| # taz.de -- Preisverleihung Filmfestspiele Venedig: Männlichkeit im Krisenzust… | |
| > Die Jury hat mit Guillermo del Toros „The Shape of Water“ einen liebevoll | |
| > nostalgischen Fantasy-Film mit dem Goldenen Löwen prämiert. | |
| Bild: Xavier Legrand rührte die Preisverleihung zu Tränen | |
| Männer, die weinen. Diesmal waren es einige. Nicht bloß auf der Leinwand, | |
| sondern auch auf der Bühne bei der Abschlusszeremonie der 74. | |
| Filmfestspiele von Venedig. Eindrucksvoll der Gewinner des Goldenen Löwen | |
| für den besten Film, der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro. Der | |
| begann seine Dankesrede, unter Tränen, mit den Worten: „Ich bin 52, wiege | |
| 300 Pfund und habe zehn Filme gemacht.“ | |
| Del Toro, der unter anderem mit „Pans Labyrinth“ (2006) oder der | |
| Comicverfilmung „Hellboy“ (2004) seine Qualitäten als Genre-Filmemacher | |
| demonstriert hat, ließ in seinem prämierten Wettbewerbsfilm seiner Fantasie | |
| wieder freien Lauf. „The Shape of Water“ ist ein Diversitäts-Liebesmärche… | |
| in dem eine taube Frau (Sally Hawkins) und ein Wiedergänger des Ungeheuers | |
| der schwarzen Lagune (Doug Jones) ihre Gefühle füreinander entdecken. | |
| Mitten im Kalten Krieg halten US-Wissenschaftler das in Südamerika | |
| entdeckte Amphibienwesen in einem Forschungslabor in Baltimore für ihre | |
| Experimente gefangen. Sally Hawkins in der Rolle der Reinigungskraft Elisa | |
| tut in dieser Einrichtung ihren Dienst und kommt so mit dem Wesen in | |
| Kontakt. Das bissige Schuppentier wird im Umgang mit Elisa unerwartet sanft | |
| und friedfertig, ganz anders als unter der Folterbehandlung des finsteren | |
| Sicherheitschefs Strickland (Michael Shannon). | |
| Del Toro blickt in seiner Inszenierung offensiv zurück, lässt nicht nur mit | |
| der Ausstattung die fünfziger Jahre detailgetreu wieder auferstehen, vor | |
| allem mit den klobigen Apparaturen des Labors, sondern lässt auch Elisa in | |
| einer Wohnung hausen, die über einem alten Lichtspieltheater liegt, in dem | |
| ein sehr übersichtliches Publikum das dargebotene Filmprogramm verfolgt. | |
| Die Liebeserklärung an das Kino der fünfziger Jahre gerät ein bisschen | |
| überdeutlich. | |
| ## Alles eine Spur zu nett | |
| Auch bleibt die Liebesgeschichte des ungleichen Paars unterentwickelt. | |
| Schön anzusehen ist das alles, schön gespielt ebenfalls, allen voran von | |
| Sally Hawkins, die ihren tauben Part mit gewohnter Leichtigkeit gibt, | |
| Michael Shannons sadistischer Peiniger kann sich ebenfalls sehen lassen. | |
| Doch del Toro hätte seine Fantasie doch etwas wilder walten lassen können, | |
| der Film entfaltet sich alles in allem eine Spur zu nett. Misslungen ist er | |
| jedoch keinesfalls. | |
| Man hätte ebenso gut ganz andere Filme mit dem Preis bedenken können. Paul | |
| Schraders Klerikal-Drama „First Reformed“, in dem Ethan Hawke einen Pastor | |
| in der Glaubenskrise gibt, wäre in seiner kühlen Strenge und langsamen | |
| Zuspitzung geeignet gewesen. Stark auch Frederick Wisemans geduldiges | |
| Porträt „Ex Libris“ über Arbeit der New York Public Library in Zeiten des | |
| digitalen Umbruchs. Beide gingen leer aus. | |
| Gleich zwei Preise erhielt dafür der Franzose Xavier Levant für „Jusqu'à la | |
| garde“. Vor Schluchzen konnte er kaum ein Wort des Danks hervorbringen. | |
| Sein Familiendrama um einen Sorgerechtsstreit erhielt den | |
| Luigi-De-Laurentiis-Preis für einen Debütfilm als auch den Silbernen Löwen | |
| für die beste Regie. Eine zerrüttete Ehe mit getrennt lebenden Eltern, die | |
| Kinder werden als Spielball missbraucht: Léa Drucker als verhärmte Mutter | |
| und Denis Ménochet als cholerischer Vater sorgen unter Levants Regie für | |
| eine kaum zu ertragende, gut dosierte Psychohölle, auch wenn Druckers Figur | |
| leicht unbestimmt bleibt und der lapidare Schluss nicht gänzlich überzeugt. | |
| Völlig in Ordnung ging dafür der Silberne Löwe, Großer Preis der Jury, für | |
