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# taz.de -- Polizeiwillkür in Hamburg: Zu politisch für die Polizei
> Die Polizei versteht das Sammeln von Unterschriften für zwei
> Volksinitiativen als unangemeldete Versammlung – und verhängt Bußgeld.
Bild: Polizei im Einsatz gegen die Sammlung von Unterschriften für eine Volksi…
Hamburg taz | Eine Volksinitiative ist eine politische Angelegenheit, so
viel ist klar. Der Polizei war das Sammeln von Unterschriften für die
[1][Hamburger Mietenvolksinitiativen] aber zu politisch. Sie bezichtigte
zwei Personen, die am Samstagabend auf Unterschriftensammlung waren, damit
eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben.
„Wir zogen mit einem Fahrradanhänger, in dem wir Material transportierten,
durch das Schanzenviertel“, erzählt Johannes Kohl der taz. Das Material
waren in diesem Fall Unterschriftenlisten und Stifte, ein Tischchen, um die
Listen auszulegen und Desinfektionsspray.
Im Gesicht hätten sie einen Mund-Nasen-Schutz getragen und in der Hand ein
Plakat an einem Holzstiel, mit der Aufschrift „Keine Profite für Boden und
Miete – hier unterschreiben“. Unterwegs seien Kohl und seine Freundin an
diversen umherstreifenden Polizist*innen vorbeigekommen, von denen sich
keine*r für die Unterschriftensammlung interessiert habe. – bis sie an der
[2][Ecke Neuer Pferdemarkt, Stresemannstraße] von zwei Polizisten verfolgt
worden seien.
Ein Polizist habe sie gefragt, was das für eine unangemeldete politische
Versammlung sei. „Gar keine Versammlung“, habe Kohl geantwortet, „wir
sammeln Unterschriften für eine angemeldete Volksinitiative“. Die
Polizisten hätten gewirkt, als könnten sie mit dieser Information nicht
wirklich etwas anfangen, sagt Kohl.
## „Diese Willkür ärgert mich“
Gestört habe sie ganz eindeutig aber das Plakat am Stiel: Es beinhalte eine
politische Botschaft, was Kohl und seine Freundin zu einer unangemeldeten
politischen Versammlung mache.
Eine halbe Stunde lang hätten die Polizisten herum telefoniert und sich
schließlich entschieden, die Unterschriftensammlung der beiden als
Ordnungswidrigkeit zu werten. [3][Ein Bußgeldbescheid] werde ihnen per Post
zugestellt, in welcher Höhe, konnten die Polizisten nicht sagen. „Diese
Willkür, der man ausgesetzt ist, ärgert mich“, sagt Kohl. Einer der Beamten
habe noch gesagt: „Sie hätten das ja auch online machen können.“
Statt von Willkür spricht das Gesetzbuch bei Ordnungswidrigkeiten vom
Opportunitätsprinzip. Im Gegensatz zu Straftaten sind Polizist*innen nicht
verpflichtet, diese zu verfolgen. Sie können es machen, wenn sie nichts
Besseres zu tun haben. Gerade dieser letzte Aspekt schockiert den
Mieteranwalt Marc Meyer, der mit den beiden Hamburger Mietervereinen die
Volksinitiativen gestartet hat: „Ich bin entsetzt, dass die Polizei nichts
Besseres zu tun hat, als Menschen zu verfolgen, die Unterschriften für
bezahlbaren Wohnraum sammeln“, sagt er.
Der Rechtsanwalt Christian Woldmann hält das Einschreiten der Polizei für
einen massiven Eingriff in das Petitionsrecht und das Recht, Volksbegehren
durchzuführen. „Wie soll man die [4][erforderlichen Unterschriften zusammen
bekommen], wenn die Polizei nach Gutdünken entscheidet, das Sammeln zu
begrenzen?“, fragt der Jurist.
## Schuld waren die Gesamtumstände
Außerdem komme das Versammlungsrecht hier gar nicht zur Anwendung, denn das
Sammeln von Unterschriften diene einem ganz anderen Zweck als politische
Kundgebungen. „Man kann eine Versammlung machen, um dort Unterschriften zu
sammeln“ erklärt Woldmann. „Aber das bloße Sammeln von Unterschriften ist
keine Versammlung, daran ändert auch ein Plakat nichts.“
Zudem seien Versammlungen nach dem in Hamburg geltenden
Bundesversammlungsgesetz erst ab drei Personen als solche zu verstehen.
Der Polizeisprecher Florian Abbenseth erklärt, die Polizisten hätten das
Geschehen „aufgrund der Gesamtumstände“ als Versammlung klassifiziert. Nach
der aktuellen Pandemieverordnung sind Kundgebungen mit bis zu 1.000
Personen zwar wieder erlaubt, müssen aber angemeldet werden.
Auf die Frage nach dem Ermessensspielraum der Beamten, die Sache weiter zu
verfolgen oder die Unterschriftensammler*innen in Ruhe zu lassen, sagt der
Sprecher: „Die einschreitenden Beamten haben von ihrem Ermessen keinen
Gebrauch gemacht.“ Das Bußgeld belaufe sich in einem solchen Fall auf 150
Euro pro Person.
Das wollen Kohl und seine Freundin nicht auf sich sitzen lassen. Sobald sie
den Bußgeldbescheid haben, wollen sie prüfen, dagegen zu klagen.
12 Aug 2020
## LINKS
[1] /Volksinitiative-fuer-Wohnen-in-Hamburg/!5645152
[2] /Wegen-Corona-kein-Alkohol-in-Hamburg/!5697386
[3] /Bussgeld-gegen-Hamburgs-Innensenator/!5700236
[4] /Zu-wenig-Unterschriften/!5700073
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Mieten Hamburg
Polizei
Demokratie
Volksbegehren
Demokratie
Niedersachsen
Mietenpolitik
Wohnungspolitik
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