# taz.de -- Wegen Corona kein Alkohol in Hamburg: Schanzenviertel halbtrocken | |
> An den vergangenen Wochenenden war die Schanze voll, trotz Corona. Nun | |
> verbot das Bezirksamt den Außerhausverkauf von Alkohol. | |
Bild: Mit hohem Kommunikationsaufwand versuchte die Polizei, das Cornern einzud… | |
HAMBURG taz | Auf dem Schulterblatt sitzen Menschen auf Holzbänken, trinken | |
Weißwein aus langstieligen Gläsern oder schlürfen durch einen Strohhalm | |
Aperol Spritz. Kein ungewöhnlicher Anblick für einen Freitagabend. Und doch | |
ist dieses Straßenbild ganz anders als das, womit die Behörden gerechnet | |
haben. | |
Die hatten an diesem Abend gerade im Schanzenviertel großes Gedränge ohne | |
Sicherheitsabstand erwartet – oder gar [1][Krawalle wie in Stuttgart]. Eine | |
Kundgebung der Interventionistischen Linken zum Thema Rassismus und | |
Polizeigewalt ist noch dazu ab zehn Uhr angekündigt. Das Bezirksamt Altona | |
entschloss sich daher zu einem ungewöhnlichen Schritt: Es verfügte am | |
Freitagnachmittag ein Alkoholverkaufsverbot. | |
Das gilt allerdings nicht für alle gleichermaßen: Der Wein in der Bar ist | |
weiterhin erlaubt. Aber nur, wenn die Leute auch einen Tisch haben. Das | |
sogenannte [2][„cornern“], also an einer Straßenecke herumzuhängen und zu | |
trinken, soll [3][an diesem Wochenende verhindert werden]. Wegen der | |
Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus sei dies zu gefährlich. Deshalb | |
dürfen insgesamt 16 Betriebe in Altona und Mitte, vor denen in der | |
Vergangenheit viel gecornert wurde, an diesem Wochenende keinen Alkohol zum | |
Mitnehmen verkaufen. | |
## Jetzt klagen auch die Kioskbetreiber | |
Das trifft besonders die Kioske. Im Cayan-Kiosk am Schulterplatz steht Umut | |
hinter einer Plastikscheibe und muss hereinkommenden Leuten immer das | |
gleiche zurufen. „Wir dürfen heute keinen Alkohol verkaufen!“ Die meisten | |
machen auf dem Absatz kehrt, einige kaufen Zigaretten. „Ich will aber | |
Alkohol“, jammert ein Mädchen und fragt ihre Freundin: „Hat der Supermarkt | |
auf?“ | |
„Der Rewe auf dem Schulterblatt darf Alkohol verkaufen“, sagt Umut, als die | |
Mädchen weg sind. „Das ist ungerecht, die Leute kaufen da und uns bricht | |
unser Umsatz weg.“ Zigaretten brächten ihnen nur Cent-Beträge ein. Wie er | |
von der kurzfristigen Regelung erfahren habe? „Da kam jemand von der | |
Behörde und hat uns so einen gelben Brief in die Hand gedrückt.“ Das | |
Verkaufsverbot galt ab sofort und bis zum nächsten Morgen, Samstagabend | |
dasselbe. | |
Über das Cornern [4][streiten die Betreiber von Bars und Kiosken schon seit | |
Jahren]. Die Getränke in den Bars auf der Schanze sind aufgrund hoher | |
Mieten oft teuer. Da ist der Kiosk eine gute Lösung für Leute, die sich das | |
nicht leisten können oder wollen. Die Bars stellen dafür die Toiletten, auf | |
die alle gehen. | |
Vor dem Saal II, direkt neben dem Cayan Kiosk, steht ein rosafarbenes | |
Schild. „Bitte geht da auf Toilette, wo ihr eure Getränke kauft.“ „Das | |
Schild hatten wir tatsächlich schon vor Corona“, sagt Paula, die in der Bar | |
aushilft. Zu viele Leute vom Kiosk nebenan seien hier aufs Klo gegangen. | |
„Und jetzt zu Corona-Zeiten müssen sich alle Gäste bei uns registrieren. | |
Wer hier nur schnell aufs Klo geht, macht das natürlich nicht. Das ist | |
schon ein Problem.“ Ihnen helfe das Verbot deshalb. | |
Tristan aus der „Katze“ schräg gegenüber sieht die Maßnahme kritischer. | |
Auch er fühlt sich ungerecht behandelt, wie so viele auf dem Schulterblatt. | |
Doch das Cornern werde die Regelung kaum verhindern, meint er. „Dann kaufen | |
sich die Leute ihr Zeug eben im Supermarkt“, sagt er. Es würde viel mehr | |
helfen, wenn der [5][Kiez wieder aufmachte]. „Dann würden sich die Leute | |
ein bisschen verteilen und nicht alle in die Schanze kommen.“ | |
## Am Ende sind doch fast alle betrunken | |
Tristan soll recht behalten. Im Laufe des Abends füllt sich die Schanze | |
immer mehr. Fast alle haben Alkohol dabei. „Aus dem Rewe“, sagen sie, wenn | |
man sie fragt, wo sie den her haben. Die Polizei patrouilliert in Uniform | |
und mit Masken und fordert einzelne Grüppchen auf, den Abstand einzuhalten. | |
„Wir sind es gewohnt, der Buhmann zu sein“, sagt ein Polizist von der Wache | |
Lerchenstraße. „Aber Anwohner machen sich Sorgen, dass die Schanze ein | |
neuer Herd werden könnte. Für sie sind wir da.“ Immerhin: Von Zuständen wie | |
in Stuttgart ist das Schanzenviertel an diesem Abend weit entfernt. | |
Insofern hat das Alkoholverkaufsverbot vielleicht gewirkt. Aber trotzdem | |
sind fast alle betrunken. | |
In all dem Trubel geht die Anti-Rassismus- Kundgebung fast unter. Vor dem | |
Bahnhof Sternschanze sitzen Menschen mit Abstand auf Kreidemarkierungen und | |
lauschen Vorträgen über [6][Polizeigewalt in den USA] – und über die | |
mangelnde Solidarität mit Hengameh Yaghoobifarah, die Solidarität mit | |
Hengameh Yaghoobifarah, die nach ihrer [7][polizeikritischen taz-Kolumne] | |
von vielen Seiten angefeindet wurde. Dazu laufen Bilder über eine Leinwand. | |
Es ist der einzige Ort, an dem man sich in normaler Lautstärke unterhalten | |
kann. Und wo es einem seltsam vorkommt, was nur ein paar Straßen weiter | |
gerade los ist. | |
27 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Randale-in-Stuttgart/!5690923 | |
[2] /Gruene-gegen-Cornern-in-Hamburg-Altona/!5383491 | |
[3] /Durchgreifen-gegen-Massencornern-verlangt/!5691630 | |
[4] /Demo-der-Club--und-Kneipenbesitzer/!5482987 | |
[5] /Rundgang-auf-St-Pauli/!5673151 | |
[6] /Kampf-gegen-US-Polizeigewalt/!5689397 | |
[7] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584 | |
## AUTOREN | |
Sarah Mahlberg | |
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