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# taz.de -- Politologin über postmigrantisches Leben: „Unsere Gesellschaft b…
> Innawa Bouba wollte immer weg aus Hannover. Doch sie blieb, lernte die
> Stadt neu schätzen und engagierte sich für die Aufarbeitung des
> Kolonialismus.
Bild: Hielt lange für normal, dass Schwarze Frauen in der Öffentlichkeit kaum…
wochentaz: Wann war Ihnen klar, dass Sie mal raus müssen aus Hannover, Frau
Bouba?
Innawa Bouba: Eigentlich wollte ich schon direkt nach meinem Abitur weg.
Aber?
Es hat nicht geklappt. Ich bin nicht angenommen worden an der Uni, an der
ich vorerst studieren wollte.
So ein Pech!
Dachte ich auch erst. Aber was hat sich dann rausgestellt? Ich habe dadurch
meine Stadt noch mal ganz anders erlebt – was Hannover letzten Endes so zu
bieten hat. Das habe ich, glaube ich, am Anfang wirklich unterschätzt. Und
ich habe sehr viele tolle Menschen kennengelernt, mit denen man dann auch
politisch gemeinsame Vorstellungen geteilt hat. Rückblickend war der Fakt,
dass ich hier bleiben musste, richtig positiv.
Als Studierende war die Stadt anders als während der Kindheit?
Ja, würde ich sagen. Vor allem hat man mehr Freiheit. Für mich war Schule
immer so eine Art Einschränkung gewesen. Es hat mir zwar immer viel Spaß
gemacht zu lernen, aber ich hatte nicht wirklich das Gefühl, mich dort
richtig entfalten zu können.
Worin bestand die Einschränkung?
Schule ist sicher ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das heißt natürlich,
dass man auch in der Schule Rassismuserfahrungen gemacht hat und einem die
eigene Meinung abgesprochen wurde.
Regelmäßig?
Ich habe das sehr oft erlebt, dass ich von Lehrern – nicht von allen, aber
von einigen – als total radikal dargestellt worden bin, sogar als
hasserfüllt, einfach weil ich bestimmte Dinge kritisiert habe. Oder darauf
bestanden habe, aus meiner Perspektive zu sprechen.
Wie zum Beispiel?
Also zum Beispiel, habe ich mich einmal selbst als afrodeutsch bezeichnet.
Dann meinte eine Lehrerin zu mir, da müsste ich mich ja nicht wundern, wenn
ich von der Gesellschaft ausgeschlossen würde, wenn ich mich doch selbst
ausschließe.
Durch diese Bezeichnung?
Ja, durch diese Selbstbenennung. An der Schule gab es Lehrer, die das gar
nicht verstanden haben oder verstehen wollten. Genauer: auf dem Gymnasium,
denn das macht noch einmal einen ziemlichen Unterschied. So ein Gymnasium,
das ist ein Mikrokosmos für sich: Es gibt den Anspruch, die Bildungselite
auszubilden. Es ist überwiegend weiß besetzt, auch die Schülerschaft. Klar,
du wirst auch gefördert, aber es wird dir oft sehr deutlich zu verstehen
gegeben: Es gibt ein Muster, und du weichst davon ab. Du passt in unser
Schema nicht rein. Das war an der Uni anders.
Inwiefern?
In der Schule war eher als störend empfunden worden, dass ich Dinge
politisch hinterfrage. An der Uni galt das dann plötzlich als Stärke und
war ein Vorteil.
Lag das daran, dass da auch andere waren, die ähnlich gedacht haben?
Ja, es gab plötzlich Menschen, mit denen man eine bestimmte Vision geteilt
hat.
Welche Vision?
Die basiert auf der Überzeugung, dass wir Strukturen brauchen, um Menschen
mit Migrationsbezug oder Menschen aus Familien mit Migrationsbiografie zu
repräsentieren: Es ist die Vision, dafür eine Plattform oder einen Verein
schaffen zu können. Als Schülerin hätte ich nie gedacht, dass es dafür in
Hannover Platz gibt.
Weil Menschen mit ähnlichen Erfahrungen fehlten oder unsichtbar waren?
Ja, und das ist wirklich noch nicht lange her. Ich bin hier in einer
Umgebung groß geworden, in der wir, Schwarze und besonders auch Schwarze
Frauen, in der Öffentlichkeit nicht wirklich vorkamen. Bis ich ungefähr 16
Jahre alt war, gehörte das für mich zum Selbstverständnis: In der deutschen
Öffentlichkeit gab’s mich nicht.
