# taz.de -- Polizeichef hilft „Querdenkern“: Keine Berührungsängste nach … | |
> In Zwickau verdrängte ein „Querdenken“-Aufmarsch ein interkulturelles | |
> Fest. Zuvor hatte der Revierchef der Polizei Informationen durchgesteckt. | |
Bild: Gute Kontakte zur Polizei: Martin Kohlmann, Querdenker und Rechtsextremer… | |
ZWICKAU taz | „Gesellschaftliche Kipppunkte“: So lautet der knappe | |
Kommentar von Marco Wanderwitz, sächsischer CDU-Bundestagsabgeordneter und | |
früherer Ost-Beauftragter der Bundesregierung, zu den Vorgängen in Zwickau. | |
Dort wurde ein von der Stadt für vergangenes Wochenende geplantes | |
interkulturelles Fest namens „Zwikkolör“ [1][kurzfristig abgesagt] – | |
rechtsradikale „Querdenker“ und Impfgegner:innen hatten vor dem | |
Verwaltungsgericht Chemnitz erstritten, dass sie den Hauptmarkt für eine | |
Kundgebung „für die Wiederherstellung der Grundrechte“ nutzen dürfen. | |
Nun stellte sich zu allem Überfluss heraus, dass der örtliche Revierleiter | |
der Polizei, Kay-Uwe Mittmann, die extreme Rechte per E-Mail mit | |
Informationen zum Versammlungsgeschehen versorgt haben soll – namentlich | |
den Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann, der die Veranstalter des | |
„Querdenker“-Aufmarsches vor Gericht vertrat. | |
Kohlmann ist Gründer der rechtsextremen Kleinpartei „Freie Sachsen“, die | |
maßgeblich zu den sogenannten Corona-„Spaziergängen“ im Freistaat | |
mobilisiert. Es läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Beamten, die | |
Staatsanwaltschaft Zwickau ermittelt wegen des „Verdachts der Verletzung | |
von Dienstgeheimnissen“. | |
Kay-Uwe Mittmann wurde auf einen anderen Posten versetzt, aber nicht | |
vorläufig suspendiert, was die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz von der | |
Linkspartei konsequenter gefunden hätte. Laut [2][Informationen der „Freien | |
Presse“] ist der Beamte nun zuständig für die Planung von Polizeieinsätzen. | |
„Zugang zu wichtigen Informationen hat er allemal“, schreibt die Zeitung. | |
## Mittmanns Nähe zu Querdenkern nicht überraschend | |
Für Sachsens neuen Innenminister Armin Schuster (CDU) ein höchst | |
unangenehmer Vorfall. Er sagt der taz: „Der Verdacht, Dienstgeheimnisse | |
verraten zu haben, ist ein schwerwiegender Vorwurf – ganz besonders, wenn | |
die Dienstgeheimnisse extremistischen Bestrebungen zugänglich gemacht | |
werden.“ Die von der Landespolizei eingeleiteten Schritte seien deshalb | |
„folgerichtig und angemessen“. | |
Für Beobachter:innen kam die Sache mit Mittmann, der seit Februar 2020 | |
Revierleiter war, nicht überraschend. Er pflegte seit Monaten eine Rolle | |
als Vermittler zwischen den verschiedenen Lagern in der Stadt. Das Bündnis | |
für Demokratie und Toleranz ermunterte er nach taz-Informationen zu | |
Gesprächen mit den örtlichen Rechtsradikalen. | |
Im Februar [3][ließ sich Mittmann von der Lokalzeitung „Freie Presse“ | |
porträtieren]. Dort sagte er zum Beispiel, dass er die Corona-Proteste in | |
Zwickau „aus polizeilicher Sicht als nicht konfliktbehaftet und daher als | |
praktikabel und angenehm“ empfinde. Und: „Ich unterscheide bei | |
Versammlungen nicht zwischen Gut und Böse. Solange Versammlungsteilnehmer | |
den gesetzlich gesteckten Rahmen nicht verlassen, haben alle einen | |
Anspruch, mit ihren Anliegen angehört und berücksichtigt zu werden.“ | |
## Interkulturelles Fest nicht als Versammlung eingestuft | |
Im Fall des interkulturellen Festes „Zwikkolör“ ergab sich aber die kuriose | |
Situation, dass dieses vom Verwaltungsgericht Chemnitz nicht als | |
Versammlung eingestuft wurde. Im Beschluss ist die Rede von „Volksfesten | |
und Vergnügungsveranstaltungen“ sowie „Veranstaltungen, die der bloßen | |
Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen“ – darunter wurde auch das | |
interkulturelle Fest gezählt. | |
Gegenüber dem extrem rechten Aufmarsch in der aktuellen Formation | |
„Volksstimme Bürgerbündnis Zwickau“, der den Versammlungsstatus erhielt, | |
galt „Zwikkolör“ somit als nachrangig. Der Revierleiter der Polizei soll | |
diese Linie schon Wochen zuvor offensiv vertreten haben. Und wird dafür nun | |
von den „Freien Sachsen“ gefeiert. Die rechtsextreme Kleinpartei wertet die | |
Versetzung des Beamten als „politische Säuberungsaktion“. | |
Dass zu der von den Rechtsradikalen organisierten Coronaleugner-Demo | |
letztlich statt der angekündigten 1.500 Teilnehmer:innen nur – nach | |
unterschiedlichen Schätzungen – zwischen 250 und 380 Leute kamen, war nach | |
der Absage des interkulturellen Festes egal. Bei „Zwikkolör“ sollten unter | |
anderem Kindergartengruppen auftreten, die Westsächsische Hochschule wollte | |
ihre Studienmöglichkeiten vorstellen, von slowakischen Süßwaren bis zur | |
Ukrainehilfe war ein buntes Programm geplant. | |
## Sorge um gesellschaftlichen Zusammenhalt | |
Am Dienstag sitzt im Zwickauer Rathaus eine zerknirschte Gleichstellungs- | |
und Integrationsbeauftragte: Ulrike Lehmann hatte mit ihrem Team über | |
Monate für „Zwikkolör“ gearbeitet, das erstmals seit der Pandemie wieder | |
stattfinden sollte. Die Polizei war seit Februar, also lange vor der | |
Anmeldung der „Querdenker“-Demo, einbezogen. | |
Im Raum steht die Frage: Wäre ein Rummel auch verhindert worden? Lehmann | |
weiß das nicht genau. Fassungslos ist sie über die Vorgänge in jedem Fall: | |
„Diese Leute reden von ‚Corona-Diktatur‘. Aber sie nutzen die Mechanismen | |
eines demokratischen Staates bis ins Letzte aus. Das ist widersinnig.“ | |
Ulrike Lehmann versteht nicht, warum ihr Fest nicht als politisches | |
Statement gilt, gerade in Zwickau, einer Stadt mit ausgeprägter | |
rechtsradikaler Szene. Sie wolle den Bürgerinnen und Bürgern | |
„niedrigschwellige Angebote für ein friedliches Zusammenleben“ machen, sagt | |
sie. „Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ | |
17 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zwickau.de/de/aktuelles/pressemitteilungen/2022/mai/198.php | |
[2] https://www.freiepresse.de/zwickau/werdau/staatsanwalt-ermittelt-gegen-revi… | |
[3] https://www.freiepresse.de/zwickau/werdau/wie-der-einsatzleiter-der-polizei… | |
## AUTOREN | |
Matthias Meisner | |
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