objektive Gutachten hinweg. Schon | |
Anfang 2012 äußert der Bundesrechnungshof seine Zweifel daran, ob sich die | |
Privatisierung der A7 lohnen würde. In einem internen Bericht, der der taz | |
vorliegt kritisieren die Gutachter das Bundesverkehrsministerium. Der | |
Zustand der A7 sei in Teilbereichen katastrophal. Man bezweifle „schon | |
jetzt die Wirtschaftlichkeit eines ÖPP-Projektes für die Bundesautobahn | |
A7.“ Durch die lange Prüfung, ob eine Öffentlich-Private Partnerschaft | |
Anwendung finden könne, müsse der erforderliche Neubau ständig verschoben | |
werden. | |
Die Rechnungsprüfer mahnen „die dringend notwendige Sanierung der Strecke“ | |
an. Denn das Prüfverfahren macht es nötig, dass die marode Strecke | |
weiterhin nur notdürftig saniert wird, um den Verkehr aufrecht zu erhalten. | |
Es könnten laut Rechnungshof daher „bis zu 45 Millionen Euro an | |
Erhaltungskosten eingespart werden“, wenn mit dem konventionellen Ausbau, | |
also ohne ÖPP, begonnen würde. | |
Auch die Berechnungen der Beamten der Niedersächsischen Landesbehörde für | |
Straßenbau und Verkehr kommen zu dem Ergebnis, dass ein konventioneller | |
Ausbau der A7 „rund 1,5 Jahre eher gegenüber einer PPP-Umsetzung“ möglich | |
sei, wie es in einem internen Schreiben heißt, das der taz vorliegt. PPP | |
ist die englische Bezeichnung für Öffentlich-Private Partnerschaften, | |
Public Private Partnership. Der Mitarbeiter der Behörde veranschlagt einen | |
Vorteil des konventionellen Baus von 15 Millionen Euro. | |
## Disziplinarverfahren gegen kritische Mitarbeiter | |
Doch das Land Niedersachsen und der Bund setzen auf eine „vorläufige | |
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“. Im August wird diese auch Mitarbeitern | |
der Straßenbaubehörde präsentiert. Plötzlich soll der private Bau schneller | |
und um 29 Millionen Euro günstiger sein. Die Mitarbeiter der Behörde wenden | |
sich darauf hin in einer „Gegendarstellung“ an ihre Vorgesetzte und | |
bezeichnen die Präsentation der Wirtschaftlichkeitsberechnung des | |
Bundesverkehrsministeriums als „unseriös“. Auch Experten äußerten gegen�… | |
der taz erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Zahlenwerke. Der | |
Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), sagt gar: | |
„Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind gefälscht.“ | |
In Niedersachsen wollte dies scheinbar niemand hören. Gegen den | |
Mitarbeiter, der sich beschwerte, wurde ein Disziplinarverfahren | |
eingeleitet. Als sich die Präsidentin der Behörde vor ihre Beamten stellt, | |
wird sie vom zuständigen Verkehrsminister Jörg Bode (FDP) des Amtes | |
enthoben. | |
Die Recherchen der taz legen nahe, dass die Privatisierung der A7 politisch | |
durchgedrückt werden soll. Womöglich liegen auch Interessenkonflikte vor. | |
So lässt sich das Bundeswirtschaftsministerium bei diesen | |
Wirtschaftlichkeitsberechnungen von einen privaten Konsortium beraten, zu | |
dem auch PricewaterhouseCoopers gehören – ein internationaler | |
Beraterkonzern, der viel Geld mit genau diesen Privatisierungen verdient. | |
Über die Höhe der Beratungskosten wollte sich das Bundesverkehrsministerium | |
nicht gegenüber der taz äußern. Intern schreiben die Berater: Es „besteht | |
Einvernehmen darüber, dass die noch vorläufigen Arbeitsergebnisse derzeit | |
nicht nach außen kommuniziert werden“. | |
## Steinbrück macht mit | |
Zum Durchbruch verhilft dem Modell in Deutschland das | |
„ÖPP-Beschleunigungsgesetz". Es schreibt fest, dass die öffentliche Hand | |
bei Infrastrukturprojekten stets eine ÖPP-Variante prüfen muss. Maßgeblich | |
beteiligt daran waren die Sozialdemokraten. In einer Arbeitsgruppe der | |
SPD-Fraktion zur Ausarbeitung des Gesetzes saßen 2002 mehr Berater, | |
Lobbyisten der Finanzindustrie und Vertreter der Baukonzerne als | |
Abgeordnete. Auch Vertreter von PricewaterhouseCoopers. | |
Der Sozialdemokrat Peer Steinbrück ist ein Fan dieser Privatisierung. Er | |
half mit, sie in Nordrhein-Westfalen zu implementieren. 2010 ließ sich der | |
SPD-Kanzlerkandidat gar für ein Interview zu ÖPP mit 7.000 honorieren. | |
Auftraggeber war Bilfinger Berger, in dessen Geschäftsbericht der Text | |
abgedruckt wurde. Bilfinger Berger ist ein Konzern, der deutlich von den | |
ÖPP-Gesetzen profitierte und sich in den letzten Jahren vom Baugiganten zu | |
einem Dienstleister für ÖPP-nahe Angebote verwandelte. Allein 2012 setzte | |
Bilfinger Berger in diesem Sektor rund 2,4 Milliarden Euro um. | |
Steinbrück ließ sich von weiteren Konzernen buchen, die mit ÖPP viel Geld | |
verdienen und für das Modell Lobbyarbeit betreiben: die | |
Beratungsgesellschaft KPMG AG (15.000 Euro),im Jahr 2011, die Berater von | |
J.P. Morgan Asset Management (15.000 Euro), Ernst & Young (15.000 Euro). | |
Und: Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (15.000 Euro). Im Jahr 2012 | |
beauftragte ihn Sal.Oppenheim jr. & Cie. AG & Co. (15.000 Euro) und | |
schließlich die Berater von PricewaterhouseCoopers, die schon das Gesetz | |
mitschreiben durften (15.000 EUR). | |
In dem bezahlten Interview sagt Peer Steinbrück: „Die öffentliche Hand darf | |
nicht der Vorstellung erliegen, sie könne den Kuchen gleichzeitig essen und | |
behalten“. Der Kuchen, den er meint, ist das Gemeingut. | |
Wie sich der Sozialdemokrat Ronald Schminke in Niedersachsen trotzdem gegen | |
die Macht von Bundespolitikern und Konzernen stemmt, lesen Sie in der | |
[1][sonntaz vom 5./6. Januar 2012]. Am Kiosk, [2][eKiosk] oder gleich im | |
[3][Wochenendabo]. | |
5 Jan 2013 | |
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## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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