Damit hat auch diese Büste zu tun, die Sie heute mitgebracht haben?
Ja, das ist eine lustige Geschichte. Ich war vor allem erst mal überrascht,
dass so etwas überhaupt angeboten wird und habe sie dann spontan gekauft,
bei TK Maxx in Hannover …
… das ist so ein Kaufhaus für alles mögliche. Wen zeigt sie?
So weit ich weiß, ist das keine bestimmte Person. Für mich ist es einfach
die Figur einer Schwarzen Frau, die sagt: Wir existieren. Sie steht also
dafür, dass es heute mehr Repräsentation gibt: Bilder und Darstellungen von
Schwarzen Frauen, das ist etwas, was früher seltener vorkam.
Na ja, es gab karikierende und abwertende Darstellungen mithilfe von
Stereotypen. Schreibt diese Plastik die nicht fort?
Ich fühle mich durch sie jedenfalls vertreten. Ich sehe diese Figur als
etwas Ästhetisches, so wie ich Schwarzes Leben in Deutschland als etwas
Ästhetisches sehe. Es ist natürlich immer auch politisch. Aber es ist erst
einmal schön. Das war es auch schon vorher. Aber es wurde nicht immer
wertgeschätzt.
Und nicht mehr allein zu sein, erleichtert diese Wahrnehmung?
Das bestärkt sehr. Wenn man sich in Kollektiven zusammenschließt, und sei
es nur zu zweit oder dritt, das kann einem so viel Selbstbewusstsein geben
für die eigene Idee! Daraus ist dann „[1][Generation Postmigration]“
entstanden.
Als Dachverband?
Ja. Der Verein ist ein Ort, durch den ganz viele Leute mit ähnlichen Idee
und unterschiedlicher Expertise zusammenkommen können: Menschen, die ein
Interesse haben, sich zu engagieren. Menschen, die schon viel Erfahrungen
mit städtischen Strukturen haben. Menschen, die selbst schon Kollektive
gegründet hatten.
Ohne nähere inhaltliche Festlegung?
Deswegen ja Dachverband: Das bedeutet, dass wir Menschen, Vereine und
Initiativen aus unterschiedlichsten Bereichen, Kultur, Bildung, religiöse
Gemeinschaften, zusammenbringen. Unser Motto heißt „Einheit in Vielfalt“,
und das, was wir alle gemeinsam haben, ist die postmigrantische
Ausrichtung.
Und wer braucht das?
Unsere Gesellschaft braucht das.
Warum?
Also einmal braucht das unsere Community, also Menschen mit
Migrationsbiografie oder Migrationserbe – weil wir bis heute immer noch für
unseren Platz in dieser Gesellschaft und für unsere Rechte einstehen
müssen: Wir sind Teil dieser Gesellschaft. Aber wir fallen halt immer
wieder durchs strukturelle Raster. Wir passen nicht in das Schema
deutsch/nichtdeutsch.
Ist es ein Ziel da besser hineinzupassen?
Nein, darum dürfte es gar nicht mehr gehen. Wir leben in einer
postmigrantischen Gesellschaft. Wir als Gesellschaft müssen lernen,
Migration anzuerkennen und nicht ständig darüber diskutieren, ob sie nun
gut oder schlecht ist: Migration ist ein Fakt. Sie ist da. Sie prägt die
Gesellschaft und sie bedeutet einen Mehrwert für sie. Ohne Migration würde
dieses Land nicht funktionieren. Das ist ein ökonomischer Fakt, ein
gesellschaftlicher Fakt und letztlich auch ein politischer.
Und die Zusammenarbeit funktioniert ohne inhaltliche Konflikte?
Natürlich spielen auch Konflikte eine Rolle. Wir leben ja nicht in einem
entpolitisierten Raum. Aber als Dachverband wollen wir vor allem ein
Netzwerk bilden, damit ein besserer Austausch zwischen den Vereinen
stattfindet.
Trotz der gerade in den postmigrantischen Communitys verhärteten Fronten
zum Krieg in Israel/Palästina?
