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# taz.de -- Tagung in Bremen: Kolonialismus und Meer
> Dekolonisation betrifft alle Gesellschaftsbereiche. Eine Tagung
> betrachtet die Rolle der Küstenregionen für den Kolonialismus und seine
> Überwindung.
Bild: Gut besucht war er, der taz Salon im Lagerhaus zur Dekolonialisierung, zu…
Bremen taz | Drei von rund 70 Gästen meldeten sich, als Wilma Nyari vom
Netzwerk „Dekolonisierung Nordwest“ am Dienstag beim taz Salon fragte: „W…
weiß von Ihnen, dass wir uns in der Dekade für Schwarze Menschen befinden?“
Nyari sprach gemeinsam mit [1][Virginie Kamche], Bremerin des Jahres 2023,
dem Ethnologen Sebastian-Manès Sprute und Kai Stührenberg, Staatsrat im
Wirtschaftsressort, über Dekolonialisierung.
Die unter den mehrheitlich weißen Gästen wenig bekannte UN-Dekade sei
bereits Ende 2024 vorbei, sagte Nyari. Doch es gibt sie, ebenso wie
Senatsbeschlüsse oder Absichtserklärungen. Aber Dekolonialisierung, also
das Beenden der kolonialen Kontinuitäten, ist langwierig – mindestens das
wurde beim taz Salon klar.
Auch dass das Thema viel mehr Platz in der Bildung braucht, bei der
Ausbildung von Lehrkräften angefangen. Und dass die Spuren bis heute
anhalten. Sprute sprach daher die [2][Verantwortung der
Konsument*innen] an: „Früher waren sie als Kolonialware bekannt, heute
heißen sie Bananen und liegen im Supermarkt.“
Das Thema freilich ist größer, als dass ein taz Salon es in anderthalb
Stunden abhandeln könnte. Am Mittwochabend wurde, so richtig mit Festakt im
Bremer Rathaus, das Symposium „Der Elefant im Raum“ eröffnet. Bis
einschließlich Freitag untersuchen die Teilnehmenden die Spuren, die der
Kolonialismus in Übersee hinterlassen, sowie die Folgen, die er im hiesigen
Kultur- und Wirtschaftsraum gezeitigt hat. Zugleich fragen die Mitwirkenden
nach Möglichkeiten, mit diesem schwierigen Erbe umzugehen.
## Forschung setzt Einsicht in das Unrecht voraus
Alle Vorträge der Tagung werden per Zoom übertragen. Organisiert hat sie
die an der Uni angesiedelte Bremer Arbeitsgruppe Kolonialgeschichte unter
Leitung von Norman Aselmeyer zusammen mit dem aktivistischen Netzwerk
„Dekolonisierung Nordwest“. „Das ist die Idee, diese beiden Bereiche in d…
Dialog zu bringen“, so Aselmeyer. Die Vorstellung, Geschichte in einem
unpolitischen, gegenwartsfernen Raum erforschen zu können, hält er für
„eine Illusion“.
Damit steht er nicht allein. Gerade die Forschung zu Kolonialismus setzt
die Einsicht in das Unrecht dieser brutalen Strategie der
Kapital-Akkumulation voraus. Sprich: Sie ist der Dekolonialisierung
verpflichtet. Entsprechend hatte beispielsweise Mitte Oktober das
Ostfriesische Landesmuseum in Emden zusammen mit dem Marinemuseum
Wilhelmshaven ein ähnliches Symposium ausgerichtet – auf Initiative der
örtlichen Aktivist*innen, wie Museumsdirektorin Jasmin Alley [3][der taz
erläutert hatte].
Und mit deren Beteiligung: „Es geht nicht zuletzt darum, Deutungshoheit
abzugeben“, so Alley. „Ich möchte Menschen mit Rassismuserfahrung
ansprechen, Menschen die sich als Schwarz oder als People of Color
identifizieren.“
Das ist jetzt in Bremen nicht anders. Ein wenig erinnert die bewusste
Aufhebung der Grenzen zwischen wissenschaftlicher und politischer Sphäre
auch an den Gründergeist der Bremer Universität. Der war es, Anfang der
1970er, ein Anliegen, Forschung und Lehre jenseits des akademischen
Elfenbeinturms zu betreiben – und sie mit den sozialen Bewegungen der
eigenen Lebenswirklichkeit zu verbinden. „Wir wollen die Leute, die es
betrifft, zu Wort kommen lassen und einbeziehen“, so Aselmeyer.
