# taz.de -- Schlechte Ökobilanz der Fußball-EM: Möge das Konsumfest beginnen | |
> Uefa und DFB schwärmen von der „nachhaltigsten EM aller Zeiten“. Folgt | |
> man den offiziellen Einschätzungen, kann davon keine Rede sein. | |
Bild: Lichtshow für die EURO 2024 in Frankfurt/Main. Aber was hinter den Kulli… | |
BERLIN taz | Es wären 490.000 Tonnen CO2-Äquivalente: So viel könnte die | |
Euro 2024 der Männer ausstoßen, hat das Öko-Institut „Sport handelt fair“ | |
geschätzt. Ein Wert, der vergleichbar ist mit vorherigen Turnieren. Nicht | |
mal eingepreist sind die schmutzigen Branchen, aus denen das Geld kommt, | |
die problematischen Sponsoren, für die das Turnier wirbt oder der | |
Konsum-Lifestyle der Stars. | |
Dennoch behaupten Uefa und DFB die „nachhaltigste EM aller Zeiten“. Das | |
Herzstück der Kampagne ist ein 7 Millionen Euro schwerer Klimafonds, aus | |
dem nach Angaben der Euro 2024 GmbH bislang 160 Amateurklubs für ihre | |
Klimaschutzprojekte Förderung erhielten. Manche würden Turniere wie diese | |
Euro am liebsten nicht mehr abhalten. Andere sehen in ihnen auch Chancen. | |
Wie viel Greenwashing steckt drin? Und wie viel lässt sich mit einer EM | |
wirklich bewegen? | |
„Man kann natürlich nicht verneinen, dass wir hier in einem hoch | |
monetarisierten Geschäftsmodell agieren“, sagt Michael Jopp. Dennoch glaubt | |
er: „Solche Turniere sind wirklich ein Hebel für Veränderung, weil Geld | |
drinsteckt und man anderes verlangen darf als bei Vereinen um die Ecke.“ | |
Michael Jopp arbeitet an der Euro, aber er ist kein Uefa-Technokrat. Jopp | |
war lange als Aktivist für Nachhaltigkeit im Sport aktiv, etwa als | |
Koordinator bei „[1][Sport handelt fair]“. Nun hilft jemand wie er, ein | |
Großturnier zu produzieren. Warum? „Ich hätte das hier nicht in einer | |
Sport-GmbH-Bude gemacht, die schöne Glitzerpapiere produziert. Mit der | |
öffentlichen Hand hat man Durchsetzungsmöglichkeiten.“ | |
Jopp ist Nachhaltigkeitsreferent für die EM bei der Berliner | |
Senatsverwaltung. Die gastgebendem Städte sind für die Gestaltung dieser | |
Euro außerhalb der Stadien verantwortlich, die Euro 2024 GmbH von Uefa und | |
DFB dagegen fürs Turnier selbst. | |
## Olympiastadion nach inklusiven Kriterien umgebaut | |
„Ich bin selbstbewusst genug zu sagen, dass wir hier neue Maßstäbe für | |
Veranstaltungen setzen“, sagt Michael Jopp. Das Olympiastadion wurde als | |
Leuchtturmprojekt nach inklusiven Kriterien umgebaut. Berlin bietet zur | |
Euro für alle Besucher:innen kostenlose Leihfahrräder, 100 Prozent | |
Mehrweg in den Fanzonen und ein rein vegetarisches Catering bei eigenen | |
Veranstaltungen. Letzteres rufe durchaus Widerstände bei Gästen hervor. | |
Die Stadt fördert hundert „nachhaltige“ Projekte mit 2 Millionen Euro – … | |
der Transformationsberatung für Fußballvereine über Workshops zur | |
Sportartikelindustrie bis hin zu Projekten für Flinta*, Menschen mit | |
geistiger Behinderung oder Infrastrukturprojekten für den Straßenfußball. | |
„Du kannst halt nachher nicht immer sagen: Dieser Workshop hat dazu | |
geführt, dass die Meinungsbildung von zehn Menschen die Welt verbessert“, | |
sagt Jopp. Er würde sich eine breiter gefasste Bilanzierung wünschen. Es | |
gehe nicht nur um die CO2-Bilanz („unser Ziel ist es, deutlich unter der | |
Prognose des Öko-Instituts zu bleiben“, auch wenn er, zugegeben, kein Fan | |
des Superlativs von der nachhaltigsten EM sei), sondern auch um | |
