| # taz.de -- Polizeigebühren bei Fußballspielen: Die Richtigen zur Kasse | |
| > Den Fußball an den Kosten für Polizeieinsätze bei Risikospielen zu | |
| > beteiligen, ist eine gute Idee. Das Bremer Gesetz allerdings hat Lücken. | |
| Bild: Polizisten im Einsatz während eines Heimspiels des Bundesligisten Werder… | |
| Der chronisch klamme Stadtstaat Bremen darf den Fußball bei | |
| Hochrisikospielen zur Kasse bitten: Dieser Entscheid des | |
| Bundesverfassungsgerichts hat ein Beben ausgelöst. Welchen Rattenschwanz | |
| die Privatisierung von Polizeikosten nach sich ziehen könnte, wenn andere | |
| Bundesländer aufspringen, das lässt sich nur erahnen. | |
| Denn Gesetze nach Bremer Vorbild – gewinnorientierte, gefahrgeneigte | |
| Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen müssen die [1][Mehrkosten für | |
| zusätzliche Polizeikräfte] tragen – könnten Karneval, Weihnachtsmärkte, | |
| Oktoberfest betreffen. Sie würden Teams bis hinunter in die | |
| Männer-Regionalligen treffen, außerdem Spiele im prekären Basketball oder | |
| Eishockey. Was das hieße? Weiß niemand. | |
| Dabei ist es eine hervorragende Idee, den Fußball an den Mehrkosten zu | |
| beteiligen. Das Milliardenbusiness profitiert über alle Maßen von | |
| öffentlichen Geldern. Ob beim oft kostenintensiven Stadionbau, bei | |
| ÖPNV-Anbindung und Infrastruktur, bei der „Rettung“ misswirtschaftender | |
| Klubs, beim Sponsoring, bei Großturnieren wie der vergangenen EM mit allein | |
| [2][625 Millionen Euro Kosten für Steuerzahler:innen], bei | |
| millionenschweren TV-Einnahmen durch die Öffentlich-Rechtlichen oder eben | |
| Polizeikosten: Ohne Vater Staat würde kein Ball der Profis rollen. | |
| Vielen Bürger:innen ist das Ausmaß dieser Querfinanzierung überhaupt | |
| nicht bewusst. Die Profite dagegen werden zu großen Teilen in die Taschen | |
| weniger Stars und Berater privatisiert. Das ist ein Skandal. Dass die | |
| Branche sich an ihren extrem hohen Polizeikosten – in den ersten beiden | |
| Männerligen galten zuletzt acht Prozent der Spiele als Hochrisikospiel, sie | |
| kosten 20 bis 30 Millionen Euro im Jahr – direkt beteiligen muss, ist | |
| deshalb erst mal emanzipativ. | |
| ## Kleine Veranstalter berücksichtigen | |
| Es ist auch Blödsinn, wenn sich der Männerfußball den Anschein gibt, er | |
| käme zur Fangewalt wie die Jungfrau zum Kinde: Die lokalen Rivalitäten und | |
| das Mackertum sind im Geschäftsmodell eingepreist. Nichts verkauft sich so | |
| gut wie emotionale Derbys, über deren Schattenseiten man sich anschließend | |
| entsetzt gibt. Das konkrete Bremer Gesetz allerdings hat große Lücken und | |
| Untiefen. Die Untergrenze von 5.000 Teilnehmenden ist völlig willkürlich | |
| und trifft auch Veranstalter, die sechsstellige Kosten nicht zahlen können. | |
| Im Zweifel würden kleine Klubs für Risikospiele unter 5.000 Tickets | |
| verkaufen oder Geisterspiele abhalten – das ist sicher nicht gewollt. Ist | |
| eine Veranstaltung finanziell bedroht, könnte der Veranstalter wohl | |
| erfolgreich klagen. Bei konsequenter Anwendung droht eine Welle von | |
| Gerichtsstreits und endlose Bürokratie. Auch ist es unsinnig, dass ein | |
| Heimklub für randalierende Auswärtsfans zahlen soll. | |
| Und zu befürchten ist, dass Veranstalter mehr Aufgaben an günstigere | |
| private Sicherheitsdienste auslagern und Kosten auf Teilnehmende abwälzen. | |
| Polizei als private Dienstleistung öffnet gefährliche Türen. Jenseits des | |
| Sports wird es nicht zuletzt ethisch schwierig: Warum sollte der | |
