# taz.de -- EM-Bewerbung der Türkei: Baggern für die Männer-EM | |
> Neben Deutschland bewirbt sich die Türkei für die EM 2024. Überall im | |
> Land werden Stadien gebaut. Hat die Türkei eine Chance, das Turnier ins | |
> Land zu holen? | |
Bild: Bauen, bauen, bauen: Erdoğan bei der Einweihung der „Krokodil-Arena“… | |
Die bisherigen EM-Bewerbungen des türkischen Fußballverbands TFF standen | |
unter keinem guten Stern. Ähnlich wie bei den anfänglichen Bemühungen um | |
einen EU-Beitritt wurden die türkischen Offiziellen wieder und wieder | |
vertröstet. Wie auch in den Beitrittsgesprächen heißt der Gegner für die | |
Ausrichtung des Turniers 2024: Deutschland. | |
Das Drama der türkischen EM-Kandidaturen nahm mit der ersten Bewerbung für | |
das Turnier 2008, damals noch gemeinsam mit Griechenland, seinen Lauf. Es | |
folgten weitere Versuche auf eigene Faust für die Ausgaben 2012, 2016 und | |
2020. Für das Turnier 2016 hatte die Türkei erst im finalen Votum das | |
Nachsehen, in dem schließlich mit nur einer Stimme Unterschied Frankreich | |
den Zuschlag erhielt. Auch für die Turnierausrichtung 2020 galt die Türkei | |
als Favoritin – bis der damalige Uefa-Präsident Michel Platini seine Pläne | |
für ein Turnier in mehreren europäischen Städten von Bilbao bis Bukarest | |
präsentiert hat. Die Türkei zog daraufhin ihre Bewerbung zurück und begann | |
bereits 2014 mit den Vorbereitungen für das Turnier 2024. | |
Die Vorbereitungen hießen vor allem eines: bauen, bauen, bauen. Über 30 | |
Stadien wurden in den letzten fünf Jahren in der Türkei fertiggestellt, | |
alle entsprechen neuesten Fifa- und Uefa-Standards. Der vom Sport- und | |
Jugendministerium geförderte Bauwahn hat dabei beinahe schon absurde Züge | |
angenommen. Hochmoderne Arenen mit Platz für über 30.000 Menschen stehen | |
nun in Städten, in denen die heimischen Dritt- und Viertligisten oft nur | |
ein paar hundert Zuschauer anlocken. Meist haben vor allem Regionen und | |
Klubs ein neues Stadion bekommen, die der Regierung nahestehen. | |
Ein prominentes Beispiel für diese Praxis ist der Klub Başakşehir FK, | |
dessen Führungsriege mit Verwandten und Vertrauten des türkischen | |
Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan besetzt ist. Noch vor ein paar | |
Jahren dümpelte der Verein in den Untiefen der Süper Lig herum, heute | |
spielt er um die Meisterschaft. | |
## „Die Uefa hat uns ungerecht behandelt“ | |
Oft sind die Grenzen zwischen den Interessen von Sportfunktionären, | |
Bauunternehmern und Politikern der Regierungspartei AKP fließend. Die | |
meisten der neuen Stadionbauten hat entweder die staatliche | |
Wohnungsbaugesellschaft Toki selbst übernommen oder die Bauaufträge über | |
offizielle Ausschreibungen an regierungsnahe Unternehmen verteilt. Das | |
Stadion in Başakşehir wurde beispielsweise von der Kalyon Holding | |
errichtet, die zudem aktuell für den Bau des größten Flughafens der Welt in | |
Istanbul verantwortlich ist. | |
Laut der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet sind bei den Bauarbeiten schon | |
mehrere hundert Arbeiter ums Leben gekommen. Der damalige türkische Jugend- | |
und Sportminister Akif Çağatay Kılıç pries den Bau bei einer Präsentation | |
der türkischen EM-Kandidatur dennoch als Beleg dafür, was die Türkei | |
Deutschland bei Großprojekten voraushabe: Während es in Istanbul bald drei | |