langfristige Wirkung. | |
## Fanzonen nicht fleischfrei | |
Allerdings sind viele Workshops sehr kleinteilig und mit auffallend | |
freundlichem Tenor. Kritische Fragen stellen wenige. Die Fanzonen – | |
natürlich nicht fleischfrei – werben für große Uefa-Sponsoren, die sich im | |
Gegensatz zu den regionalen Sponsoren an keinerlei ökologische Kriterien | |
halten mussten. Es sind Dinge, die Jopp „Realitäten“ nennt. „Wir können | |
nicht viel dafür, wie der ein oder andere Sponsor sein Geschäftsmodell | |
umstellt. An der Stadtgrenze Berlins endet auch manchmal die | |
Einflussnahme.“ | |
Ian Mengel glaubt, gerade übers Sponsoring müsse man reden. Sein Verein | |
Play!Ya hat zum Turnier rund 2.000 Sponsoren der Männer-Bundesligisten, der | |
DFL, des DFB und der Euro 2024 analysiert. Sie wollten wissen: Wie | |
nachhaltig sind die Geldquellen des Fußballs? Rund ein Drittel aller | |
Sponsoren entstammt dem verarbeitenden Gewerbe, sehr prominent | |
Getränkehersteller und Maschinenbau. An zweiter Stelle kommt Handel, 20 | |
Prozent davon direkt mit Kraftfahrzeugen, viele weitere indirekt. | |
Plakativ zusammengefasst: Bier und Autos weit vorn. „Unser Gesamteindruck | |
ist, dass der Fußball jedes Geld nimmt, was er kriegen kann“, bilanziert | |
Mengel. „Die Frage nach dem Geschäftsmodell der Sponsoren wird | |
ausgeklammert, weil alle genau wissen, dass sie in große Widersprüche | |
geraten.“ Bei der EM gehören zu den wichtigsten Sponsoren Adidas, der | |
Wettanbieter Betano, die Fluglinie Qatar Airways, der Onlinehändler | |
Aliexpress und das Reiseportal booking.com. Nachhaltigkeit spielt | |
ersichtlich keine Rolle. | |
Ginge es nach Ian Mengel, gäbe es diese Euro nicht; | |
Sportgroßveranstaltungen seien in diesem Wirtschaftssystem nicht nachhaltig | |
umsetzbar. Er spricht von Schaufensterpolitik. „An den strukturellen | |
Fehlentwicklungen im Fußball hat sich nichts geändert. Es engagieren sich | |
jetzt viele Menschen mit gutem Willen, aber die Frage ist: wohin?“ | |
## Höher, schneller, weiter | |
[2][Play!Ya gründete sich] im Nachgang der WM 2006. Mengel sieht seither | |
eine widersprüchliche Entwicklung. „Es gibt mittlerweile eine enorme | |
Vielfalt von Akteur:innen, das ist beeindruckend. Andererseits ist der | |
Sport noch mal so unendlich viel größer geworden und ist erster | |
Repräsentant einer globalisierten Höher-Schneller-Weiter-Mentalität, die | |
dem Kern von Nachhaltigkeit diametral gegenübersteht.“ | |
Der Widerstand ist gewachsen – aber das Geschäft noch viel mehr. Mengel | |
kritisiert die Blauäugigkeit, mit der viele das Nachhaltigkeitsversprechen | |
der Euro betrachteten. Es sei gut, wenn ein Amateurverein sich dank des | |
7-Millionen-Euro-Klimafonds eine Solaranlage aufs Dach setze. Aber: „Der | |
geschätzte Gewinn der Uefa bei dem Turnier geht in Richtung 2 Milliarden | |
Euro. Und diese Organisation hat Steuerfreiheit. Wenn sie Steuern zahlen | |
würde, käme ein Vielfaches der Gesellschaft zugute. Und jetzt können sie | |
auch noch selbst aussuchen, was sie als nachhaltig ansehen.“ Er fordert | |
viel mehr politischen Druck auf den Fußball. | |
Thomas Fischer ist einer von denen, die den Job haben, dem Fußball Druck zu | |
machen. Fischer ist bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) tätig, die auch zur | |
Euro 2024 beraten hat. Die Euro abschaffen will er nicht. „Es gibt genug | |