Schwierigkeit in Bremen: Die einschlägigen Initiativen und Vereine befinden
sich in einer Art Umbruch, manche sind ganz verstummt, andere konzentrieren
sich auf den Kampf um Namen und Schilder. Seit fast 50 Jahren wird in
Bremen darum gerungen, dass keine Straße mehr den Namen Adolf Lüderitz’
trägt, der durch einen betrügerischen Deal die deutsche Landnahme in
Namibia begonnen hatte. Warum es Bremen so schwer fällt, diese
unangemessene Ehrung zu beseitigen, ist wahrscheinlich nur mit
psychiatrischem Wissen zu klären.
Allerdings hat dieses politische Engagement keinen globalen Bezugsrahmen –
anders als der juristisch-politische Kampf für Reparationen für Völkermorde
und Vernichtungsaktionen. Davon berichten beim Bremer Symposium Jephta
Nguherimo aus Kensington, der die OvaHerero People’s Memorial and
Reconstruction Foundation gegründet hat, sowie Oswald Masebo aus Tansania:
Der Geschichtsprofessor lehrt an der Uni Dar-es-Salaam. Sein Spezialgebiet
ist die Kolonialgeschichte Ostafrikas.
Grundlegend sind seine Forschungen zum Maji-Maji-Krieg, den er als
Völkermord bewertet wissen will: Schon allein die erdrückende Zahl von bis
zu 300.000 Toten, von deutschen Truppen durch Gewehre, Bajonette und Hunger
regelrecht beseitigt, legt diese Einstufung nahe. Nguherimo und Masebo
sprechen am Freitag beim letzten Panel der Tagung.
## Fischerei als Kolonialisierung der Ozeane
Gerade im Bereich der Dekolonisierungs-Forschung drängt sich dieser
sphärenübergreifende Ansatz ebenso auf wie die geografische Fokussierung
auf die Küstenregion und die Hafenstädte als unmittelbar involvierte Orte.
Nicht nur als Ausgangspunkte.
So lassen sich die Stadtgründungen des 19. Jahrhunderts an der Jade –
Wilhelmshaven – und an der Wesermündung ohne das koloniale Paradigma des
19. Jahrhunderts kaum richtig erfassen: Nach der „Colonie Bremerhaven“
fragen die Direktorin des dortigen Stadtarchivs, Julia Kahleyß, und der
Leiter des stadthistorischen Museums Kai Kähler daher in einem Vortrag am
Donnerstag.
Plastischer noch wird das Zusammenspiel von Regional- und Globalgeschichte
aber im Vortrag von Ingo Heidbrink werden. Der Historiker, der an der Old
Dominion University in Norfolk, Viriginia, lehrt, hat einen auf den ersten
Blick exotischen Ansatz: Er untersucht die Fischereirechtsgeschichte, die
sich als Kolonialisierung der Ozeane erweist.
Tatsächlich haben sich die damaligen Großmächte ab 1882 die bis dahin als
frei geltenden Weltmeere [4][sukzessive durch Verträge aufgeteilt], genau
wie die Europäer zwei Jahre später auf der Kongo-Konferenz den Kontinent
Afrika. Heidbrink widmet sich im Panel „Koloniale Verwicklungen“ am
Donnerstagmittag der Fernfischerei, die er in seinem Vortrag als
„vergessenen bremischen Kolonialismus“ beschreibt. Einen, der den Ersten
Weltkrieg deutlich überdauert hat – und auch in der Gegenwart zu heftigen
Konflikten führt.
29 Nov 2023
## LINKS
[1] /Afrika-Netzwerkerin-ueber-die-Diaspora/!5866916
[2] /Wende-an-den-Rohstoffboersen/!5821081
[3] /Museumschefin-ueber-Postkolonialismus/!5962190
[4] https://forhistiur.net/en/2016-11-heidbrink/?l=de#n9
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Alina Götz
## TAGS
Bremen
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