Bei uns sind muslimische Vereine ebenso Mitglied wie Hannovers Liberale
jüdische Gemeinde: Wir sind hier in Hannover, und es geht uns nicht
vorrangig um Positionierungen. Uns ist erst einmal wichtig, bestimmte
Perspektiven in städtische Strukturen einzubringen. Wir haben noch nicht
alle postmigrantischen Gruppen erreicht, zum Beispiel osteuropäische
Perspektiven. Aber deswegen sind wir auch weiterhin offen. Wichtig ist,
dass alle Mitgliedsvereine die postmigrantische Vision teilen und
verfolgen. Das ist der gemeinsame Nenner.
Gegründet wurde der Verein …
… im November 2021.
Mitten in Corona!
Ja, genau.
Hat das eine Rolle gespielt?
Vielleicht als Zusatzgrund. Aber das Netzwerk bestand schon zuvor, und es
ging darum, das offiziell zu machen – als zentrale Ansprechstelle auch für
städtische Institutionen.
Sie sind als Vorsitzende des Vereins auch Sprecherin des [2][Beirats für
ein Dekolonisierendes Erinnerungskonzept], den die Stadt eingesetzt hat:
Wie lässt sich seine Aufgabe beschreiben?
Die große Frage dieses Beirats ist: Wie kann man ein so komplexes Thema wie
Dekolonisierung in städtische Prozesse reinbringen. Wie lässt sich das
koordinieren, wie können wir dafür sorgen, dass diese Interessen
berücksichtigt werden.
Das heißt zum Beispiel?
Wir haben zum Beispiel darüber diskutiert, inwiefern Dekolonisierung in
städtischen Strukturen überhaupt möglich ist – ob das Vorhaben nicht
bereits in sich ein Widerspruch ist.
Weil es so sehr an die Grundfesten einer Stadtgesellschaft rührt?
Genau. Hannover war natürlich als Stadt insgesamt in die historische
Bewegung des Kolonialismus involviert. Die Bereitschaft, sich darauf
einzulassen, ist für mich Ausdruck eines Paradigmenwechsels, der auch damit
zu tun hat, dass sich die postmigrantische Perspektive artikuliert und
bündelt, ihre Rechte einfordert – und als Expertise abrufbar macht.
Wie wichtig waren dafür die Dekolonisierungsbewegungen der 1970er- und
80er-Jahre?
Das war eine Bewegung, die ihrer Zeit entsprochen hat. Sie hat zum Beispiel
für eine [3][Hinweistafel am Carl-Peters-Denkmal] gesorgt, die klar macht,
dass er ein Kolonialverbrecher war.
Das wusste man ja schon im Kaiserreich.
Diese Hinweistafel reicht ganz sicher nicht mehr aus, wenn du auf heutige
Umstände blickst. Und das bedeutet nicht, die damals geleistete Arbeit zu
entwerten. Heute besteht der Anspruch, dass, wenn es um die
Auseinandersetzung um ein Kolonialdenkmal oder Straßennamen geht, auch
Schwarze Stimmen eingebunden werden. Und Dekolonisierung ist damit eben
auch noch längst nicht erledigt. Dekolonisierung bedeutet aus meiner Sicht,
das System zu hinterfragen.
Also: Das Denkmal muss weg?
Das Denkmal zu beseitigen, wird das Problem nicht beseitigen. Das ist ganz
sicher kein Argument dafür, es stehen zu lassen. Aber wichtiger ist es, für
Aufklärung zu sorgen und Sichtbarkeit für das ganze Thema herzustellen, um
es reflektieren zu können. Wir haben da in Hannover und in Deutschland noch
sehr viel Nachholbedarf. Den Bemühungen der Vergangenheit zum Trotz. Deren
Verdienste ich gar nicht bestreiten will.
Es gibt aber auch Leute, denen selbst das zu weit geht: Bei der
Namibia-Delegation des nordrhein-westfälischen Landtags, die sich für den
Völkermord an Owaherero und Nama entschuldigen wollte, hat ein
AfD-Abgeordneter am Grab eines Kriegsverbrechers einen Kranz niedergelegt.
Ein Verbrechen gegen die Menschheit in dieser Art und Weise zu
verherrlichen, ist aus meiner Sicht inakzeptabel. Jenseits davon kann aber
die Konfrontation mit dieser Vergangenheit zu Einsicht führen, wenn wir den
Raum lassen, zu reflektieren, dass unsere Gesellschaft auch mehr sein kann.
Kolonialismus entspricht unserer heutigen Gesellschaft einfach nicht mehr.