Leute, denen sie wichtig ist, und das muss man ernst nehmen.“ Ähnlich wie | |
Jopp glaubt er: „Bei so einem Turnier kann man Standards setzen.“ | |
Aber mit der Umsetzung ist Fischer nicht zufrieden. Das | |
Nachhaltigkeitskonzept habe erhebliche Schwachpunkte. „Meines Erachtens | |
wurden Ziele so formuliert, dass sie alles oder nichts bedeuten können.“ | |
Verringerter Verkehr am Stadion oder Reduktion von Kurzflügen etwa. „Die | |
Ziele sind so ungenau, dass man nicht viel machen muss, um sie zu | |
erreichen.“ Die DUH hatte ein Verbot von Kurzstreckenflügen für Teams und | |
Funktionär:innen gefordert. Für Uefa und DFB sind Flüge dagegen | |
„unvermeidbare Emissionen“, die durch den Klimafonds ausgeglichen werden. | |
Und die 25 Euro pro Tonne CO2 liegen weit unter dem deutschen Preis von 45 | |
Euro. Zudem, kritisiert Fischer, fehle es an Sanktionierung. „Wenn Ziele | |
nicht eingehalten werden, was passiert denn dann?“ | |
## Ein paar Verpflichtungen für Abhilfe sorgen | |
Eine Sprecherin der Euro 2024 GmbH antwortet auf Fragen gern mit | |
Freiwilligkeit. „Da es sich bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie | |
um eine freiwillige organisationsinterne Verpflichtung handelt, erwarten | |
wir keine Sanktionen von externen Parteien.“ Man werde eine eigene | |
Evaluation durchführen. Ähnlich zum Thema Kurzstreckenflüge: „Die Uefa Euro | |
2024 sieht von Verboten ab und versucht stattdessen durch gezielte | |
Maßnahmen, ein klimafreundliches Verhalten durch das Schaffen von Angeboten | |
zu fördern.“ Etwa durch die Aufteilung in regionale Cluster und | |
Partnerschaft mit der Deutschen Bahn. | |
Die Euro gleicht, offenbar auf Druck der Bundesregierung, auch Emissionen | |
von Ticketinhaber:innen aus. Bisher war all das keine | |
Selbstverständlichkeit. Zum CO2-Preis schreibt die Sprecherin: „Die Uefa | |
ist jedoch nicht verpflichtet, diese Gesetzgebung einzuhalten und handelt | |
auf freiwilliger Basis. […] Im Vergleich zum freiwilligen | |
Kompensationsmarkt übersteigt der Preis von 25 Euro den üblichen vom Markt | |
geforderten Wert.“ Es sind arg viele Freiwilligkeiten. Da könnten ein paar | |
Verpflichtungen gewiss für Abhilfe sorgen. | |
Ob diese Euro nachhaltig ist? Schaut man aufs lokale Level, sind da viele | |
Menschen, die glaubhaft etwas bewegen wollen; und Maßnahmen, die | |
langfristig wirken. Das ist tatsächlich ein Fortschritt zu früheren | |
Turnieren, bei denen die Veranstalter nur einen geringen pauschalen | |
CO2-Ausgleich zahlten – zur lokalen Entwicklung trug der nichts bei. | |
Schaut man allerdings aufs große Geschäftsmodell, wird es schnell düster. | |
Eine Schönmalerei eines Konsumfests, die im Vorfeld kaum kritisiert wurde. | |
Die nachhaltigste EM aller Zeiten? [3][Thomas Fischer von der DUH] sagt: | |
„Von den absoluten Umweltauswirkungen her kann sie das gar nicht sein. Die | |
ersten Europameisterschaften in den 1960er Jahren hatten nur vier | |
Teilnehmer. Heute haben wir ein Vielfaches an Spielen, Mobilität, riesige | |
Fanmeilen, Merchandising.“ In den 1960ern spielten vier Teams eine | |
Finalrunde. Es gibt Leute, die sagen: Es wäre die bessere EM. | |
14 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://sporthandeltfair.com/ | |
[2] http://playya.org/ | |
[3] https://www.duh.de/pressematerial/die-koepfe-der-duh/ | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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