Flughäfen gebe, warte man in Deutschland immer noch auf BER. | |
Tatsächlich hat die türkische Regierung reichlich Erfahrung mit | |
Großprojekten gesammelt. Sei es eine neue Brücke über den Bosporus, mehrere | |
Tunnel unter dem Bosporus hindurch oder ein geplanter Kanal quer durch den | |
europäischen Teil der Türkei. Sie alle wurden mit dem Schlagwort „Hedef | |
2023“ – „Agenda 2023“ beworben. 2023 jährt sich die Gründung der Tür… | |
Republik zum hundertsten Mal. Die AKP hat sich das Ziel gesetzt, bis zum | |
Jubiläum aus der Türkei wieder eine Weltmacht zu formen und weitgreifende | |
gesellschaftspolitische Reformen durchzusetzen. Diesem Narrativ würde der | |
Ausblick auf eine EM im eigenen Land nur allzu gut entsprechen. | |
In seinen Reden beschwört Präsident Erdoğan immer wieder, der Westen habe | |
sein Land durch Verschwörungen kleingehalten. Ein Motiv, das auch der | |
ehemalige Uefa-Vizepräsident Şenez Erzik in einer kürzlich erschienenen | |
Reportage des staatlichen Fernsehsenders TRT-Spor aufgreift: „Wir haben uns | |
dreimal beworben, dreimal sind wir mit leeren Händen zurückgekehrt. Das war | |
Politik. Die Uefa hat uns ungerecht behandelt.“ Heute signalisiert der | |
türkische Verband mit neuem Selbstbewusstsein, dass andere Zeiten | |
angebrochen sind. Die Türkei habe sich modernisiert und die Ausrichtung | |
eines EM-Turniers verdient. | |
## Die Urinal-pro-Zuschauer-Quote | |
Außerdem gebe es im Gegensatz zu Deutschland, das schon bei der EM 1980 und | |
der WM 2006 Gastgeber war, in der türkischen Bevölkerung eine weit höhere | |
Bereitschaft zur Ausrichtung eines Großturniers. Dies könnte tatsächlich | |
eine Rolle spielen. Die Kommunen sind streng zentralistisch organisiert und | |
bis auf Eskişehir werden alle Spielorte von der AKP regiert. Auch die | |
neugebauten Stadien gehören meist den Kommunen, so dass sie der Uefa | |
mietfrei zur Verfügung gestellt werden können. Mit Widerstand gegen die zum | |
Teil abstrusen Forderungen der Uefa, wie er im Rahmen der deutschen | |
Bewerbung schon zu vernehmen war, ist in der Türkei nicht zu rechnen. | |
Die offiziellen Statuten sehen vor, dass das Exekutivkomitee die | |
Bewerbungsmappen der zwei Kandidatenländer bis September evaluiert. Zwar | |
gibt es hierfür einen rund 200 Seiten starken Anforderungskatalog, in dem | |
von Urinal-pro-Zuschauer-Quote bis zur kleinsten Sponsoring-Vorschrift | |
alles vorgegeben ist – am Ende sind jedoch die Stimmen der 17 Mitglieder | |
des Gremiums entscheidend. | |
Erstmals sind auch Antikorruptionsstandards und Richtlinien für die | |
Einhaltung von Menschenrechten Teil der Anforderungen. Die Uefa orientiert | |
sich dabei an den Leitsätzen der Vereinten Nationen zu Menschenrechten, | |
Kinderarbeit und dem Schutz von Minderheiten. Potenzielle Ausrichter sollen | |
sich zur Einhaltung dieser Werte bekennen und knapp darstellen, wie sie die | |
Standards „kulturell einbetten“. Was das konkret bedeutet, bleibt offen. | |
Wesentlich mehr Raum wird in der Bewerbung finanziellen Aspekten | |
eingeräumt. Neben Steuerfreiheiten verlangt die Uefa Zusagen für ein | |
umfangreiches Rahmenprogramm sowie weitreichende staatliche Garantien für | |
ein Sicherheitskonzept. Zu Beginn des Auswahlverfahrens steht oft noch gar | |
nicht fest, welche Kosten wirklich auf die ausrichtenden Städte zukommen. | |