Dann ist der Kampf um Symbole gar nicht so wichtig?
Er ist wichtig, weil Symbolik das Selbstverständnis einer Gesellschaft
prägt. Aber er ist nicht die Hauptsache. Ich halte ihn für ein Symptom.
Worum es eigentlich gehen müsste, wenn wir über Kolonialismus sprechen und
wenn wir das wirklich aufarbeiten wollen, dann müsste es um
Wirtschaftsverhältnisse gehen und Migrationspolitik, die immer noch
kolonial geprägt ist. Vielleicht kommt genau deswegen von bestimmter Seite
dieser Widerstand dagegen. Aber eben aus anderen Teilen der Gesellschaft
auch der starke Zuspruch. Weil eingesehen wird, wir können mehr sein als
bisher. Und ja, es gibt noch immer Strukturen, die repressiv sind und die
wir überwinden sollten.
Heißt das, der Beirat spricht auch direkt Hannovers Unternehmen an, die
ohne Kolonialismus gar nicht denkbar wären, etwa den Reifenhersteller
Conti?
Im Beirat geht es erst einmal darum, Handlungsempfehlungen für städtische
Prozesse und Strukturen aufzustellen. Es geht darum, dort die Reflexion in
Gang zu setzen. Wenn es uns dann auch gelänge, uns mit der Privatwirtschaft
zu beschäftigen, wären wir schon sehr weit gekommen. Für mich persönlich
wäre das schon ein Ziel.
Bloß ziehen Sie ja jetzt nach London – und steigen aus den lokal- und
landespolitischen Prozessen hier in Hannover aus. Fällt das schwer?
Es fällt mir schon schwer. Ich blicke mit sehr viel Dankbarkeit auf
Hannover und auf diese Zeit zurück, besonders gegenüber bestimmten
Personen, die mich unterstützt und mir Dinge ermöglicht haben. Aber
gleichzeitig merke ich, dass es eben weitergeht und es viele andere
Menschen gibt, die mindestens genauso kompetent sind wie ich, die das
übernehmen können.
Ist die Übergabe denn schon geregelt?
Nein, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber das Netzwerk
funktioniert ja. Diese Arbeit ist ja gar nicht so sehr an einzelne Personen
gebunden. Wenn ich sie mache, dann können andere sie genauso gut machen.
Aber nicht mit der gleichen Power?
Ich bin nicht Superwoman. Niemand ist das. Das ist ein Mythos. Und diese
Zuschreibung von Stärke und Kraft kann, gerade bei Schwarzen Frauen, etwas
sehr Entmenschlichendes haben, wenn einfach angenommen wird, dass man als
„strong black woman“ alles so einfach stemmen kann und sich einsetzt und
auch standhält, wenn Gegenwind kommt. Ich sehe politische Arbeit wirklich
als meine Berufung. Aber sie erfordert sehr viel Resilienz. Sie kostet
gerade rassifizierten Personen sehr viel Kraft.
Wegen Angriffen aus dem eigenen Lager oder aus dem gegnerischen?
Es geht nicht um Angriffe per se. Es geht eher darum, dass man
konditioniert ist, Dinge auszuhalten und hinzunehmen – und die Gefühle, die
man dabei hat, zu verbergen.
Haben Sie denn mit Blick auf Ihren Umzug nach England auch Ängste?
Da muss ich kurz nachdenken. Es ist natürlich ein großer Schritt, die
Umgebung zu verlassen, in der man aufgewachsen ist. Aber ich unternehme ihn
nicht aus ökonomischer oder sozialer Not, sondern aus freien Stücken, weil
ich es will und in einer privilegierten Position mit einem europäischen
Pass. Außerdem bin ich da auch aus meiner Familiengeschichte heraus relativ
selbstbewusst.
Warum?
Meine Eltern sind beide im Alter von 21 Jahren nach Deutschland
eingewandert, meine Mama aus Frankreich als Au-pair, mein Vater aus Kamerun
zum Studieren. Dementsprechend war es auch, als ich Kind war, immer eine
Selbstverständlichkeit zu denken: Das will ich fortführen. Migration ist
insofern immer Teil meines Lebens gewesen. Und ich sehe das als einen sehr
erfüllenden Aspekt. Angst, nein, Angst habe ich eher nicht. Ich bin
gespannt. Und aufgeregt.
6 Aug 2024
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[3] /Kolonialverbrecher-aus-Hannover/!5779237
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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