| Samuel Maoz’„Foxtrot“. Sein Versuch, die psychischen Abgründe im heutigen | |
| Israel auszuloten am Beispiel einer Familie, deren Sohn im Militärdienst | |
| scheinbar fällt, nähert sich seinem heiklen Thema mit feinem Sinn für | |
| absurd-schwarze Komik. | |
| ## Migration und viel Familie | |
| Die großen Themen des Wettbewerbs waren in diesem Jahr ansonsten Migration | |
| (Ai Weiweis misslungener Dokumentarfilm „Human Flow“, Abdellatif Kechiches | |
| „Mektoub, My Love: Canto Uno“ und, ja, Alexander Paynes Schrumpfungskomödie | |
| „Downsizing“), ethnisch-religiöse Konflikte (Ziad Doueiris libanesischer | |
| Beitrag „The Insult“), und jede Menge dysfunktionale Familien (Vivian Qus | |
| „Angels Wear White“ – die einzige Frau im Wettbewerb –, Andrew Haighs �… | |
| on Pete“, Martin McDonaghs „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, | |
| Sebastiano Risos „Una famiglia“ und Andrea Pallaoros „Hannah“), mit hö… | |
| unterschiedlichem Ertrag. | |
| Die britische Altmeisterin Charlotte Rampling erhielt dabei sehr zu Recht | |
| die Coppa Volpi für die beste Darstellerin für ihre Titelrolle in „Hannah“ | |
| als gebrochene Mutter einer Familie, die von einem ungenannten Verbrechen | |
| zerstört wurde. Auch der Palästinenser Kamel El Basha, ein | |
| Theaterschauspieler in seiner ersten Filmproduktion, wurde für den ruhigen | |
| Part eines Bauarbeiters in „The Insult“ angemessen mit der Coppa Volpi | |
| geehrt. | |
| Richtig große Überraschungen fand man aber auch in den Nebenreihen nicht. | |
| Dafür viel Lobenswertes, wie etwa ein selbstbewusstes italienisches Kino, | |
| in dem man sich mitunter Zeit zum Erzählen ließ. In der Reihe Orizzonti | |
| bekam die Italienerin Susanna Nicchiarelli für ihr Biopic „Nico, 1988“ den | |
| Preis für den besten Film. Die Erzählung aus den letzten beiden Jahren im | |
| Leben der Pop-Exzentrikerin Nico geriet dank der Hauptdarstellerin Trine | |
| Dyrholm zum einfühlsamen Porträt ohne jegliche Peinlichkeiten. | |
| Ein weiterer Höhepunkt der Orizzonti war „La vita in comune“ von Edoardo | |
| Winspeare. Die unaufgeregte italienische Komödie aus Apulien über einen | |
| frustrierten Bürgermeister, der durch seinen Freiwilligendienst mit einem | |
| Lesekreis im Knast einen vertrottelten Kleinkriminellen zum | |
| Gedichteschreiben inspiriert, zeigt mit lakonischer Komik verschiedene | |
| Männlichkeitsentwürfe im Krisenzustand. | |
| ## Auf der Suche nach diversen Schwimmbecken | |
| Gelungen auch die Versuchsanordnungen von Rä di Martinos „Controfigura“ aus | |
| der Reihe Cinema nel Giardino. Die italienische Künstlerin begab sich für | |
| ihren ersten Spielfilm in Marokko mit dem großen Filippo Timi in der Rolle | |
| des titelgebenden Doubles auf die Suche nach diversen Schwimmbecken, um im | |
| Stil eines Dokumentarfilms die Arbeit an einem Remake des US-amerikanischen | |
| Spielfilms „The Swimmer“ (1968) mit Burt Lancaster zu verfolgen. Wechselnde | |
| Schauspieler sind in den nachgestellten Poolszenen zu erleben, dazwischen | |
| immer wieder der stotternde Timi, der zaghaft den Wunsch äußert, selbst die | |
| Hauptrolle zu übernehmen. In seiner freien Anlage erfrischend, dazu tolle | |
| Wüstenbilder. | |
| Eine Entdeckung schließlich war auch die Argentinierin Natalia Garagiola, | |
| die ihr Spielfilmdebüt „Temporada de caza“ in der Settimana della critica | |
| präsentierte. Garagiola, Jahrgang 1982, konzentrierte sich in ihrer mit | |
| rauer Direktheit gefilmten Coming-of-Age-Geschichte um einen Jugendlichen | |
| zwischen seinem Adoptiv- und seinem leiblichen Vater auf kollidierende | |
| Bilder dessen, was ein Mann ist beziehungsweise wie er das wird. | |
| Bis zum Ende wenig vorhersehbar ohne unnötige Schnörkel erzählt. Für die | |
| Zukunft – und die weibliche Präsenz im Programm – lässt das allemal hoffe… | |
| 10 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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