## Die Stadien bleiben größtenteils leer | |
Während der DFB sich im Vorfeld noch zögerlich zeigte, stellte Ankara der | |
Uefa quasi einen Blankoscheck aus. Wirtschaftliche Bedenken werden von | |
offizieller Seite mit der Prognose, dass drei Millionen Fans ins Land | |
kommen würden, einfach weggewischt. Dabei wird häufig die Summe zwei | |
Milliarden Euro genannt, die in Frankreich bei der EM 2016 eingenommen | |
wurden. Ein Detail wird dabei verschwiegen: Dies war der Gewinn, den die | |
Uefa erwirtschaftet hatte. | |
In der Bewerbung des Türkischen Verbands wird vor allem das Potenzial der | |
jüngsten Bevölkerung Europas in den Mittelpunkt gestellt und eine positive | |
Zukunft des Landes gezeichnet. Der Slogan der Kampagne lautet „Birlikte | |
Paylaşalım“ – „Gemeinsam Teilen“ und spielt auf die türkische | |
Gastfreundschaft und die Begeisterung für den Sport an, die man mit dem | |
Rest Europas teilen wolle. | |
Gefragt nach der beschworenen Fußballbegeisterung im Land winkt der | |
türkische Fußballjournalist der linken Tageszeitung Evrensel Alper Kaya nur | |
ab: „Nach all den Skandalen und sportlichen Misserfolgen der türkischen | |
Nationalmannschaft und den teils gravierenden Einschnitten in die | |
Freiheiten der Fans in den letzten Jahren ist die Stimmung im Keller. Die | |
Stadien bleiben größtenteils leer.“ Auch für die Fans der großen Istanbul… | |
Teams spiele die EM-Bewerbung keine große Rolle. „Verglichen mit all den | |
anderen politischen Geschehnissen und Großprojekten der Regierung findet | |
die Bewerbung in den Medien kaum statt.“ | |
Türkei-Experte Harald Aumeier, der den türkischen Fußball seit Jahren | |
beobachtet, meint dazu: „Der Frust bei der Bevölkerung ist nach den | |
vergeblichen Kandidaturen sehr groß. Daher scheut sich die Regierung, nach | |
innen hohe Erwartungen zu schüren.“ Die Signalwirkung, die von einer | |
erneuten Niederlage ausgerechnet gegen Deutschland ausgehen würde, wäre | |
fatal. „Dadurch könnte sich die Türkei noch weiter vom Rest Europas | |
entfernen.“ | |
## Auslegung der Menschenrechtskriterien dehnbar | |
Für Aumeier bleibt zudem unklar, inwieweit solche politischen Überlegungen | |
eine Rolle im Entscheidungsprozess der Uefa spielen werden. Auch die | |
Auslegung der Menschenrechtskriterien sei in dem Gremium so dehnbar, dass | |
diese für die Türkei wohl keine Hürde darstellten. | |
Reicht es also im vierten Anlauf für die Türkei? Zuletzt fragte selbst die | |
Sport Bild besorgt: „Schnappt sich Erdoğan noch unsere EM?“ Die Meinungen | |
hierzu gehen weit auseinander. Das Bewerbungsverfahren ist zu wenig | |
transparent, die beiden Kandidatenländer sind zu unterschiedlich, um eine | |
klare Tendenz auszumachen. Auf dem Papier müsste die Türkei als Favoritin | |
gelten, schließlich war sie schon bei den letzten beiden Bewerbungen nah | |
dran. Doch ob die Uefa sich nach den PR-Katastrophen, die die Fifa mit den | |
WM-Vergaben nach Katar und Russland erntete, im Jahr 2018 für einen | |
autokratisch regierten Austragungsort entscheidet, ist zumindest | |
fragwürdig. | |
Sicher ist nur: Ein erneutes Übergehen der Bewerbung würde die türkische | |
Regierung als Affront ansehen, der sich in die negativen Erfahrungen mit | |
den EU-Beitrittsgesprächen einreihen würde. | |
27 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Dénes Jäger | |
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