| Veranstalter eines [3][Weihnachtsmarktes] dafür zahlen, dass es eine | |
| islamistische Bedrohungslage gibt? | |
| Momentan gleicht das Bremer Gesetz einer Flipperkugel: extrem willkürlich | |
| und mit gewaltiger Macht, an zahllosen unvorhersehbaren Stellen | |
| einzuschlagen. Viel wird davon abhängen, ob und wie verantwortungsbewusst | |
| andere Bundesländer nachziehen. Dem ökonomischen Druck der | |
| Haushaltssanierung werden sie sich wohl beugen. | |
| ## Kein Interesse an Eskalation | |
| Aus NRW ließ sich vernehmen, in welche Richtung die Debatte politisch | |
| ausschlagen könnte: noch mehr Autoritarismus. NRW-Innenminister Herbert | |
| Reul (CDU) erklärte, wenn Vereine nicht zur Kasse gebeten werden wollten, | |
| „müssen sie liefern und mehr Maßnahmen ergreifen als bisher“. Eine weitere | |
| Eskalation der Polizeimaßnahmen befürchten auch die Fanorganisationen. | |
| Viele Linke ohne Fußballbezug jubelten nach dem Entscheid, endlich müsse | |
| man nicht mehr für prügelnde Männer zahlen. Das ist naiv. | |
| Tatsächlich stehen die Polizeieinsätze in keinem Verhältnis zur | |
| Sicherheitslage im Fußball. Hier wird auch eine kritische, subversive Szene | |
| immer autoritärer kleingehalten. Die Sorge kritischer Fans, dass die | |
| Polizei den Blankoscheck dankend annimmt, ist berechtigt. | |
| Interessanterweise könnte aber auch der gegenteilige Effekt eintreten. | |
| Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat angekündigt, sie wolle sich nun dafür | |
| einsetzen, dass bei den Polizeieinsätzen „die Kriterien konkretisiert und | |
| die Einsatzplanung transparenter gestaltet werden“. Eine uralte linke | |
| Forderung, die da von der neoliberalen Interessenvertretung kommt. Wenn der | |
| Fußball die Zeche zahlt, hat er plötzlich wenig Interesse, dass sie | |
| eskaliert. Und die Profiklubs sind mächtige Player. Hochrisikoeinsätze der | |
| Polizei werden sie nicht mehr ganz so sorglos hinnehmen. | |
| Der Fall Bremen vs. DFL könnte im besten Ausgang einen unfreiwilligen | |
| Effekt haben: die Polizeiarbeit beim Fußball ein Stück demokratisieren. Die | |
| Fanorganisation [4][„Unsere Kurve“] fordert, dass auch Fans dabei gehört | |
| werden. Das ist erfahrungsgemäß deutlich schwerer zu erstreiten. Aber die | |
| Chance für eine demokratischere Einsatzplanung ist da. Die Statistiken für | |
| 2023/24 zeigen, dass beim Fußball rund jede fünfte Straftat außerhalb des | |
| Stadions geschieht, oft an Bahnhöfen oder im Zug. | |
| Vor allem Frauen, Queers und Menschen of Colour wissen, wie potenziell | |
| gefährlich es ist, etwa mit Fangruppen im Zug zu fahren. Der Fußball hat | |
| jetzt die Chance, Sicherheit umfassender und anders zu denken. Mehr | |
| Unterstützung für die sozialarbeiterischen Fanprojekte, sichere | |
| Anlaufstellen an Bahnhöfen und Stadionwegen, mehr Awareness-Konzepte im | |
| Stadion, mehr geschulte Sicherheitskräfte in einzelnen Zügen, | |
| deeskalierende Kontaktbeamte. | |
| Leider ist der Zeitgeist nicht auf Seiten sinnvoller Sicherheitspolitik. | |
| Offen ist ein großes Fenster aller Möglichkeiten. Welche Geister der Bremer | |
| Vorstoß ruft, hängt auch davon ab, wie verantwortungsbewusst die Politik | |
| nun Gesetze schreibt. Oder eben nicht. | |
| 15 Jan 2025 | |
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| [2] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/fussball-europameiste… | |
| [3] /Anschlag-in-Magdeburg/!6058114 | |
| [4] https://www.unserekurve.de | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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