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# taz.de -- Filmfestspiele in Venedig – Lidokino Teil 7: Sommerferien in frü…
> Drama, Bikini und Coming-of-Age aus Belgien und Frankreich: Nun naht das
> Ende der Filmfestspiele in Venedig.
Bild: Regisseur Abdellatif Kechiche in Venedig
Zum Abschied noch einmal eine mittelkalte Dusche. Nicht im Kino, aber fast.
Am Abend platzt ein Schauer auf den Lido herab wie eine Wasserbombe, im
Erdgeschoss des Palazzo del Casinò steht das Wasser in den Fluren, läuft in
die Eingangshalle, sodass man mit den Schuhen fast versinkt. Vielleicht
rührt von diesen Fluten ja der leicht muffige Geruch im Gebäude. Nach einer
halben Stunde ist das Spektakel auch schon vorbei, der Betrieb des
Schlangestehens kann wieder aufgenommen werden.
Der belgische Liebeskrimi „Le Fidèle“ von Michaël R. Roskam, der danach
außer Konkurrenz zu sehen ist, erfüllt dann ungeachtet seiner
Hauptdarsteller Matthias Schoenaerts und Adèle Exarchopoulos nicht so ganz
die Erwartungen. Man lernt ein ungleiches Paar kennen, die Rennfahrerin
Bibi (Exarchopoulos) und den Gangster Gigi (Schoenaerts), die auf ihre
Weise beide das Risiko in ihrem Leben brauchen und unzertrennlich werden,
trotz aller legalen Hindernisse, die sie trennen.
Die im Grunde für den Film ausreichend schwierige Konstellation wird mit
allerlei dick aufgetragenem Handlungsballast beschwert, bis hin zu einer
unheilbaren Krankheit Bibis. Und einem ungewöhnlichen Liebesdienst, den sie
ihrem treuen Freund erweist. Drama um seiner selbst willen? Ein paar
Hinweise auf die Feindschaft zwischen Flamen und Wallonen plus einige
gelungene Actionszenen jedenfalls machen die Sache nicht rund.
Ganz andere Fragen treiben dafür den Franzosen Abdellatif Kechiche in
seinem Wettbewerbsfilm „Mektoub, My Love: Canto Uno“ um. Junge Menschen in
Südfrankreich in einem kleinen Badeort Sète während der Sommerferien, eine
tunesischstämmige Familie, attraktive Urlauberinnen, die in der Sonne
liegen, im Wasser tollen, sich vielfältig amourös betätigen. Im Zentrum
dieser mit flüchtiger Beiläufigkeit fließenden Coming-of-Age-Erzählung
steht Amin (Shaïn Boumédine), der seit Kurzem in Paris lebt, dort
Drehbücher schreibt und jetzt die Urlaubszeit bei seiner Familie verbringt.
Das Jahr ist 1994, um Amin herum scheinen alle abenteuerlustig. Gleich zu
Beginn wird er Zeuge, wie seine beste Freundin Ophélie (Ophélie Bau) Sex
mit seinem Cousin hat, eine Affäre, die geheim bleiben soll. Amin selbst
scheint hingegen der Einzige zu sein, der zum Geschehen um ihn herum
Abstand hält, beobachtet, ohne sich auf das allgemeine Gefühlsdurcheinander
einlassen zu wollen.
Mit großer Schaulust bleibt die Kamera immer wieder an Frauenkörpern im
Bikini oder beim ausgelassenen Tanzen im Club hängen. Das kann man zu viel
des Guten finden. „Mektoub, My Love: Canto Uno“ ist aber nicht unbedingt
ein oberflächlicher Film. Die Frauen darin sind zudem keine bloßen Objekte
für die sehr maskulin auftretenden Männer, sie sind sich durchaus selbst
genug, auch in sexueller Hinsicht.
Der Film wirkt aus heutiger Perspektive fast wie ein Requiem auf eine Zeit
in Frankreich, als man Nachtleben und Freizügigkeit noch nicht mit
Terroranschlägen zusammendachte. Man kann sich fragen, ob das in voller
Länge auf drei Stunden ausgebreitet sein muss. Doch wird einem dieser Trip
darüber nicht lang, die Dynamik, mit der die Freunde und Verwandten Amins
ausgiebig ihre Beziehungen untereinander erörtern, ist recht genau
gezeichnet. Es mag ein männlicher Blick sein, den Kechiche auf seine
Protagonistinnen wirft, andererseits zeichnet er die Männer in diesem
Panorama vorwiegend als die schwächeren Figuren, als Machos mit großer
Klappe. Ein Flop? Eher nicht.
8 Sep 2017
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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Ai Weiwei
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